Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Oktober 2021

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 16.8.2022

Oktober 2021: Ballungsgebiete wuchern nach außen. Die Preise in den Großstädten steigen ins Unermessliche: Seit längerem weichen die Käufer auf Klein- und Mittelstädte aus (siehe oben). Der Kreditvermittler Interhyp hat nun festgestellt, dass 2019 etwa 40 Prozent der Bewohner von Metropolen außerhalb Immobilien kauften; 2021 stieg diese Quote auf 43 Prozent. In München, der teuersten Immobilienstadt, stieg die Quote von 46 auf 49 Prozent.1

Oktober 2021: Schwieriger Kampf gegen Mietenexplosion. Die Stadt München hat wenige Möglichkeiten, gegen die ständig steigenden Mieten vorzugehen. Rechtlich bleiben die Erhaltungssatzungsgebiete und das Vorkaufsrecht. Das Programm „Wohnen in München“ verschlang von 2017 bis 2021 etwa 870 Millionen Euro und wird demnächst für 2022 bis 2026 fortgeschrieben. Das „Baulandmobilisierungsgesetz“, im Juni 2021 vom Bundestag ratifiziert, harrt nach wie vor der Umsetzung durch die bayerische Staatsregierung. Weitere Maßnahmen von einer Bodenrechtsreform bis zur im Januar 2021 gekippten neuen Zweckentfremdungsverordnung fallen in die Kompetenz von Bund und/oder Länder. Die Mietpreisbremse ist ein kommunales Instrument: Bei Neuvermietungen darf die ortsübliche Miete um nicht mehr als zehn Prozent überschritten werden. Falls der Vormieter schon mehr bezahlt hat oder die Wohnung modernisiert wurde, entfällt die Zehn-Prozent-Hürde.2

Oktober 2021: Hitze in der Stadt. Die Klimakatastrophe wird sich vor allem in der Stadt auswirken. Forscher der Columbia University haben die Daten von 13.000 Städten analysiert. Die Belastung der Stadtbewohner durch Hitze hat sich hier seit den 1980er Jahren verdreifacht. Die Gründe sind der erhöhte globale Zuzug in Städte, der Wärmeinseleffekt, das Fehlen kühlender Vegetation, der hohe Grad der Versiegelung.3

Oktober 2021: 2000 neue Arbeitsplätze. Der Sicherheitskonzern Giesecke und Devrient baut auf einem Drittel seines Areals an der Ecke Vogelweide- und Prinzregentenstraße einen Technologie-Campus für 2000 Arbeitsplätze. Die Büroimmobilie „Der Bogen“ hat acht Geschosse und wird 2024 fertiggestellt.4

Oktober 2021: Klima-Politik und Klima-Ruinierung. Die Stadtpolitik plant – wie bereits mehrfach erwähnt -, den weiteren Zubau und damit die Versiegelung von 2000 Hektar des Stadtgebietes (SEM Nord 900 Hektar, SEM Nordost 600 Hektar, Eggarten 21 Hektar, Lerchenauer Straße 23 Hektar, Truderinger Feld 7 Hektar, dazu Freiham, Allach, Riem usw.) Gleichzeitig versucht die Stadt, mit einem Klimabudget von 100 Millionen Euro die von ihr selbst mitgeförderte Klimaerwärmung einzubremsen. Der geplante gigantische Zubau von Wohngebäuden und Gewerbebauten in München soll nicht etwa gestoppt, sondern mit Null- und Plusenergiehaus-Standard ermöglicht werden. Ein „Klimafahrplan“ des Planungsreferates für städtische Bauten soll die Klimaneutralität bis 2035 ermöglichen. Gleichzeitig soll neues Baurecht für einen weiteren Zubau und eine weitere Versiegelung geschaffen werden.5
Glaubt eigentlich in der Stadtverwaltung wirklich jemand an das lautstarkwiederholte Ziel, dass München bis 2035 klimaneutral sein wird? Durch häufige Wiederholung wird ein Ziel nicht realistischer.

Oktober 2021: Profit kündigt Kino. An der Sollner Straße 43a zeigt das Kino Solln (früher: Studio Solln) seit 1994 Filme; es ist inzwischen das einzige Kino im Münchner Süden. 2013 hat es den Kinoprogrammpreis der Stadt München bekommen. Ende August hat die Sedlmayr Haus- und Gewerbebau GmbH bei der LBK einen Antrag auf Nutzungsänderung gestellt: Aus dem Kino soll ein Wohn- und Geschäftshaus werden.6
Nachtrag: Auf der Bürgerversammlung am 14.10.2021 wurde vehement der Erhalt des Kinos gefordert. Versammlungsleiterin und Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) berichtete, das Thema sei bereits im Stadtrat angekommen.7
Die Wende: „Die Sedlmayr Grund und Immobilien AG firmierte zu Zeiten, als das Brauen im Mittelpunkt der Firmenaktivitäten stand, als Gabriel Sedlmayr Spaten-Franziskaner- Bräu KGaA und umfasste die Geschäftsbereiche Brauerei und Immobilien.“ (https://www.sedlmayr-ag.de/geschichte.html) Nun hat der frühere Spaten-Geschäftsführer und Aufsichtsrats-Ehrenvorsitzende der Sedlmayer AG, Jobst Kayser-Eichberg, interveniert: Das Kino kann weiterbetrieben werden. Kayser-Eichberg zufolge hätte man einen Antrag auf Vorbescheid stellen können, anstatt gleich einen fertigen Bauantrag einzureichen. Der öffentliche Druck von BA 19, dem Stadtrat, der Bürgerversammlung und anderen Institutionen hatte letztlich den Meinungsumschwung bewirkt.8
In den letzten Jahren wurden bereits u. a. die Münchner Kinos Türkendolch, Tivoli, Gabriel, Film Casino, Münchner Freiheit etc. geschlossen: Weitere stehen auf der Kippe. Ähnlich wie bei Kitas und anderen Sozialeinrichtungen erfolgen die Kündigungen bei Kinos, um mit Wohnungen mehr Profit zu machen. Aber der häufig genannte Grund lautet: die arge Wohnungsnot!

Oktober 2021: Immer teurer. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat für das Immobilienunternehmen Accentro 123.000 Verkäufe von Eigentumswohnungen in den 81 größten Städten untersucht. Der Gesamtumsatz lag 2020 bei über 36 Milliarden Euro. In München wurde 5,7 Milliarden Euro umgesetzt. Eine Eigentumswohnung war hier am teuersten und kostete im Durchschnitt 580.000 Euro (ein Plus von 45.000 Euro zu 2019).9

Oktober 2021: Weiteres Zubauen in der Gartenstadt Solln. Die Rugendastraße 9 und 11 ist ein grünes, 1600 Quadratmeter großes Grundstück, auf dem derzeit ein kleines Häuschen steht. Es soll mit zwei Mehrfamilienhäusern mit 16 Wohneinheiten und einer Tiefgarage zugebaut werden. Anwohner sammeln gegen diese massive Bebauung Unterschriften und kritisierten die „banale Schuhkartonarchitektur“. Der BA 19 protestierte gegen die Baupläne: Viele Bäume würden gefällt, zu viel Fläche würde versiegelt. Auch der BN forderte den Erhalt des wertvollen Baumbestandes. Hier gibt es u. a. eine 28 Meter hohe Douglasie (Stammumfang 3,55 Meter), eine 20 Meter hohe Lärche (mit 2,70 Meter) und einen 16 Meter hohen Walnussbaum (mit 2 Meter). Außerdem soll es Fledermäuse, Braunkehlchen, Grünspecht, Grünfink und Eichhörnchen geben.10
Nachtrag August 2022: Die Rugendas GmbH & Co. KG aus Grünwald hat nun kleinere Umplanungen im Kellerbereich vorgenommen: Zwei alte Bäume könnten stehen bleiben. Nach wie vor würden vier Fünftel des Grundstückes versiegelt. Der BA 19 fordert einen Schutz des „absolut erhaltenswerten Baumbestands“: möglichst viele Bäume müssten erhalten werden. Die LBK prüft weiterhin.11

Oktober 2021: Neuer IVD-Bericht: Wieder teurer. Im Frühjahr 2020, dem Beginn der Corona-Pandemie, wurden Preiseinbrüche auf dem Immobilienmarkt vermutet. Wie Stephan Kippes vom IVD-Marktforschungsinstitut berichtete, war das Gegenteil der Fall. Der Lockdown ließ die Preise für Häuser mit Garten und Wohnungen mit Balkon oder Terrasse steigen, ebenso das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Eine Altbauwohnung mit gutem Wohnwert kostet derzeit pro Quadratmeterpreis 19 Euro kalt, eine Neubauwohnung liegt bei 20,90 Euro. Über 90 Prozent der Quadratmeterpreise liegen über 15 Euro, der kleine Rest auch schon bei über elf Euro.12

Oktober 2021: Das Umland wird infiziert. Kleine Exkursion zu einem winzigen Dorf in Oberbayern, 50 Kilometer von München, etwa zehn Kilometer vom Ammersee entfernt. Ein dreihundertjähriges Wirtshaus wurde am 22.10.2021 abgerissen. Das 2100 Quadratmeter große Grundstück kostete knapp 1,6 Millionen Euro, das sind etwa 760 Euro pro Quadratmeter. Es wird mit vier Einfamilienhäusern und einem Doppelhaus von Münchner Investoren bebaut. Die Baugrube ist gerade ausgehoben: Fünf Einheiten sind schon verkauft: Eine Doppelhaushälfte ist noch zu haben.13
Der Moloch München wächst unaufhaltsam und in alle Richtungen ins Umland. Dem Münchner Investor ist es egal, wie aufgeladen die Stimmung zwischen den Alteingesessenen ist, denen das Wirtshaus abgerissen wurde – und den Neubürgern, die für sündteures Geld dort investieren.

Oktober 2021: Bürgerliste Blitz. Ausflug ins Tegernseer Tal: Einheimische haben die Bürgerliste Blitz gegründet, die für eine Reform der Erbschaftssteuer kämpft. In das Tegernseer Tal kaufen sich seit Längerem betuchte Inländer – und Ausländer – ein und übernehmen den jahrhundealten Besitz von Einheimischen. (So hat der usbekische Oligarch Alischer Usmanow einige Häuser im Tegernseer Tal gekauft.) Da die Tegernseer Familien angesichts der immens hohen Grundstückspreise im Fall einer Vererbung vom Finanzamt zu den irrwitzig hohen Bodenrichtwerten eingestuft werden und die damit fälligen Steuern nicht mehr aufbringen können. Der Bürgermeister von Tegernsee hat 2018 die Zweitwohnsitzsteuer von 12 auf 20 Prozent erhöht. Der Fiskus streicht aber jährlich knapp zehn Milliarden Euro an Erbschaftssteuern ein.
Ähnlich wie im Tegernseer Tal und anderen begehrten Alpentälern sieht es in anderen teuren Ferienorten aus – und natürlich in Großstädten wie München und Frankfurt.14

Oktober 2021: GIMA gründet Stiftung. Daheim im Viertel heißt die gerade anerkannte Neugründung von GIMA München eG. (https://stiftung-daheimimviertel.de/), die von Christian Stupka vorgestellt wurde. Sie soll das Leben in den Münchner Stadtvierteln ermöglichen und vor Vertreibung schützen. Neben Spenden und Zuwendungen werden interessierte Hauseigentümer aufgerufen, ihre Wohnimmobilie – auch aus steuerlichen Gründen -, an die Stiftung zu übertragen.15

Oktober 2021: Trudering läuft über. Bürgerversammlung 25.10.2021: Der BA-Vorsitzende Stefan Ziegler (CSU) berichtet, dass der Stadtteil bis 2040 etwa 35 Prozent mehr Einwohner haben wird. Die Anwohner Interessengemeinschaft Kirchtrudering forderte in diesem Zusammenhang, den fünften Bauabschnitt der Messestadt Riem von 2500 auf 1500 Einheiten zu verringern: Der Antrag wurde angenommen.16

Oktober 2021: Denkmalschutz nicht erwähnt. Für zwei historische Häuser in der Ledererstraße 11 und 13 liegt bei der LBK ein Vorbescheid für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses vor. Der Abbruch ist impliziert. Das Gebäude Ledererstraße 11 ist als Einzeldenkmal in der Denkmalliste eingetragen: „D-1-62-000-8162 Ledererstraße 11. Ehem. Bürgerhaus, Vordergebäude dreigeschossig, im Kern mindestens 2. Hälfte 16. Jh., im 19. und frühen 20. Jh. umgebaut; Rückgebäude, dreigeschossiger Satteldachbau, 1837.“ Für die Lederstraße 13 (Hotel mit Bar) gilt der Ensembleschutz. Der Antragsteller auf Abriss und Neubau hat die Denkmaleigenschaften nicht erwähnt. Der Bezirksausschuss Altstadt-Lehel will die Entwicklung genau beobachten.17

Oktober 2021: Ein Viertel der Mieterhaushalte ist armutsgefährdet. Das antwortete das Bundesarbeitsministerium der MdB Susanne Ferschl (Die Linke). 2019 waren dies genau 25,3 Prozent der Mieterhaushalte.18

  1. Immobilienkäufer flüchten aus den Metropolen, in SZ 1.10.2021 []
  2. Draxel, Ellen, Stumpfe Waffen, in SZ 2.10.2021 []
  3. https://www.pnas.org/content/118/41/e2024792118; Vieweg, Martin, Stadt-Hitze: Enormer Belastungstrend, in wissenschaft.de 4.10.2021 []
  4. Dürr, Alfred, Bogenschlag am Vogelweideplatz, in SZ 5.10.2021 []
  5. Effern, Heiner, Krass, Sebastian, Rathausbündnis treibt ökologische Wende voran, in SZ 7.10.2021 []
  6. Bautz, Nina, Kino-Kleinod Solln vor dem Aus: Stirbt auch das letzte Kino im Münchner Süden? in tz.de 7.10.2021; Wolfram, Jürgen, Ein Drama kündigt sich an, in SZ 7.10.2021 []
  7. Wolfram, Jürgen, Kampf ums Kino, in SZ 16.10.2021 []
  8. Raff, Julian, Kino in Solln ist gerettet, in SZ 22.10.2021 []
  9. Radomsky, Stephan, Wohnen wird nicht billiger, in SZ 8.10.2021 []
  10. Wolfram, Jürgen, Abwehrhaltung, in SZ 11.10.2021 []
  11. Wolfram, Jürgen, Altes Grün und neue Häuser, in SZ 11.8.2022 []
  12. Kastner, Bernd, Mieten wird teurer und teurer, in SZ 19.10.2021 []
  13. Modlinger, Gerald, Früheres „Fuchs und Has“ in Dettenhofen wird jetzt abgebrochen, in augsburger-allgemeine.de 22.10.2021 []
  14. Jauernig, Henning, „Es geht ab wie im Film“, in Der Spiegel 43/23.10.2021 []
  15. https://stiftung-daheimimviertel.de/wp-content/uploads/2021/12/Informationen-Eigentuemer.pdf; Kastner, Bernd, Haus-Spender gesucht, in SZ 23.10.2021 []
  16. Gerdom, Ilona, Wachstum nur in Grenzen, in SZ 27.10.2021 []
  17. Abbruchpläne für historische Stadthäuser, in SZ 29.10.2021 []
  18. Jeder vierte Mieterhaushalt ist armutsgefährdet, in spiegel.de 30.10.2021 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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