Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Januar 2021

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Januar 2021: Stadibau baut. In der Nähe vom Leonrodplatz investiert die 1974 gegründete staatliche Stadibau (Gesellschaft für den Staatsbedienstetenwohnungsbau in Bayern mbH) rund 250 Millionen Euro. Auf sieben Hektar sollen 611 bezahlbare Wohnungen für Staatsbedienstete wie Angehörige der Polizei, der Krankenpflege oder der Verwaltung errichtet werden. Als Quadratmeterpreis wurde 2018 zwischen acht und zehn Euro genannt.1

Januar 2021: BA Maxvorstadt unzufrieden über Stadtverwaltung. Der BA hat in einem Antrag die Verwaltung aufgefordert, den „Zweckentfremdungsmelder“ mit einer Rückmeldung zu verbessern, ob dieser nachgegangen wurde. Außerdem will der BA endlich Auskünfte von der Verwaltung bezüglich der Zweckentfremdungen in den Häusern Barerstraße 77, Schellingstraße 25 und 27 mit Ecke Schellingstraße 66, Steinheilstraße 1 und Türkenstraße 50, 52 und 54. Durch Spekulation und diverse Verkäufe wurde der Wert der Anwesen Türkenstraße 52/54 seit 2007 um 370 Prozent gesteigert; der Leerstand dort ist massiv.2

Januar 2021: Neubauprojekt „Hirmerei. Die Hirmer GmbH & Co. KG will auf einer bisherigen Ackerfläche von 1,6 Hektar in Allach zwischen Otto-Warburg-Straße und Eversbuschstraße südlich des S-Bahnhofes Karlsfeld in Allach 250 Mietwohnungen bauen; den Wettbewerb gewann im Oktober 2019 das Architekturbüro Palais Mai aus München. Anwohner haben die Bürgerinitiative Eversbuschstraße Nord zur Verhinderung des Projektes gegründet. Der BA 23 Allach-Untermenzing behandelte die „Hirmerei“ am 12.1.2021.3
Nachtrag März 2021: Um die Eversbuschstraße vom zusätzlichen Verkehr durch die 230 Wohnungen der Hirmerei zu entlasten, sollte eine neue Straßenverbindung zwischen dem S-Bahnhof Karlsfeld und der Ludwigsfelder Straße gebaut werden. Die grün-rote Mehrheit im Planungsausschuss hat das Projekt gestoppt, um die Fläche als Grün- und Erholungsfläche vorzusehen. Damit soll auch ein Schleichverkehr von Karlsfeld aus vermieden werden.4

Januar 2021: Pandemie steigert Wohnungsnot. Da durch die Pandemie viele in München in Kurzarbeit geraten sind oder arbeitslos wurden, sind seit Juli 2020 die Anträge auf Sozialwohnungen und Wohngeld stark angestiegen. Menschen mit geringem Einkommen haben auch weniger finanzielle Rücklagen. Von 2012 bis 2019 sind zudem die Wohnungsmieten pro Quadratmeter um 68 Prozent gestiegen, die Kaufpreise für Immobilien um 98 Prozent. Laut Sozialreferentin Dorothee Schiwy wird Wohnen „zunehmend zum Überschuldungs- und Armutsrisiko“.5

Januar 2021: Bauen, bauen, bauenDie schwarz-rote Koalition hatte das Ziel, 365.000 Wohnungen pro Jahr. 2019 waren es 293.000 Wohnungen, 80 Prozent mehr als 2009. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostizierte auch eine hohe Nachfrage nach Wohnungen in der Corona-Zeit. Für den Büroimmobilienmarkt bedeutet die Pandemie verstärkt Homeoffice und mehr mobile Tätigkeiten: Die Rentabilität neuer Bürogebäude wird schwieriger.6

Januar 2021: Leerstände bei Büroraum. Der vor Corona boomende Markt für Gewerbeimmobilien schwächelt nach Berichten von Fachmaklern. Die Immobilienberatung Colliers International Deutschland geht bei den sieben größten deutschen Büromärkten von einem Rückgang bei Bürovermietungen von rund 35 Prozent aus (2.5 Millionen Quadratmeter). Die Leerstandsrate liegt in deutschen Großstädten bei rund 3,5 Prozent und hat derzeit noch keine größeren Auswirkungen auf die Miethöhe.7

Januar 2021: Letztes Postamt der Schwanthaler Höhe schließt. Seit den 1920er Jahren gibt es das Postamt an der Bergmannstraße 47-49. Der Bau stammt von den Architekten Robert Voerholzer, Franz Holzhammer und Walther Schmidt. Ende Oktober 2020 hatte die Postbank in Bonn noch eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung angekündigt: Nun wurde bekannt, dass das Postamt nach 100 Jahren am 31.8.2021 geschlossen wird: Die Bankfiliale sei nicht mehr rentabel zu betreiben. Damit sind die 30.000 Bewohner der Schwanthaler Höhe ohne Postamt. Der BA 8 Schwanthalerhöhe hatte im Dezember 2020 beim Planungsreferat eine Veränderungssperre vorgeschlagen, um eine mögliche Spekulation mit der Immobilie zu verhindern. Das ist im Viertel üblich: Eigentümer und Vermieter kündigen alteingesessene Geschäfte, um von neuen Nutzern mehr Miete zu bekommen.8
Nachtrag April 2021: Am 21.4.2021 übergaben Mitglieder des BA Schwanthalerhöhe 4000 Unterschriften für den Erhalt des letzten Postamts im Viertel.9
Nachtrag August 2021: 2003 hatte die Post das Gebäude verkauft. Nach mehrmaligen Weiterverkäufen baut der neue Investor in die Postfiliale eine 208 Quadratmeter große Wohnung.10

Januar 2021: Ramersdorfer Erdbeerfeld. In Obermenzing wird seit 2019 über die Bebauung des Erdbeerfelds (Erdbeerwiese) diskutiert. Aber auch in Ramersdorf gibt/gab es ein Erdbeerfeld: an der Ottobrunner Straße, dem Diakon-Kerolt-Weg, dem Wolf-Huber-Weg und der Gleißnerstraße: Es liegt im Umgriff des Bebauungsplans 1638. Seit 1988 hat es der Stadtrat versäumt, einen rechtskräftigen Bebauungsplan in die Wege zu leiten: Damit erfolgt keine geordnete Stadtplanung. Der BA Ramersdorf-Perlach stellte fest, dass durch den städtebaulichen Wildwuchs jeder Grundstückseigentümer die maximale Nutzung herausholen will. An der Ottobrunner Straße 3 steht eine alte Villa auf einem 8000 Quadratmeter großen Grundstück mit teilweise uraltem Baumbestand. Hier wird eine Wohnanlage mit Tiefgarage geplant: unter Ausnutzung von maximalem Baurecht. Der BA lehnte das Bauvorhaben „als rücksichtslos und nicht wünschenswert“ ab; außerdem würde in den alten und geschützten Baumbestand massiv eingegriffen.11
Nachtrag Juli 2021; ÖDP und München-Liste stellen Antrag. Im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung soll am 15.9.2021 über den Erhalt des Baumbestandes der Ottobrunner Straße 3 diskutiert werden; der außergewöhnliche Baumbestand soll als Ganzes oder einzelne Bäume als Naturdenkmäler ausgewiesen werden. Eine spezielle Artenschutzrechtliche Prüfung (saP) soll vorgeschrieben werden.12
Nachtrag Februar 2022: Es gibt seit 1988 keinen rechtskräftigen Bebauungsplan 1638 für das Ramersdorfer Erdbeerfeld. So wird ein Eck nach dem anderen von der Fläche „abgeknabbert“, wie BA-Mitglied Wolfgang Thalmeir (CSU) feststellte. Ohne Bebauungsplan gilt wieder der berüchtigte § 34 des Baugesetzbuches – und damit versucht jeder der Investoren, eine maximale Bebauung zu erreichen. Dazu fehlt jegliche Planung für die Infrastruktur, also für Schulen, Kitas, Einkaufsmöglichkeiten. Dem Eigentümer des Gartencenters Seebauer, Bernhard Gerstenkorn, gehört das Grundstück an der Ottobrunner Straße 3 im Gebiet 1638, auf dem 120 Bäume wachsen. Er startete bei der LBK eine Anfrage zur Errichtung einer Wohnanlage, erklärte aber dazu, dass er diese nicht bauen wolle, sondern den Großteil des Grundstücks an die Stadt verkaufen wolle. Dann wäre die Stadt zweitgrößter Grundstückseigentümer am Erdbeerfeld: und der Bebauungsplan 1638 rückt vielleicht näher.13
Der Antrag auf Vorbescheid von Gerstenkorn plant etwa 100 Wohnungen auf der Ottobrunner Straße 3. Nun seien jüngst Gutachten zu Arten- und Baumschutz eingegangen, so die LBK. Deshalb plant die LBK einen Bebauungsplan für das Areal, um „eine ausgewogene bauliche Entwicklung“ zu erreichen: Hier soll auch nach den Regeln der SoBoN verfahren werden. Damit wird der Antrag auf Vorbescheid zurückgestellt. Auf Nachfrage von Stadtrat Winfried Kaum (CSU), woher die neue Sichtweise käme, entgegnete Stadtbaurätin Elisabeth Merk: „Ich habe das Recht, einen Antrag auch während einer Sitzung zu ändern.“ Bernhard Gerstenkorn äußerte, er habe viele Investoren abgelehnt, weil er das Grundstück an die Stadt verkaufen wollte. Und nun wolle diese den Preis drücken.14
Vgl. auch: Nachverdichtung

Januar 2021: Ende vom „Boardinghaus Arcisstraße“. Die seit zwölf Jahren existierende sozialtherapeutische Einrichtung für 37 psychisch Erkrankte muss aufgelöst werden. Die Immobilie an der Arcisstraße 63 wurde mehrmals verkauft, die Miete entsprechend häufig erhöht. Träger sind die Stadt München und der Bezirk Oberbayern. Die Stadt hätte das Haus kaufen können, da es im Erhaltungsgebiet Maxvorstadt liegt: Der Kaufpreis lag aber mit kolportierten 24 Millionen Euro um 25 Prozent über dem Verkehrswert. Die Suche des Trägers Soziale Dienste Psychiatrie nach einer neuen bezahlbaren Immobilie blieb erfolglos. Die Betreuten müssen unterschiedlich untergebracht werden. Der Mietvertrag endet im März 2021. Ein eventueller Neubau der Gewofag im Kreativquartier würde erst zwischen 2023 und 2025 fertig.15

Januar 2021: Unterstützung von Kulturschaffenden. Die LH München will ihre städtischen Räume mit bis zu 70 Prozent Rabatt an Kreative vermieten; bei Altverträgen wird auf Mieterhöhungen bis zu diesem Niveau verzichtet. Dies soll rückwirkend ab 1.1.2021 gelten und am 27.1.2021 von Kulturreferent Anton Biebl und Kommunalreferentin Kristina Frank dem Stadtrat vorgeschlagen werden. Institutionen, die vom Kulturreferat gefördert werden, erhalten einen kompletten Mietnachlass.16

Januar 2021: Wird Moosach Sanierungsgebiet? Am 27.1.2021 wird der Stadtrat entscheiden, ob Teile von Moosach als Sanierungsgebiet eingestuft werden. Dies beträfe eine Fläche von etwa 275 Hektar mit rund 24.000 Einwohnern. Die Stadt würde mit 7,1 Millionen Euro veraltete Wohnsiedlungen modernisieren und Grünanlagen und Wege sanieren. 2,6 Millionen Euro kämen aus dem Städtebauförderungsprogramm „Sozialer Zusammenhalt“.17

Januar 2021: Zweckentfremdungsverordnung juristisch gekippt. Der Stadtrat hatte 2019 eine neue Regelung für die Zweckentfremdung von Wohnraum erlassen: Wer ein Mietsgebäude abreißt, muss wieder ein Mietsgebäude errichten und darf keine Eigentumswohnungen bauen. Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) hatte ihre Vorlage mit dem Wegfall von rund 1000 Mietwohnungen pro Jahr durch Abriss begründet. Die neuen Mietwohnungen sollten sich zudem am Mietspiegel orientieren. Dagegen hatte der Haus- und Grundbesitzerverein geklagt. Der Vorsitzende von Haus+Grund, Rudolf Stürzer, kritisierte, Neubau-Eigentümer hätten zu 40 Prozent unter dem Marktwert vermieten müssen. Beide Regelungen der Stadt wurden nun vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof außer Kraft gesetzt. Die Stadt habe hierfür keine Kompetenz, nur der Bund und ein Bundesland. Die Richter rügten auch das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, das diese Gesetzwidrigkeit der LH München durchgehen ließ. Auch die städtische Regelung, dass Ersatzwohnungen für abgerissene Häuser im selben Stadtbezirk entstehen sollten, wurde gekippt. OB Dieter Reiter lässt nun eine Nichtzulassungsbeschwerde und eine höchstrichterliche Klärung prüfen. Die Stadt sieht durch den Richterspruch eine Fortsetzung vom Abriss der Wohngebäude und deren Ersatz durch Eigentumswohnungen. Schiwy beschwerte sich auch über den Kläger Haus+Grund, der Gewinnmaximierung für Vermieter ermögliche.18

Januar 2021: Stadt plant günstige Wohnungen. Die Stadt hat ihr Vorkaufsrecht am Anwesen Implerstraße 45 mit 14 Wohnungen wahrgenommen und es an die GWG übertragen: Der Erstkäufer wäre eine Pensionskasse aus Norddeutschland gewesen, die die Abwendungserklärung nicht unterschreiben wollte. Am Harras hat die Stadt ihr Vorkaufsrecht für rund 300 Wohnungen ausgeübt, ein Karree Plinganser-, Karwendel- und Dudenstraße, das mehrmals verkauft wurde. Die GWG will das nunmehr erweitertes Baurecht ausnutzen und von 27.600 auf 48.700 Quadratmeter Wohnfläche mit 186 neuen Wohnungen ausbauen.19

Januar 2021: Droge Wohnungsbau. Das Planungsreferat vermeldet für das Jahr 2020 einen Rekord mit 8289 neu gebauten Wohnungen. Die Zielvorgabe von 8500 wurde nicht ganz erreicht.20
Was dem Junkie seine Droge, ist der LH München der Wohnungsbau. Und um deren Sucht noch zu vergrößern, werden immer weiter Arbeitsplätze angesiedelt, die wiederum die Wohnungsnot vergrößern. Ergo: noch mehr Wohnungsbau – und noch mehr Arbeitsplätze … Wer schickt die Stadt in den Entzug?

  1. Südliches Oberwiesenfeld: 600 günstige Wohnungen für Staatsbedienstete, in sueddeutsche.de 4.1.2021 []
  2. Mühleisen, Stefan, Nur schwammige Formulierungen gegen den Leerstand, in SZ 7.1.2021 []
  3. Hirnerei um Hirmerei, in SZ 9.1.2021 []
  4. Krass, Sebastian, Naujokat, Anita, Schreckgespenst Schleichverkehr in SZ 11.3.2021 []
  5. Loerzer, Sven, Wohnen als Armutsrisiko, in SZ 13.1.2021 []
  6. Öchsner, Thomas, Boom – aber nicht genug, in SZ 13.1.2021 []
  7. Remien, Andreas, Kurz vor Büroschluss, in SZ 16.1.2021 []
  8. Schlaier Andrea; Die letzte Post im Viertel macht dicht, in SZ 16.1.2021 []
  9. Freundliche Grüße an die Post, in SZ 22.4.2021 []
  10. Schlaier, Andrea, Schalterschluss nach 100 Jahren, in SZ 16.8.2021 []
  11. Grundner, Hubert, Städtebaulicher Wildwuchs, in SZ 21.1.2021).
    Nachtrag Juli 2021: Ein Einspruch gegen die massiven Fällungen kam vom Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB). Der VLAB schrieb an das Planungsreferat und monierte, dass fast alle wertvollen Bäume gefällt werden sollen, darunter Bäume mit bis zu vier Metern Stammumfang und bis zu 23 Meter Höhe. Dazu gibt es hier viele geschützte Vogel- und Fledermausarten. Das Grundstück Ottobrunner Straße 3 ist das einzige im Plangebiet 1638, das über wertvollen Baumbestand verfügt – und liegt noch dazu in der Nähe der A 8. Da München seit 2018 eine Biodiversitätsstrategie hat und die Stadtplanung erst vor kurzem eine Baumschutzkampagne beschlossen hat, bittet der VLAB, die laufende Prüfung des Vorbescheids zu überdenken: Nachverdichtung ist zur Schaffung von Wohnraum notwendig, sollte aber auf weitgehend baumfreien und versiegelten Flächen erfolgen. ((https://www.landschaft-artenschutz.de/wp-content/uploads/Schreiben-Landeshauptstadt-Muenchen_Lokalbaukommission.pdf []
  12. https://www.muenchen-transparent.de/dokumente/6733827/datei. Vgl. Grundner, Hubert, Einspruch aus der Ferne, in SZ 23.8.2021 []
  13. Stäbler, Patrik, Knabbern am Erdbeerfeld, in SZ  4.2.2022 []
  14. Krass, Sebastian, Plötzlich geht der Baumschutz vor, in SZ 10.2.2022 []
  15. Krass, Sebastian, Erste Sparmaßnahmen treffen soziale Träger, in SZ 22.5.2021; Neubau in zwei, drei Jahren, in SZ 27.8.2020; Draxel, Ellen, Chancenlos, in SZ 23.1.2021 []
  16. Effern, Heiner, Bis zu 70 Prozent weniger Miete, in SZ 25.1.2021 []
  17. Naujokat, Anita, Aufschwung im Norden, in SZ 26.1.2021 []
  18. Hoben, Anna, Kastner, Bernd, Wieder Luft nach oben, in SZ 26.1.2021; Stadt verärgert über Richter-Spruch, in SZ 27.1.2021 []
  19. Lotze, Birgit, Bezahlbare Mieten in SZ 27.1.2021 []
  20. Kastner, Bernd, Ein Rekord trotz Pandemie, in SZ 29.1.2021 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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