Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Dezember 2021

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 15.8.2022

Dezember 2021: Die nächsten 14.500 qm Büroflächen. Die alte Conrad-Filiale an der Hanauerstraße 91 in Moosach wird gerade abgerissen. „Die RH Unternehmensgruppe, ein Experte für gewerbliche Projektentwicklung aus München, realisiert gemeinsam mit dem Münchner Investmentspezialisten Competo Capital Partners das BusinessQuartierGO FOUR IT‘ in München. In unmittelbarer Nähe zum OlympiaEinkaufszentrum gelegen, bietet der Komplex in der Hanauer Straße 91 rund 38.400 m2 Bruttogrundfläche, verteilt auf vier Gebäude.“1 Der Vorsitzende des BA-Unterausschusses für Bau, Umwelt, Klima und Wirtschaft, Martin Ziegler (SPD), verwies auf die mühsame Suche für die Geschäftsstelle des BA Moosach und begrüßte den Bau: „Wir haben in Moosach Bedarf an Büroräumen.“ ((Stolz, Benjamin, Vier gewinnt, in SZ 1.12.2021))
Ob so kleine Einheiten wohl von Go four it vermietet werden?

Dezember 2021: Mehr Verkehr – ohne Entlastung. Anwohner in Alt-Solln und die Stadtverwaltung liegen über Kreuz. Eine Initiative für Verkehrsberuhigung hat Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Mobilitätsreferat eingereicht. Dieses wollte eine verkehrstechnische Untersuchung zur Reduzierung des Durchgangsverkehrs in Auftrag geben, der dann aber wegen Geldmangels durch die Corona-Pandemie nicht erteilt wurde. Das Mobilitätsreferat hielt verkehrsentlastende Maßnahmen im Bereich Wolfratshauser-, Herterich- und Eberlestraße aktuell „nicht für eine vordringliche Aufgabe“.2

Dezember 2021: Betroffene Mieter demonstrieren. Am 4.12.2021 haben am Leonrodplatz um die 75 betroffene Mieter für bezahlbaren Wohnraum demonstriert. Ein konkreter Punkt war die Situation im Karree Schleißheimer Straße, wo Jargonnant Partners aus Luxemburg Wohnungen aufstockt und die ehemals grüne Innenhofoase mit einem Wohnhaus zerstört. In die Kritik geriet auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches das Vorkaufsrecht für Kommunen entscheidend einschränkt.3

Dezember 2021: FDP bremst beim Vorkaufsrecht. Die Münchner Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU) ist für eine möglichst rasche Gesetzesänderung im Baugesetzbuch, um nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts das Vorkaufsrecht der Kommunen wieder zu stärken. In den inzwischen 30 Münchner Erhaltungssatzungsgebieten wohnen rund 336.000 Bewohner. Der Münchner FDP-Bundestagsabgeordnete Daniel Föst will dagegen erst prüfen, ob das Vorkaufsrecht für die Kommunen wirklich so wichtig ist. Ihm wäre es am liebsten, „wenn wir Hunderte von Millionen Euro nicht in Vorkaufsrechte stecken würde, sondern in den Bau neuer Wohnungen“.4
Arme Münchner Mieter!
Vgl.: Vorkaufsrecht

Dezember 2021: Vernichtendes Urteil. Wie schon erwähnt, hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts das Vorkaufsrecht der Kommunen fast auf das Niveau von „Schrottimmobilien“ eingeschränkt, deren Nutzung nicht dem ursprünglichen Wohnzweck entspricht, d. h., sie werden nicht entsprechend genutzt, stehen weitgehend oder ganz leer oder verfallen. In München wird sich der Stadtrat am 15.12.2021 mit der neuen Lage befassen. Hier steht der Ankauf von fünf Anwesen an, der durch dieses Urteil nun erst einmal nicht mehr zur Debatte steht: Gabelsbergerstraße 77, Milchstraße 1, Balanstraße 31, Griegstraße 51/53 und Ohlstadter Straße 6a: Bei allen Objekten werden die Investoren zum Zug kommen. Hinzu kommt die Ligsalzstraße 35, bei der die Stadt das Vorkaufsrecht ausgeübt hat, das aber noch nicht rechtskräftig ist. Falls die Stadträte sich über das Urteil hinwegsetzten, würden sie sich der Untreue schuldig machen. Die grün-rote Rathauskoalition drängt auf eine Änderung des Baugesetzbuches. Die FDP will, wie ihr Bundestagsabgeordneter Daniel Föst schon kundtat, erst prüfen lassen, ob das Vorkaufsrecht für die Kommunen tatsächlich ein wichtiges Instrument ist. Jörg Hoffmann, der Münchner FDP-Vorsitzende im Stadtrat, verkündete: „Ich finde das Urteil gut.“5

Dezember 2021: Münchner Heißzeit. Der Münchner Stadtrat hatte Ende 2019 den Klimanotstand ausgerufen und beschlossen, dass München nicht erst 2050 sondern schon 2035 „klimaneutral“ sein soll. Hierzu lag im Dezember 2021 ein Gutachten vor, wie dies umgesetzt werden könne. Der bisherige Stand: München hat ein Klima-Budget bis 2025 von über 590 Millionen Euro. Davon sollen 390 Millionen Euro in den Umbau der Stadt fließen, um Hitzeextreme und Dürreperioden begegnen zu können. Die Münchner Stadtviertel sollen nach und nach klimaneutral werden. Etwa 30 Prozent der Treibhausgase in München werden beim Heizen emittiert (ungefähr 80 Prozent durch Erdgas- und Erdölheizungen). Die Stadtwerke müssen hier eine klimaneutrale Strategie entwickeln. Die Stadtviertel sollen in vier Typen systematisiert werden. Lücken im Fernwärmenetz sollen geschlossen werden. Bei Neubauten oder beim Austausch alter Heizungen soll ein Anschluss an das Fernwärmenetz erfolgen. Angedacht wird ein Verbot fossiler Heizungen. Wo das Fernwärmenetz nicht kostengünstig ist, sollen die Gebäude mit erneuerbaren Energien beheizt werden. Die Stadtwerke können aber auch nicht ihr Fernwärmenetz weiterhin fossil beheizen. Deshalb muss z. B. die Tiefengeothermie ausgebaut werden: Man rechnet mit Kosten bis zum Jahr 2050 von 0,9 bis 1,8 Milliarden Euro.
Gleichzeitig soll der Heizenergieverbrauch durch den Standard Effizienzhaus 40 bei Neubauten gesenkt und im Bestand der Standard Effizienzhaus 55 erreicht werden. Die Stadt will bis 2025 für 128 Millionen Euro ihr „Förderprogramm Energieeinsparung“ ausbauen; davon sind 74 Millionen Euro für die Erreichung höherer Energiestandards vorgesehen. Mit 60 Millionen Euro soll eine Münchner Sanierungs- und Energie-Agentur aufgebaut werden. Der Strom soll zu 20 bis 25 Prozent über Photovoltaikanlagen entstehen; bis 2030 sollen 40 Prozent der verfügbaren Dachflächen mit PV-Anlagen versehen sein. Bis 2025 sollen mit rund 22,5 Millionen Euro Hauseigentümer und Mieter bei der PV-Nachrüstung unterstützt werden.
20 Prozent der Münchner Treibhausgase entstehen im Verkehrssektor, davon 90 Prozent durch Pkws und Lkws. Deshalb soll der ÖPNV ausgebaut und mehr Elektromobilität im Stadtverkehr eingesetzt werden. Das Förderprogramm „München emobil“ soll verlängert und um zwölf Millionen Euro erhöht werden. Mit 15 Millionen Euro soll der städtische Fuhrpark schneller auf elektrischen Antrieb umgestellt werden.6
Jakob Wetzel kommentierte in der SZ, dass die Klimaneutralität wohl eher im Jahr „204X“ erreicht werden wird. 2035 seien laut Gutachten die Emissionen pro Münchner bei 1,76 Tonnen CO2: Das Ziel wäre bei 0,3 Tonnen CO2 gelegen. Das anspruchsvolle Klimaziel wird verfehlt, aber: „Entscheidend wird vielmehr sein, ob es der Stadt gelungen ist, so schnell wie möglich ihre Emissionen zu reduzieren.“7
Die „Klimaneutralität“ ist ein hehres Ziel, das aber mit der derzeitigen Münchner Stadtpolitik unrealistisch ist. Denn das Stadtklima ist von vielen Faktoren abhängig. Einer ist das Bevölkerungswachstum: Ende 2020 lebten 1,593 Millionen Menschen in München; 2040 sollen es laut Stadtplanung 1,845 Millionen sein.8 Eine runde Viertelmillion Einwohner mehr, die alle hier wohnen und leben, mobil sein und arbeiten wollen. Dazu kommt, wie hier schon oft erwähnt, das geplante Zubauen von weiteren 2000 Hektar, die bisher landwirtschaftliche Fläche oder Grünfläche waren, zumindest nicht versiegelt. Und der von den Stadtwerken sehr stark gesteigerte Ausbau der erneuerbaren Energien läuft schädlich füür die Natur und den Artenschutz ab.
Vgl. hierzu: Wolfgang Zängl, Erneuerbare Energien und Der Bio-Kapitalismus, München 2020

Dezember 2021: Stadtwerke steigen aus dem Ölgeschäft aus. Passend zum Thema oben: Die Stadtwerke München gaben am 8.2.2021 bekannt, dass sie mit ihrem Partner, der britischen Centrica, Erdöl- und Erdgasquellen in der Nordsee vor Norwegen verkauft haben. Damit reduzierten SWM und Centrica ihre Ölproduktion um 92 und ihre Gasreserven um 38 Prozent. Der Verkaufspreis betrug um eine Milliarde Euro; auf die SWM entfallen rund 300 Millionen Euro. Käufer sind die norwegischen Unternehmen Sval Energi und Equinor (Staatsanteil etwa 70 Prozent). Der SWM-Geschäftsführer Florian Bieberbach kommentierte den Verkauf so: „Dieser weitere Schritt auf dem Weg der SWM-Dekarbonisierungsstrategie steht im Einklang mit den kürzlich angekündigten Bestrebungen der Stadt München, den Einsatz von Heizöl und Erdgas im Wärmemarkt stark zu reduzieren.“9
Vgl. dazu: Dezember 2020

Dezember 2021: Noch ein Hotel. Das Gebäude an der Ecke Schwanthaler-/Sonnenstraße soll abgerissen und durch einen Hotelbau mit über 270 Zimmern ersetzt werden. Bauherr ist Harry Habermann mit dem Architekturbüro Graf Maltzan. Die Stadtgestaltungskommission hatte im Juli 2021 beim ersten Entwurf Korrekturen angeraten. Auch der neue Entwurf bezog sich auf die historische Bebauung der Sonnenstraße, die aber im Zweiten Weltkrieg zerstört und durch Bauten der Fünfzigerjahre ersetzt wurde. Nach wie vor gab es Kritik an der Geschoss- und Fassadengestaltung („historisierend“, „deplatziert“). Der Architekt will noch eine Bemusterung der Fassade liefern. Da die Stadtgestaltungskommission keinen Einspruch erheben kann, werden die Baupläne wohl demnächst eingereicht.10
Ob ein weiteres Hotel bei der derzeitigen Unterbelegung der Münchner Hotels wirklich sinnvoll ist, wird wohl der Investor wissen.

Dezember 2021: Pasing und die Neubauten. An der Ecke Bodenseestraße/Maria-Eich-Straße hat der BA 21 Pasing – Obermenzing  den Bau eines sechsgeschossigen Gebäudes (Wohnraum- oder Büronutzung) abgelehnt, da das ganze Grundstück mit Keller und Tiefgarage bebaut werden soll. Die Fläche liegt in einem Bereich mit Gartenstadt-Charakter: Der Bau hätte das Abholzen großer Bäume bedeutet. Auch an der Bergsonstraße 79 bis 81 hat der BA den Bau von einem Doppelhaus, zwei Einfamilienhäusern, sechs Reihenhäusern und einem Tiny House abgelehnt: Auch hier hätte eine große Tiefgarage keine Baumpflanzungen erlaubt. An der Schuegrafstraße 6 bis 8 sollte ein fünfgeschossiges Bürogebäude mit einer großen Tiefgarage im hinteren Grundstücksbereich und oberirdischen Stellplätzen ohne Begrünung errichtet werden: Auch hier sprach sich der BA gegen den Neubau aus.11

Dezember 2021: Was der OB so meint. Im SZ-Interview äußerte OB Dieter Reiter eine interessante Zahl: Der MVV hat in den nächsten Jahren einen Gesamt-Investitionsbedarf von 42 Milliarden Euro. Reiter gab hier dem jetzigen Verkehrsminister (FDP) und seinen Vorgängern von der CSU eine Mitschuld, welche den Individualverkehr präferierten.
Dass diese unglaubliche Zahl von 42 Milliarden Euro zu einem guten Teil mit dem irrwitzigen Wachstumsprogramm der Stadt durch den grenzenlose Zuzug von Arbeitsplätzen und Neubürgern in Zusammenhang steht, erwähnte Reiter natürlich nicht.
Zu den geplanten Büschl-Hochhäusern verwies Reiter auf das Bürgergutachten: Hier wurden die Teilnehmer geschult, um das Gutachten auszuformulieren, und dann verlangten die Grünen mittendrin einen Bürgerentscheid. „Ich habe überhaupt keine Lust darauf und auch keinen Anlass, über Dinge, die der Stadtrat nach einer Bürgerbeteiligung entscheiden kann, noch einmal die Bürger zu befragen.“12
Glücklicherweise kann ein Bürgerbegehren auch gegen den Wunsch eines Oberbürgermeisters durchgeführt werden.
Vgl. dazu: Paketposthalle

Dezember 2021: Nachrichten aus dem Dampfkessel. Der frühere OB Georg Kronawitter hatte schon Anfang der 90er Jahre München mit dem Begriff des „Dampfkessels“ beschrieben und vor „Überhitzung“ gewarnt. Seither ist das Gegenteil der Fall: Der Druck wird systematisch erhöht. Aus einer Anzeige von Colliers in der SZ vom 11.12.2021 über das aktuelles Büroangebot: B-MUNICH, am Hauptbahnhof, ca. 7230 qm Büroflächen. Ginger & Moss, Neuhausen – Nymphenburg: ca. 35.240 qm Büroflächen. KUPA, Pasing: ca. 4550 qm Büroflächen. Olympia Business Center, am Olympiapark: noch ca. 14.940 qm verfügbar. Neue Siederei, nahe FIZ: noch ca. 5530 qm verfügbar. Friedenstrasse, im Werksviertel: ca. 7580 qm Bürofläche. AER, in Neuperlach: 41.990 qm Bürofläche. Dazu Büroflächen in Dachau, Hallbergmoos, Ottobrunn.

Dezember 2021: Nächstes Traditionshaus schließt. 1825 kam Josef Obletter aus Südtirol nach München und verkaufte in seinem Laden am Schrannenplatz (Marienplatz) seine selbstgefertigten Holzspielsachen. 1927 zog das Stammhaus an den Stachus um. Obletter eröffnete eine Filiale an der Leopoldstraße 25 und am Marienplatz: Bis 1984 waren es bundesweit 30 Filialen. Dann kam Obletter in Schwierigkeiten; Filialen wurden geschlossen. 1997 wurden die zwölf noch bestehenden Obletter-Filialen vom Drogeriemarkt-Konzern Müller übernommen, der dann nacheinander alle Filialen bis auf das Stammhaus am Stachus schloss. Und auch dieses wird nun Ende 2022 zusperren. Vermutlich können die 1500 qm Verkaufsfläche auf zwei Etagen wesentlich lukrativer vermietet werden.13 Wolfgang Fischer ist bei City-Partner tätig, einem Zusammenschluss von Unternehmer der Münchner Innenstadt und stellte dazu fest, dass es nach dem Ende von Obletter kein echtes Spielzeuggeschäft mehr in der Innenstadt gibt.14
Nachtrag März 2022: Am 21.3.2022 gaben der Betreiber Müller-Konzern und die Vermieterin Bayerische Hausbau in einer Pressemitteilung bekannt, dass der Mietvertrag nicht wie geplant zum 31.1.2023 ausläuft, sondern verlängert wird. Obletter wird ohne Stellenabbau mit dem Personalstamm weiter bestehen. Man sei, so die PM, von der Resonanz der Obletter-Kunden überwältigt gewesen.15

Dezember 2021: Anmerkungen zur neuen Bauministerin. Klara Geywitz (SPD) leitet das neugeschaffene Bauministerium: Im Koalitionsvertrag steht der Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen. Laura Weissmüller hat dazu einige kritische Anmerkungen in der SZ gemacht. Ihr Parteikollege, OB Dieter Reiter aus München, fragt sich, wo die Grundstücke hierfür herkommen sollen. Die Zahl von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr sollte auch kritisch hinterfragt werden: Schließlich zählt der Bausektor zu den übelsten Klimasündern und CO2-Emittenten. Außerdem gibt es gleichzeitig in deutschen Städten einen hohen Leerstand. (Der kommt daher, weil in die immer selben Ballungszentren neue Firmen angesiedelt werden und damit auch neue Bewohner; WZ) Weissmüller weist völlig zu Recht auf den Gegensatz „schneller Wohnungsbau und ökologische Nachhaltigkeit“. Bevorzugt sollte auch umgebaut und nicht abgerissen werden, da endlich auch die graue Energie berücksichtigt werden muss. Geiwitz will auch eine staatliche Förderung für Mittelschichtfamilien mit Kindern: Das gab es schon mit dem „Baukindergeld“, das vor allem der Bauwirtschaft zugutekam. Geiwitz wendet sich gegen Enteignung, die keine neuen Wohnungen schaffen würde, verkennt aber, dass damit Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen umstrukturiert werden sollen. Einen interessanten Hinweis gibt Weissmüller zum sozialen Wohnungsbau: „Kein anderes Land leistet sich den Irrsinn, sozialen Wohnungsbau zu schaffen und diesen mit einem Ablaufdatum zu versehen.“ (Kleine Gegenrede: In Frankreich ist dies partiell auch der Fall; WZ)16
Vgl.: Verbietet das Bauen

Dezember 2021: Gewerbe statt Wohnungen. In der Parkstadt Schwabing hat der Investor Argenta auf den Bau von 800 Wohnungen verzichtet und lukrativere Gewerbebauten vorgezogen. Nun passiert Ähnliches durch ECE in Moosach. „Die ECE Group GmbH & Co. KG ist ein deutsches Unternehmen mit Hauptsitz in Hamburg, das mit den spezialisierten Gesellschaften ECE Marketplaces, ECE Work & Live und den ECE Real Estate Partners umfangreiche Immobiliendienstleistungen und Fondsmanagement unter einem Dach erbringt. Das Unternehmen ist im Besitz der CURA Vermögensverwaltung, der Holding-Gesellschaft der Familie Otto.“ (Aus Wikipedia) ECE wollte neben dem von ihr betriebenen Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in Moosach 700 Wohnungen bauen. Inzwischen gilt, wie im grün-roten Koalitionsvertrag vereinbart, ein vom Planungsreferat ausgearbeitetes Baukasten-Modell, wonach bis zu 60 Prozent geförderter oder preisgedämpfter Wohnraum vor mit einer Zeitbindung von 40 Jahren (bisher 25); 80 Prozent Mietwohnungen entstehen müssen. (Vgl.: SoBoN) ECE erklärte nun, aufgrund der neuen SoBoN-Regeln sei das Projekt nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Das Planungsreferat hat daraufhin ECE Gespräche angeboten und um eine zugrunde liegende Berechnung gebeten: bislang ohne Ergebnis17
Hierzu ein Zitat von Architekt Hans Kollhoff: „Alexander Otto, dem es gelang, seine ECE-Shoppingcenter republikweit in die Innenstädte zu schmuggeln, indem er mit dem Slogan ‚Lebendige Stadt‘ Baudezernenten, Bürgermeister, Stadt und Landräte am Runden Tisch versammelte, um Preise zu vergeben, etwa für die beste Illumination und Schecks auszustellen: 10.000 Euro für eine soziale Einrichtung hier und 5000 Euro für einen Verein dort. Alexander Otto, der dafür sorgte, dass in diesen Innenstädten außer Einkaufen kein Leben mehr stattfand, betont jetzt, ‚bisher reine Handelsstandorte müssten zu lebendigen Stadtquartieren weiterentwickelt werden‘, es gehe um ergänzende Nutzungsformen wie Hotels, Wohnen, Büros, Fitnessstudios und Freizeitvergnügen. Viel mehr fällt ihm also auch nicht ein. Und den Bürgermeistern noch weniger, denen geht es oft nur darum, ihre leidenden Städte aus der Anonymität zu katapultieren nach dem Prinzip Elbphilharmonie, koste es, was es wolle.“18

Dezember 2021: Unergründliche Investitionen. Die HypoVereinsbank (Unicredit) hat ihren Stammsitz in Münchens Altstadt nahe dem Promenadeplatz verkauft, ebenso ihr Areal am Tucherpark. (Die bekannteste Niederlassung der HVB, das Hypo-Hochhaus, steht unter Denkmalschutz.) Nun plant die HVB eine neue Verwaltungszentrale für 2500 Mitarbeiter zwischen dem Haidenauplatz und dem Leuchtenbergring. Die Pläne werden vom Architekturbüro Henn erarbeitet (u. a. FIZ/BMW, Gasteig-Modernisierung, Fraunhofer-Hochhaus an der Donnersberger Brücke). Der Entwurf zeigt verschobene Kuben, laut Architekten eine „gestaffelte Kubatur“.19

Dezember 2021: U-Bahn nach Freiham. Zunächst wird die U5 nach Pasing verlängert. Der Bund Naturschutz hatte protestiert, dass in der Gotthardstraße 530 Bäume mit einem Stammdurchmesser von über 80 Zentimeter gefällt werden müssten. Baureferentin Rosemarie Hingerl berichtete, es seien „nur“ 384 Bäume, die wegen der Deckelbauweise gefällt würden. Der Stadtrat hat am 15.12.2021 einstimmig für den Bau der Trasse votiert. Die Bauzeit wird auf sechs bis acht Jahre geschätzt. Danach soll die U5 mit 4,7 Kilometer Länge weiter nach Freiham gebaut werden.
Die Strecke ist 3,2 Kilometer lang und soll (derzeit) eine knappe Milliarde Euro kosten. Der Bund soll nach Vorstellung der Stadtverwaltung 75 Prozent der Kosten übernehmen, der Freistaat weitere 15 Prozent: Zehn Prozent entfielen für die Stadt übrig. Bislang gab es aber nur eine Zusage des früheren Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU). Das Baureferat schätzte inzwischen die Zuschüsse auf maximal 150 bis 200 Millionen Euro. Der Fahrgastverband Pro Bahn warnte deshalb vor einem „Milliardengrab“.20
Ein Sachzwang zieht den nächsten nach sich. Der Moloch München fordert seinen Preis.

Dezember 2021: Immer noch teurer. Die amtlichen Gutachterausschüsse haben ihren Marktbericht vorgelegt, für den etwa eine Million notarieller Kaufverträge ausgewertet wurden. 2020 wurden in Deutschland 310 Milliarden Euro in deutsche Immobilien investiert. Von 2010 bis 2020 wurden gebrauchte Eigentumswohnungen um 85 Prozent teurer, Ein- und Zweifamilienhäuser um 75 und Baugrundstücke um 65 Prozent. In München und seinem Umland kostete der Quadratmeter Wohnfläche durchschnittlich rund 11.000 Euro. 600 qm Baugrund liegen hier bei 1,3 Millionen Euro. Der Teuerungstrend wird laut Gutachter trotz Corona anhalten: niedrige Zinsen, zu wenig Bauland und Wohnungen, Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft und steigende Baukosten.21 Im Jahr 2020 wurden in Deutschland etwa 217 Milliarden Euro für Wohn-Immobilien ausgegeben (plus sieben Prozent). In München lag der Quadratmeterpreis für Eigentumswohnungen im Bestand bei 8150 Euro.22

Dezember 2021: Wann platzt die Blase? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat bei einer Untersuchung der drei größten deutschen Städte Berlin, Hamburg und München festgestellt, dass es hier – wie auch in anderen großen deutschen Städten -, zu „spekulativen Übertreibungen“ kommt. Die Konsequenz könnte ein künftiger Preisverfall sein. Die letzten zehn Jahre sind die Mieten im Durchschnitt um etwa 50 Prozent gestiegen, die Preise für Immobilien sind um 100 Prozent gestiegen. Die DIW-Auswertung ergab, dass eine Immobilie in deutschen Großstädten inzwischen 24 Jahresmieten kostet: Damit erfüllt sie weniger die Funktion als Altersvorsorge als die des Spekulationsobjektes. Banken haben in Deutschland 2021 rund 270 Milliarden Euro an Krediten für Wohnimmobilien vergeben: bei Immobilienschulden von insgesamt circa 1,7 Billionen Euro.22

Dezember 2021: Öffentliche Luxus-Mieten. Das Münchner Immobilienunternehmen Accumulata wurde von der Euro Real Estate (Wilhelm von Finck Gruppe) mit dem „Redevelopment“ des Anwesens Neuhauser Straße 20 mit insgesamt etwa 14.000 qm beauftragt. Der bisherige Mieter Karstadt Sports (Signa Gruppe) hat die Räumlichkeiten im Zuge eines Schutzschirmverfahrens aufgegeben. Baubeginn ist das erste Quartal 2021, die Fertigstellung soll 2023/24 erfolgen.23 Mieter von etwa 9600 qm wird die Max-Planck-Gesellschaft: Sie überbietet noch das Bayerische Innenministerium, das 40 Euro Miete pro qm im ehemaligen Firmensitz der Linde-AG am Oberanger bezahlte. Zu dem von Experten genannten Quadratmeter-Preis von 47 Euro erklärte die MPG, er sei niedriger.24

Dezember 2021: Ruin eines Baudenkmals. Das Haus Schubertstraße 8 wurde 1895 vom Münchner Architekten Wilhelm Spannagl gebaut und steht unter Denkmalschutz. 2009 wurde das Gebäude verkauft, die Mieter hinausgesetzt. Sechs Wohnungen und ein Penthouse waren geplant. Dann wurde die Schubertstraße 8 einige Male weiterverkauft. 2015 begannen einige Bauarbeiten. Anwohner beschwerten sich bei der LBK über den Verfall des Denkmals. 2017 wurde ein Baustopp mit Zwangsgeld verhängt. 2019 wurde eine neue Baugenehmigung erteilt. Das Dach ist inzwischen ungedeckt; Plastikplanen wurden weggeweht. Die Untere Denkmalschutzbehörde hat inzwischen ein Verfahren eingeleitet. Das Sozialreferat beanstandete den Leerstand. Jetziger Eigentümer ist laut Grundbuch der Ungar Roland Pecsenye bzw. seine Firma RPM Consulting. Er teilte im Sommer 2020 dem BA Ludwigstadt – Isarvorstadt mit, ein Partner sei eingestiegen für die weitere Sanierung. Ein neuer Umbauantrag wurde von der Stadt abgelehnt, da keine Stellplatzablöse bezahlt worden war. 2020 wurde die Schubert Live GmbH zur Verwaltung der Immobilie gegründet. Inzwischen wird die Immobilie Schubertstraße 8 nach der Sanierung für über 50 Millionen Euro inseriert.25
Nachtrag Mai 2022: Kurz vor einem Ortstermin mit der Stadtverwaltung und dem BA wurde ein Gerüst am Haus aufgestellt und die Fenster abgedichtet. Es sind fünf Büroeinheiten im Untergeschoß und fünf Wohnungen mit etwa 200 qm geplant. Hinter dem Haus sollen zwölf Stellplätze entstehen, zum Teil mit Autolift. Der Bauleiter rechnet mit zwei Jahren Bauzeit, sofern die Finanzierung klappt und die Engpässe nicht noch ärger werden.26

Dezember 2021: Münchner Foto-Geschichten. Das Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) hat bei Google Arts & Culture über 16.000 historische Fotos veröffentlicht. In der SZ wurden einige aufschlussreiche Vergleiche abgebildet.27

  1. https://www.rh-unternehmensgruppe.de/wp-content/uploads/2021/12/Go_Four_It_Pressemitteilung_final.pdf []
  2. Wolfram, Jürgen, Der Stau bleibt,, in SZ 1.12.2021 []
  3. Hoben, Anna, „Die Miete raubt uns den Schlaf“, in SZ 6.12.2021 []
  4. Krass, Sebastian, FDP will Regelung erst prüfen, in SZ 7.12.2021 []
  5. Krass, Sebastian, Verzicht auf Vorkaufsrechte, in SZ 8.12.2021 []
  6. Wetzel, Jakob, Allen eins aufs Dach, in SZ 7.12.2021 []
  7. Wetzel, Jakob, Überambitioniert, aber richtig, in SZ 7.12.2021; vgl. auch November 2021 []
  8. https://stadt.muenchen.de/infos/bevoelkerungsprognose.html []
  9. Effern, Heiner, München steigt aus Ölgeschäft aus, in SZ 9.12.2021 []
  10. Krass, Sebastian, „Sehr historisierend“ und „deplatziert“, in SZ 9.12.2021 []
  11. Draxel, Ellen, Nicht um jeden Preis, in SZ 11.12.2021 []
  12. Effern, Heiner, Hoben, Anna, „Ich bin kein Freund einer Impfpflicht“, in SZ 11.12.2021 []
  13. Hoffmann, Catherine, Wetzel, Jakob, Das Ende eines Traditionsladens, in SZ 14.12.2021 []
  14. Crone, Philipp, Eine Kraftquelle für die Fantasie versiegt, in SZ 18.12.2021 []
  15. Krass, Sebastian, Spielwarenladen Obletter bleibt, in SZ 22.3.2022 []
  16. Weissmüller Laura, Bitte keinen Mist bauen, in SZ 15.12.2021 []
  17. Krass, Sebastian, Investoren stoppen Bau von 700 Wohnungen, in SZ 15.12.2021 []
  18. Kollhoff, Hans, Architekten. Ein Metier baut ab, Springe 2022, S. 9f []
  19. Dürr, Alfred, Würfel statt Turm, in SZ 16.12.2021 []
  20. Schubert, Andreas, Bahn frei für die U5 nach Pasing, in SZ 16.12.2021 []
  21. Immobilien werden teurer, teurer – und teurer in spiegel.de 21.12.2021 []
  22. Radomsky, Stephan, Bis sie platzt, in SZ 22.12.2021 [] []
  23. http://www.deal-magazin.com/news/3/99026/Ex-Karstadt-Sports-Gebaeude-am-Muenchner-Stachus-wird-neupositioniert []
  24. Krass, Sebastian, Forscher ziehen in früheren Karstadt Sports, in SZ 22.12.2021 []
  25. Kramer, Lea, Warum ein prachtvolles Mietshaus seit Jahren verfällt, in SZ 29.12.2021 []
  26. Raff, Julian, Weit entfernt von alter Pracht, in SZ 7.5.2022 []
  27. Wetzel, Jacob, Es war einmal in München, in SZ 31.12.2021; aktuelle Fotos: Alessandra Schellnegger []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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