Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Totschlagargument Wohnungsbau

T
Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 5.12.2022

Die Arbeitsplatz-Sucht. Wie im Drogenrausch zieht die Münchner Stadtpolitik seit Jahrzehnten Arbeitsplätze an: und schafft dadurch die viel beschworene Wohnungsnot. Damit wird jede Grünfläche, jedes Biotop, jeder Garten, jeder Innenhof angreifbar und oft genug überbaubar durch das Totschlagargument Wohnungsbau. Das Planungsreferat erlaubt Bauten, wo den Kennern der Stadtgeschichte der Mund offen stehen bleibt. Durchgewunken wird alles, was sich Wohnungsbau nennt.

Henri Ford erfand das Fließband in der Autoproduktion nach dem Besuch eines Schlachthofs. Die heutige Massenproduktion von Wohnungen findet ebenfalls wie am Fließband statt. 25.000 Bewohner im neuen Stadtteil Freiham, 10.000 bis 30.000 Bewohner durch die SEM Nordost, Tausende neue Wohnungen auf 900 Hektar der SEM Nord: Da bleibt keine Zeit und keine Geduld mehr für gute und überlegte Architektur – und der soziale Zusammenhalt existiert nicht, weil hier nichts mehr gewachsen ist. Werden das die neuen Banlieues, die neuen Problemviertel von München?

Altes Phänomen von 1990: Der damalige OB Georg Kronawitter (1972 – 1978, 1984 – 1993) verwies schon 1990 auf den Bedarf an günstigen Wohnungen: „Die Stadt braucht rund 200.000 preiswerte Wohnungen, damit alle jene, die in unabdingbar notwendigen, aber niedrig bezahlten Dienstleistungen beschäftigt sind, in München nicht nur arbeiten, sondern auch wohnen, leben, Familie mit Kindern, kurz Bleibe und Heimat haben können.“1 Und bereits 1990 warnte er vor der immer weiter gehenden Bereitstellung von städtischem Grund für Industrie und Gewerbe: „Erst zuletzt (und nicht wie bisher zuerst) kann und darf sich die Frage nach weiteren Flächen für Industrie und Gewerbe stellen sowie die Frage nach weiterer Verdichtung in bestimmten Bereichen.“1
Der derzeitige Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) macht genau das Gegenteil: Er zieht pausenlos immer weitere Arbeitsplätze in die Stadt.

September 2018: Grünflächen zu Wohnungen. Städteplaner und Makler sind in den meisten deutschen Städten auf der Suche nach unbebauten Grundstücken. Baulücken, Brachen, Kleingärten, Villengärten werden zu Baustellen unter dem Signet Nachverdichtung. Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) gab die Linie vor: „Es geht darum, alle Brachflächen, die innerstädtisch noch vorhanden sind, zu nutzen.“ In München haben sich Bürgerinitiativen gegen dieses Zubauen von städtischen Grünflächen gebildet. Stadtrat Dirk Höpner von der München-Liste und Sprecher des Bündnisses München Nord legte den Finger in die Wunde: 2017 wurden 8000 Wohnungen in München gebaut und gleichzeitig sind 27.000 Arbeitsplätze entstanden … Das heißt, dass die neuen Wohnungen nicht einmal ausreichen, um den Bedarf zu decken, der durch die neuen Arbeitsplätze entstanden ist.“2

April 2019: München-Liste zugelassen. Die München-Liste ist eine wachstumskritische Gruppierung, die gegen die SEM Nord und die SEM Nordost ist und auch hinter der Initiative Heimatboden steht. Einer ihrer Vertreter ist Dirk Höpner, der für weniger Arbeitsplätze eintritt, verbunden mit weniger Gewerbeflächen. Laut Höpner sind 2017 in München 26.000 Arbeitsplätze geschaffen worden: Praktisch bedeutet dies 54.000 neue Einwohner. Und 2017 wurden 8300 Wohnungen neu gebaut: „Das geht sich nicht aus.“ Die SEM-Gegner wurden vor der Wahl im März 2020 von keiner Partei im Stadtrat mehr vertreten, auch nicht von den Grünen, die wie die OB-Kandidatin Katrin Habenschaden die SEM mittragen. Der Landwirt und Heimatboden-Aktivist Johann Oberfranz sah deshalb viel Arbeit auf die München-Liste zukommen, da die Arbeit der „ehemaligen Grünen“ mitzutragen sei. Für Heimatboden-Mitglied und Landwirt Martin Zech ist die SEM kein Modell für 90 Prozent bezahlbarem Wohnraum,, sondern ein „Bodenbeschaffungsprogramm zum Billigpreis“.3

Sisyphosarbeit Wohnungsbau. Ein Bürgerbegehren gegen eine „maßlose Nachverdichtung“ wurde 2019 von den Freien Wähler, ÖDP, München-Liste und Forum Lebenswertes München initiiert. Erreicht werden soll in München u. a. ein Stopp von teuren Neubauten, die Überbauung von Grünflächen, ein Stopp von Gewebeflächen. Die Organisatoren nannten eine interessante Proportion: Für jeden neuen Quadratmeter Gewerbefläche entstünde ein Wohnbedarf von vier Quadratmetern.4

Mehr Wohnungen, mehr Wohnungsnot?(1) 2018 wurden 286.000 Wohnungen gebaut, gleichzeitig explodieren die Mieten. Für Daniel Fuhrhop, Autor von Verbietet das Bauen!, ein eindeutiges Indiz: „Neubau löst nicht die Probleme des Wohnungsmarktes, es schafft Probleme. Wohnungen fehlen, gerade weil viel gebaut und investiert wird.“5 – „Nach Jahrzehnten des Bauens von Hunderttausenden neuen Wohnungen wird trotzdem immer wieder eine Wohnungsnot ausgerufen. Das beweist dass mehr Bauen keine Probleme löst, sondern neue schafft.“6

Mehr Wohnungen, mehr Wohnungsnot? (2) Von 1993 bis 2018 ist in Deutschland die Einwohnerzahl um rund zwei Millionen gestiegen; hierfür wären etwas über eine Million Wohnungen nötig gewesen. Die Zahl aller Wohnungen stieg in diesem Zeitraum von 35 auf 42 Millionen Wohnungen: Das waren laut Fuhrhop also etwa sechs Millionen zu viel.7

400.000 Wohnungen pro Jahr (1). Das ist das Ziel der Ampel-Koalition (davon 100.000 Sozialwohnungen). Ein Drittel des deutschen Treibhausaufkommens kommen vom Sektor Bauen und Wohnen. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden: Dazu sollen bis 2030 die CO2-Emissionen um fast die Hälfte (43 Prozent) reduziert werden. Aber das Ziel von 400.000 Wohnungen PRO JAHR erfordert wiederum ungeheure Mengen an Baumaterialien. Dazu sind laut einer Studie des Pestel-Instituts die Baukosten seit 2000 durch die gesetzlichen Vorgaben um 50 Prozent gestiegen – und durch gestiegene Materialpreise noch einmal um 50 Prozent. (Die seitdem irrwitzig gestiegenen Bodenpreise kommen noch hinzu.) Die in Energiesparmaßnahmen investierten Gelder können vermutlich nicht durch eingesparte Energiekosten kompensiert werden. Außerdem konkurrieren elektrische Heizsysteme durch erneuerbare Energien mit dem zusätzlichen Stromverbrauch der E-Mobilität oder „grünem“ Wasserstoff. Hinzu kommt ein spezielles Thema: die Zuwanderung. In der Dekade 2010 bis 2020 kamen pro Jahr fast eine halbe Million Immigranten. Dem Experten für Wohnbedarf beim IW in Köln, Ralph Henger zufolge gäbe es ohne die gestiegene Zuwanderung keine Wohnungsnot. Wobei laut Henger Asylsuchende und Flüchtlinge nur 16 Prozent der Zuwanderung ausmachen: Die meisten Zuwanderer kommen aus der EU.8

400.000 Wohnungen pro Jahr (2). Das wird wohl nichts mit 400.000 Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will das Bauen einfacher, schneller und billiger machen. 650.000 Wohnungen seien genehmigt, aber nicht gebaut. 2022 ist aber die Zahl der bewilligten Baugenehmigungen zurückgegangen. Der Ukraine-Krieg trübt das Geschäftsklima. Baumaterialien steigen immens, ebenso die Zinsbelastung für Baukredite: von unter einem Prozent Ende 2021 auf derzeit über 3 Prozent. Und so wurde es Mitte 2022 einigermaßen ruhig um die 400.000 neuen Wohnungen.9

Nicht nebenbei: Die von der Ampel-Regierung propagieren 400.000 Wohnungen pro Jahr wurden 2022 nicht erreicht: Es werden noch weniger als 2021 gebaut, und statt 100.000 Sozialwohnungen waren es 25.000. Wie sich die 400.000 Wohnungen zum nicht mehr hinterfragbaren Dogma entwickelt haben, gilt dies auch für das nächste Dogma mit der Zahl 400.000. Die Chefin der Bundesanstalt für Arbeit, Andrea Nahles, äußerte im SZ-Interview: „Wir brauchen im Saldo 400.000 zusätzliche Arbeits- und Fachkräfte im Jahr. Deutschland ist ein Einwanderungsland.“10
Das würde im Klartext bedeuten: Deutschland bräuchte pro Jahr 800.000 Wohnungen!

Vgl. auch: Bauen, bauen, bauen; Bezahlbarer Wohnraum

  1. Kronawitter, Georg, Perspektiven und Alternativen für ein München von morgen, in SZ 9.1.1990 [] []
  2. Fraune, B., Hoefer, C., DPA, in SZ 28.9.2018 []
  3. Hutter, Dominik, Wachstumskritiker könnten bei der Kommunalwahl antreten, in sueddeutsche.de 5.4.2019 []
  4. Effern, Heiner, Hutter, Dominik, Bürgerbegehren gegen Nachverdichtung, in SZ 8.10.2019 []
  5. Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020, S. 7 []
  6. Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020, S. 73 []
  7. Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020, S. 58 []
  8. Preuss, Roland, Anstrengende Neubauten, in SZ 17.1.2022 []
  9. Radomsky, Stephan, Stau am Bau, in SZ 1.7.2022 []
  10. Hagelüken, Alexander, Wittwer, Judith, „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, in SZ 29.11.2022 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Nicht angemeldet > Anmelden