Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Parkstadt Schwabing

P
Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Rechtsgültiger Bebauungsplan: Nr. 1781 der LH München: – 405.000 qm Gesamtgrundstücksfläche, – 105.000 qm Geschossfläche für Wohnungsbau (ca. 1.200 Wohneinheiten), 450.000 qm Kerngebietsgeschossfläche für Büro- und Verwaltungsgebäude, Läden, Restaurants, Hotels usw., – ca. 12.000 neue Arbeitsplätze, – 90.000 qm Geschossfläche für sonstige gewerbliche Nutzung, – 60.000 qm öffentliche Parkanlagen und Grünflächen, – 70.000 qm öffentliche Verkehrsflächen, – 18.000 qm Biotopflächen, vier Kindertagesstätten sowie zwei Kinderkrippen“ (https://www.argenta.de/?page_id=136, abgerufen 9.4.2021)

Aus einem SZ-Interview mit Argenta-Eigentümer Helmut Röschinger: München war in dem späten 80er Jahren bei Investoren sehr beliebt. Nach der Wiedervereinigung waren die Investoren auch aufgrund der staatlichen Unterstützung dann in den neuen Bundesländern aktiv. Ab 1990 setzte der rot-grüne Stadtrat auf restriktive Maßnahmen. OB Georg Kronawitter wollte keine Grünflächen zubauen, keine neuen Arbeitsplätze mehr in die Stadt holen und sprach vom „Dampfkessel“ München, auf den ein Deckel müsse, damit er nicht überkocht.1 1991 und 1992 sei kein Quadratmeter Gewerbefläche neu ausgewiesen worden. OB Christian Ude hat wieder Arbeitsplätze in die Stadt geholt. „Heute findet man als Investor wieder offene Ohren in der Stadt.“ Das Schwabinger Großprojekt „Neusser Straße“ (später „Parkstadt Schwabing“) wurde zwischen 1988 und 1993 wiederholt abgelehnt. Ude gab grünes Licht, 1994 wurde der Wettbewerb entschieden. Die Münchner Verwaltung hat erkannt, dass Baurecht nicht von der Kommune gnädig gewährt wird: Baurecht ist „ein Instrument der Wirtschaftspolitik und des Städtebaus“.2

Neuer Stadtteil im Norden. Zwischen Neusser Straße, Güterbahngleisen, Domagkstraße und Mittlerem Ring wird das neue Stadtviertel mit dem Namen „Neues Schwabing“ oder Schwabing am Park“ geplant. Die Verträge wurden am 11.11.1997 ratifiziert, wie OB Christian Ude, Stadtbaurätin Christiane Thalgott, Kommunalreferent Georg Welsch und Vertragspartner informierten. 14 Grundeigentümer mussten koordiniert werden, darunter Raab Karcher oder der Langenscheidt Verlag. Die neuen Planungen für die rund 40 Hektar große Fläche basieren auf städtischen Plänen von 1994: Es sollen 1500 Wohnungen und 10.000 Arbeitsplätze entstehen. Bauträger und öffentliche Hand teilen sich die Gesamtkosten von 177 Millionen DM; 18 Millionen DM kosten Kindergärten, Hort und Krippen, 37 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau, 84 Millionen DM für Grünanlagen und neue Straßen. OB Ude äußerte, dass es bundesweit „mit einigem Neid“ registriert werde, wie gut die Stadt München und Investoren zusammenwirken. Nur die Beteiligung von Privatinvestoren würde der Stadt ermöglichen, diese Großprojekte zu realisieren. Seit 1989 versuchte Bauunternehmer Helmut Röschinger mit seiner Argenta Unternehmensgruppe, die Industrierache zu bebauen: Nun war er erfolgreich.3

Dezember 1998: Erschließungsvertrag unterzeichnet. Das 40,5 Hektar große Areal liegt im Norden an der Domagk-, im Osten an der Neusser-, im Süden an der Schenkendorfstraße und im Westen an früheren Bundesbahn-Gütergleisen. Das frühere Industriegebiet soll ab Frühjahr 1999 umgebaut werden. Jetzt sind schon ansässig die Commerzbank, die Landeszentralbank, eine große Anwaltskanzlei, die Stadtsparkasse München, Siemens-Nixdorf, die Zürich-Versicherung, die Hotels Ramada und Marriott. Der Maßnahmeträger ist die Citytec GmbH, eine Tochter der GBW AG. Die Argenta Unternehmensgruppe von Helmut Röschinger hat ein Areal von 85.000qm: Sie vertritt u. a. die Isar-Amperwerke, Dahmit, BHR GmbH & Co. KG, Deyhle & Skanska. Argenta betrieb das Bebauungsplanverfahren seit zehn Jahren.4

März 2000: Raab-Karcher-Hochhaus wird gesprengt. Die Sprengung steht für den Baubeginn der „Parkstadt Schwabing“. Zwölf Eigentümern gehören die 40,5 Hektar an der Domagkstraße im Norden, der A 9 im Osten, der Schenkendorfstraße im Süden und einer aufgelassenen Gütergleistrasse im Westen. 1500 Wohnungen (240 Sozialwohnungen) und etwa 12.500 Arbeitsplätze sollen hier entstehen. Der Eigentümer der Argenta-Gruppe, Helmut Röschinger, hatte 1989 hier 85.000 qm gekauft, aber erst im Juli 1999 beschloss der Stadtrat den Bebauungsplan mit Grünordnung. Im Norden sollen produzierendes Gewerbe und Handwerker angesiedelt werden, an der Neusser- und Hittorfstraße baut Argenta Büros und Läden, mittig eine öffentliche Parkanlage, im Westen Bürobauten. Im Innenbereich bauen Baywobau und Terra Danhuber Wohngebäude.5

Juli 2000: Spatenstich für Parkstadt Schwabing. Am7.7.2000 fand der Spatenstich statt mit dem Chef der Argenta Unternehmensgruppe, Helmut Röschinger, Architekt André Perret, Prof. Rainer Schmidt, und OB Christian Ude. Die Bauwirtschaft wird Aufträge in Höhe von etwa 2,5 Milliarden DM erhalten. Blickfang im Norden und Süden sind zwei Hochhäuser. Erste Bauherren sind die Argenta mit 100.000 qm Geschossfläche und Skanska Property GmbH mit 36.000 qm. Im Zentrum entstehen 1500 Wohnungen mit 105.000 qm für 3000 bis 4500 Bewohner (davon 20 Prozent Sozialwohnungen und zehn Prozent geförderte Eigentumswohnungen, u. a. von Viterra Bauplaner AG, Terra Alex Danhuber GmbH & Co. Vermögensverwaltung, Greuzinger Projekt München GmbH & Co. KG und Baywobau Baubetreuung GmbH.6

Begrünung fertiggestellt. Im Sommer 2001 soll die ganze Infrastruktur der Parkstadt Schwabing fertiggestellt sein. 33 Millionen DM kosten 4,3 Kilometer neue Straßen und Wege, 70.000 qm öffentliches Grün mit 700 großen Bäumen und weiterem Bewuchs. Argenta-Chef Helmut Röschinger hatte extra einen Gestaltungsbeirat kreiert, Vorsitz: Stadtbaurätin Christiane Thalgott. 45 Prozent des Areals sollen „grün“ sein. Genannt werden bis zu 15.000 Arbeitsplätze und 4000 Bewohner von 1500 Wohnungen.7

Oktober 2003: Zwischenbilanz. Inzwischen hat die Parkstadt 2000 Bewohner, bis 2005 sollen die 1500 Wohnungen (davon 500 Sozialwohnungen) fertiggebaut sein. Es fehlen bislang noch Geschäfte: Ein Shopping-Zentrum soll bis 2005 gebaut sein. Die schlechte Konjunktur könnte sich auf das Image des Gewerbegebiets auswirken. Die auch als Schallschutz gedachten Bürogebäude an der A 9 sind nicht im Bau: Investoren sollen Probleme mit der Finanzierung haben. Letztlich sind 12.000 Büroarbeitsplätze in Planung. Die Anbindung zum U-Bahnhof Alte Heide der U 6 war mühsam; die Parkstadt-Trambahn zur Münchner Freiheit soll bis 2005 kommen. Im Jahr 2005 sollen alle Bauarbeiten beendet sein.8

Dezember 2015: Der nächste IT-Gigant. Nach Amazon und Microsoft holte die LH München auch noch IBM mit dem weltweiten Innovationszentrum nach München in die Parkstadt Schwabing. OB Dieter Reiter schwang Lobeshymnen: „Es ist ausgesprochen zu begrüßen, dass wir unser IT-Cluster dort stärken – und ein weiterer Beweis für die Attraktivität des Standorts, wenn sich trotz unserer schwierigen Bedingungen immer mehr Weltkonzerne für München entscheiden.“ Damit kommen die nächsten 1000 Arbeitsplätze nach München, das sich mit der Hilfe der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) als Standort gegen Städte in Italien und der Schweiz durchgesetzt hat. Der Münchner Norden wird zum Standort für IT-Konzerne. BMW baut sein FIZ aus und plant das FIZ Future mit 10.000 bis 15.000 neuen Arbeitsplätzen; in Garching residiert das universitäre Pendant an den Instituten.9

Suche nach der neuen Mitte. Auf 40 Hektar wohnen nur etwas mehr als 2200 Menschen, im erweiterten Umfeld 3500. Unternehmen gibt es dagegen zur Genüge: u. a. Amazon, Osram, Unify, IBM Watson und Fujitsu, MAN, General Electric, Microsoft, Arri …10 An der Ecke Lyonel-Feininger- und Anni-Albers-Straße soll nun das Hotel Motel One gebaut werden: mit Geschäften und Restaurants soll eine „neue Mitte der Parkstadt“ entstehen, die Argenta-Chef Röschinger bereits 2015 hier angekündigt hatte. Die Bewohner der Parkstadt waren damit nicht begeistert, wie der Nachbarschaftstreff berichtete.  ((Mühleisen, Stefan, Suche nach echtem Leben, in SZ 3.5.2017))

Parkstadt Schwabing ist Park-Stadt. Die euphemistisch so genannte „Parkstadt Schwabing“ liegt zwischen der A9, dem Mittleren Ring und der Domagkstraße und umfasst etwa 40 Hektar. Den 2300 Bewohnern stehen gegenüber: vier Hotels mit 880 Zimmern, 12.000 Arbeitsplätze bei Unternehmen wie Microsoft, MAN, Züblin, Osram und demnächst noch Amazon. „Die Blech-Karawane hat sich zum negativen Standortfaktor entwickelt …“11 Jetzt soll ein „Mobilitäts-Zukunftskonzept“ die Probleme lösen.
Argenta wollte zunächst in der Parkstadt Schwabing 800 Wohnungen bauen. Nun baut Argenta Ecke Anni-Albers-Straße/Lyonel-Feininger-Straße für Amazon ein 6-7-stöckiges Haus mit 37.300 qm Geschossfläche
Infos aus www.argenta.de, abgerufen 26.12.2020: „Das Büro- und Verwaltungsgebäude mit Läden des täglichen Bedarfs und gastronomischen Angeboten im Erdgeschoss wird an der Anni-Albers-Straße / Lyonel-Feininger Straße errichtet. In 2024 soll der neue Standort von Amazon offiziell eröffnet werden.“ Grundstücksgröße: 13.317 qm, Mietflächen: Bruttogrundfläche oberirdisch: ca. 37.300 qm, Bruttogrundfläche in 2 Untergeschossen: ca. 18.000 qm, Baubeginn Mai 2021, Fertigstellung voraussichtlich Anfang 2024.

„Akutbehandlung“ des Planungsreferats. Die Bewohner der „Park-Stadt“ klagten und klagen über fehlende Infrastruktur, Probleme mit den Pendlern, zugeparkte Straßen. Nun beschweren sich auch die angesiedelten Konzerne über das Planungschaos, das noch lange nicht beendet ist. Das Planungsreferat versucht im Nachhinein, diverse Verkehrsprobleme zu lösen, Durchgangsstraßen zu sperren, Einbahnstraßenregelungen zu erlassen etc.: Ein Beschluss dazu soll im Herbst im Stadtrat vorgelegt werden.12
Durch die nunmehr schon 12.000 Arbeitsplätze und vier Hotels mit zusammen 900 Betten sind in der Parkstadt Schwabing die entsprechenden Verkehrsprobleme entstanden. Dabei wird das Amazon-Gebäude erst noch gebaut. Und drei Grundstücke mit zusammen 17.000 Quadratmeter sind ebenfalls noch unbebaut.13
Das ist eine anarchische Entwicklung, die sehr wohl hätte vorhergesehen werden können. Eine gute Stadtplanung sieht anders aus.

Auto-Parkstadt Schwabing ohne Park. Das Münchner Künstler-Netzwerk „Torhaus“ möchte zur Belebung der Parkstadt das Projekt „Trafopark“ anregen. Auf dem 650 Meter langen und 40 Meter breiten Grünstreifen stehen acht stählerne, würfelförmige Pavillons, die ursprünglich der Kommunikation dienen sollten. Nun sollen zwei der Würfel mit einer Gastronomie und kulturellen Veranstaltungen reaktiviert werden. BA-Mitglied Petra Piloty (SPD) und Stadträtin Dorothea Wiepcke (CSU) empfahlen die Einbeziehung des Park-Architekten Rainer Schmidt und des Argenta-Chefs Helmut Röschinger.14

Lilly 10. Die Parkstadt Schwabing sollte eher Bürostadt Schwabing heißen: 12.000 Arbeitsplätze dominieren die 2500 Bewohner. Der Nachbarschaftstreff in der Lilly-Reich-Straße 10 will seit 2012 auf die Bedürfnisse der Bewohner eingehen.15

Familien-Parkstadt Schwabing. 2500 Bewohner stehen hier 12.000 Büroarbeitsplätzen gegenüber. Die Gewofag wird nun im Auftrag des Planungsausschusses an der Herbert-Bayer-/Marianne-Brand-Straße auf einem Grundstück mit 3100 qm ein Familienzentrum und eine Kita (456 qm) bauen, dazu ein Wohngebäude mit 45 Wohnungen (4314 qm). Die Fertigstellung ist bis 2026 geplant. Trägerverein soll das „Haus am Schuttberg“ werden.16

  1. Lode, Silke, Tibudd, Michael, Viel Dampf im Kessel, in SZ 26.8.2011 []
  2. Knapp, Gottfried, „Das Klima in München hat sich ganz erheblich geändert“, in SZ 7.6.1996 []
  3. Münster, Thomas, Ein neues Stück Schwabing, in SZ 26.11.1997 []
  4. Haas, Marianne E., „Parkstadt Schwabing“ nimmt Gestalt an, in SZ 9.1.1999 []
  5. Haas, Marianne E., Start für die Parkstadt Schwabing, in SZ 2.3.2000 []
  6. Haas, Marianne, Eine Baustelle – so groß wie der Potsdamer Platz, in SZ 8.7.2000 []
  7. Kronewiter, Thomas, Parkstadt – der Name passt, in SZ 8.12.2000 []
  8. Dürr, Alfred, Leben zwischen Baggern und Kränen,, in SZ 27.10.2003 []
  9. Riedel, Katja, High-Tech in der Parkstadt, in SZ 9.12.2015 []
  10. https://www.argenta.de/?page_id=136, abgerufen 20.9.2021 []
  11. Mühleisen, Stefan, Stöpsel rein, in SZ 14.2.2020 []
  12. Mühleisen, Stefan, Der „Stöpsel“ soll bald kommen, in SZ 11.8.2020 []
  13. Mühleisen, Stefan, Eine Kleinstadt für die Hightech-Riesen, in SZ 16.9.2020 []
  14. Mühleisen, Stefan, Von wegen Flair, in SZ 30.10.2020 []
  15. Mühleisen, Stefan, Austausch zwischen den Welten, in SZ 10.11.2020 []
  16. Mühleisen, Stefan, Kinder, 2026 wird’s was geben, in SZ 5.12.2020 []
Objekt-Nr. 14840

Datenschutzhinweis: Um die Karte anzuzeigen, muss Ihre IP-Adresse dem Kartendienst mitgeteilt werden. Klicken Sie hier, wenn Sie damit einverstanden sind.

Moloch München Eine Stadt wird verkauft
Objekt-Nr. 14840

Datenschutzhinweis: Um die Karte anzuzeigen, muss Ihre IP-Adresse dem Kartendienst mitgeteilt werden. Klicken Sie hier, wenn Sie damit einverstanden sind.

Nicht angemeldet > Anmelden