Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Schleißheimer Straße 278

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Titelbild: © Wolfgang Zängl / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 13.9.2022

März 2013: Vom Kindergarten zu Covent Garden. An der Schleißheimer Straße 278 gab es seit 1927 ein katholisches Karmelitinnen-Kloster: Dort war seit 1924 der Katholische Kindergarten Sankt Josef untergebracht, der Ende 2012 aufgelöst und von der Caritas übernommen wurde: Hier wurden Kinder mit Behinderung gefördert. Die Klosterschwestern bauten in den achtziger Jahren auf ihrem Grund die Gebäude Schleißheimer Straße 280 und 280a für pensionierte Schwestern. Da der Orden Nachwuchsprobleme hatte, wurden 1990 beide Häuser verkauft. Damals wurden in einem Vertrag die beiden Neubauten und das Klostergelände als autonome Wirtschaftseinheiten in Form des Sondereigentums festgelegt. Bei einer Umnutzung eines Teils, z. B. Neubauten auf dem Klosterareal, müssen die 77 Eigentümer von 280 und 280a einverstanden sein.1

Verkauf. Der Stadtrat hat 2007 dem Abriss des Klostergebäudes zugunsten von Wohnungen zugestimmt. Im Januar 2013 verkaufte der Orden das Areal an die Luitpoldpark Schwabing GmbH & Co. KG. Die Kindergartenleute erfuhren von ihrem Rauswurf durch ein Banner vor dem Haus: Ab September 2013 wird die St. George’s English International School für drei Jahre Interimsmieter; danach wird sie in einen Komplex umziehen, der ebenfalls der Luitpoldpark Schwabing GmbH & Co. KG gehört. Und da die weitläufigen Baulichkeiten aus dem Jahr 1927 angeblich baufällig sind, will sie der neue Investor abreißen lassen und dort teure Eigentumswohnungen bauen.23

August 2018: SSN Group kauft. Der Schweizer Investor SSN-Group hat das Areal mit 11.000 qm gekauft und plante, einen großen Wohnkomplex („Covent Garden Munich“) zu errichten. Es sollen bis zu 300 Wohnungen auf rund 30.000 qm Wohnfläche mit einem Wohnhochhaus von etwa 60 Metern Höhe entstehen. Das Projekt wird auf 205 Millionen Euro geschätzt. Die Pläne stammen vom Münchner Büro Allmann Sattler Wappner. Als Referenzbauten wurden drei ältere Hochhäuser mit über 50 Meter am Luitpoldpark herangezogen. Der Bau sollte 2019 beginnen, wird sich aber verzögern, da die WEG der benachbarten Wohnanlage Schleißheimer Straße 280 und 280a mit 77 Wohnungen nicht einverstanden waren. Das Areal ist zwar vor etwa 30 Jahre in zwei Wirtschaftseinheiten unterteilt worden, laut Grundbuch gehört das Areal anscheinend noch immer den 77 Wohnungseigentümern und nun der SSN. Da die Neubauten unter die SoBoN-Vorgaben fallen, müssten alle Eigentümer dem Bebauungsplan, wie oben erwähnt, notariell zustimmen. Dann müssten sich aber auch die 77 Eigentümer der Schleißheimer Straße 280 und 280a an den entsprechenden SoBoN-Kosten beteiligen. Der Vorsitzende des BA Schwabing-West, Walter Klein (SPD), zeigte sich skeptisch zu den Bauplänen der SSN: „Das sind Leute, die viel Geld machen und das Maximum aus ihrem Grundstück rausholen wollen.“4

Proteste der Nachbarn. Die Nachbarin Silvia Mittermaier wohnt in der Schleißheimer Straße 280a und erwähnte die Bebauungsbeschränkung zugunsten der Stadt München. Viele hiesigen Eigentümer hätten sich ihre Wohnung wegen der der Lage in grüner Umgebung gekauft. Einen Abriss des alten Klosters mit einem Neubau in sinnvoller Größe würden die Nachbarn nicht ablehnen. Nun bedroht aber der 60 Meter hohe Turm Lage und Aussicht. Der Investor hat bis zum Sommer 2018 nicht auf die Einwände der Nachbarn reagiert. Der BA Schwabing-West hatte deshalb eine Mediation zwischen Anwohnern und Investor vorgeschlagen.5
NB: Auch Anfang 2022 ist noch kein Abriss geschweige denn ein Neubau zu sehen.

Covent Garden im Bezirksausschuss. Im Dezember 2018 stellten die SSN-Group Zug und das Architekturbüro Allmann Sattler Wappner das Projekt im BA Schwabing-West vor. Der Vorsitzende Klein äußerte, die Begrünung von Dächern und Balkonen sei hübsch, aber auf dem Grundstück wäre nicht mehr viel Platz übrig. Der BA möchte eine Reduzierung des Gebäudevolumens; auch solle eine größere Freifläche für den Kindergarten zur Verfügung stehen. Das Areal unterliegt der SoBoN: Der BA sähe gern 60 Prozent Anteil geförderten Wohnraums. Ein Bauplan des Investors SSN wurde noch nicht eingereicht. Eine Unternehmenssprecherin teilte mit, es müsse zunächst das Planungsrecht geklärt werden. Die Eigentumswohnungen dürften „im mittleren bis gehobenem Preissegment“ liegen.
Der frühere Sprecher der WEG Schleißheimer Straße 280 und 280a, Heinz Salat, erklärte für die Eigentümer, man sei mit der Wuchtigkeit der Gebäude nicht einverstanden. Man habe 20.000 Lkw-Bewegungen bei den Neubauten errechnet. Problematisch sei auch die unter dem Areal verlaufende Röhre der U 3. SSN sei auch noch nicht an die WEG herangetreten, von daher käme es so zu keiner Realteilung.1

September 2019: Consus Real Estate AG übernimmt SSN. „ Consus Real Estate AG (‚Consus‘) hat im Rahmen der Integration der Ende 2018 erworbenen SSN Group AG am 6.9.2019 die Umfirmierung in Consus Swiss Finance AG abgeschlossen.“6

Kranke Mutter, kranke Tochter. Consus ist ein Tochterunternehmen des angeschlagenen Immobilienkonzerns Adler. In Hamburg-Altona gehört Consus das „Holsten Quartier“, ein ehemaliges Brauereigelände mit 86.000 qm, wo über 1200 Wohnungen geplant sind. Consus hat das Gelände für 360 Millionen Euro vom Vorbesitzer gekauft: mehr als das Doppelte vom vorigen Verkauf im Jahr 2016. Derzeit werden die alten Brauereigebäude abgerissen. Nachdem Adler eine Milliarde Euro bei Consus abgeschrieben hat, meldete Consus am 17.5.2022, dass das Eigenkapital vermutlich aufgebraucht sei. Dazu hat Consus etwa eine Milliarde Schulden bei Adler. Die Hansestadt Hamburg prüft nun selbst die Übernahme des Holsten-Areals.7

  1. Draxel, Ellen, Im Klostergarten wird es eng, in SZ 21.12.2018 [] []
  2. Draxel Ellen, Vertreibung aus dem Paradies, in SZ 8.3.2013 []
  3. Hutter, Dominik, Ude räumt Versäumnisse ein, in SZ 9.3.2013 []
  4. Sobotta, Jerzy, Höhenflug mit Hindernissen, in SZ 16.8.2018 []
  5. Hellstern, Michael, Anwohner gegen Investor: Dieses alte Kloster soll einem neuen 60-Meter-Wohnturm weichen, in tz.de 29.8.2018 []
  6. https://www.consus.ag/umfirmierung-der-ssn-group-ag-in-consus-swiss-finance-ag; abgerufen am 28.1.2022 []
  7. Radomsky, Stephan, Bye-bye Boom, in SZ 18.5.2022 []
Objekt-Nr. 17200

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