Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Ude, Christian

U
Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Intro: Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (* 1947, SPD) wurde zunächst als Mieteranwalt bekannt, dann als „Bürger-King“. Unter seiner Amtszeit 1993 bis 2014 beschleunigte sich der Umbau der Stadt, die Zerstörung alter Strukturen, der verstärkte Einsatz des Immobilienkapitals. Für einige dieser Prozesse sind fraglos Bundesgesetze verantwortlich (Bodengesetzgebung, Baurecht, Mietrecht etc.). Aber für diese 21 Jahre Amtszeit trägt letztlich Ude die Verantwortung.

Zunächst arbeitete Ude als Reporter für die SZ. Nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen 1979 wurde er Mieteranwalt. 1990 trat er auf der SPD-Liste für den Stadtrat hinter Georg Kronawitter an und wurde vom rot-grünen Bündnis zum Bürgermeister gewählt. 1993 trat er als OB an und präsentierte im Juni das Buchprojekt „Münchner Projekte – die Zukunft einer Stadt“. Am 12.9.1993 gewann Ude knapp gegen Peter Gauweiler (CSU) mit 50,8 Prozent. Das Großprojekt Flughafen-Umzug von Riem nach Erding ist 1992 abgeschlossen. Nun kam Udes Projekt Neue Messe Riem plus Messestadt plus Umzug der alten Messe von der Schwanthaler Höhe nach Riem – plus Neuerschließung des alten Messegeländes. Ude suchte und fand engen Kontakt zu den Münchner Wirtschaftsgrößen: Von ihnen bekam er den roten 5-er BMW mit dem Kennzeichen M-CU 2002. Trotz der Koalition mit den Grünen unterstützten diese Ude nicht beim Flughafengelände, bei der Messe und beim Stadion-Neubau: Hier suchte und fand er Hilfe bei der CSU. [1]

Der Herausgeber. Im Buch Münchner Perspektiven – Wohin treibt die Weltstadt mit Herz?, das Ude 1990 herausgegeben hat, standen Beiträge u. a. von einem Architekten, der in viele München-Projekte involviert war, vom damaligen OB Georg Kronawitter, von einem Mitglied der städtischen Kommission für Stadtgestaltung, einer SPD-Stadträtin, einem Stadtdirektor im Münchner Umweltschutzreferat. Rechtzeitig zum Wahlkampf 1993 gab Ude das Buch Münchner Projekte – Die Zukunft einer Stadt heraus.

Dezember 1996: Bürgerbegehren gegen überzogenen Wohnungsbau. Die BI Aubing/Lochhausen/Langwied hat Anfang Dezember 1996 rund 8000 Unterschriften im Münchner Rathaus abgegeben, um ein Bürgerbegehren zu starten: Im Münchner Westen (Freiham, Lochhausen, Aubinger Wasserturmwiese) sollen nur 3000 statt 10.000 Wohnungen gebaut werden. OB Christian Ude hat ein „Münchner Bündnis für Wohnungsbau“ angeregt: Unterstützer waren anfangs SPD, DGB und Mieterverein München. [2]
Laut Ude würde nach einer Reduktion der geplanten 9600 Wohnungen in Freiham auf ein Drittel die gesamte städtebauliche Konzeption von Freiham mit sozialer und verkehrlicher Infrastruktur nicht mehr funktionieren. Auf der Wasserturmwiese in Aubing würde eine Reduzierung der Wohnungen gleichzeitig eine Erhöhung der Grundstückspreise bedeuten. Bereits für Januar 1997 kündigte Ude das erste Treffen des parteiübergreifenden Bündnisses für Wohnungsbau an. Ude führte weiter aus, dass von 1990 bis Oktober 1996 in München 43.612 Wohnungen gebaut wurden und es gelungen sei, die Wohnungsnot zu lindern und die Explosion der Mieten zu stoppen bzw. teilweise rückgängig zu machen. [3]

April 1997: OB Ude warnt vor Bürgerbegehren. Am 27.4.1997 findet die Abstimmung zum Bürgerbegehren statt. In Trudering sollen statt 920 nur 650, in Aubing – Lochhausen statt 12.000 etwa 3240 Wohnungen gebaut werden. Das „Münchner Bündnis für Wohnungsbau“ umfasste inzwischen 65 Organisationen. Trotzdem warnte Christian Ude kurz vor der Abstimmung vor „Stadtteilegoismus“ und sah der Abstimmung „mit größter Sorge“ entgegen. [4]
Das Münchner Forum und die Süddeutsche Zeitung veranstalteten vier Tage vor der Abstimmung ein Forum dazu. Rolf Polixa von der BI Trudering berichtete, dass 1992 die Stadt 645 Wohnungen an der Friedenspromenade geplant hatte; später wurde die Zahl dann auf 920 erhöht. Auch Joachim Krämer von der BI Aubing (Motto „Wir lassen uns die Zukunft nicht verbauen“) wies auf die ersten Planungen in Freiham mit 5600 Wohnungen hin; diese Zahl wurde später auf 11.000 erweitert. Stadtbaurätin Christiane Thalgott warf den beiden BI-Vertretern vor, sich nicht für die gesamtstädtische Perspektive zu interessieren: Allein wegen der steigenden Quadratmeterzahl pro Einwohner seien schon 6000 Wohnungen jährlich nötig. Sie drohte außerdem, im Fall eines Erfolgs des Bürgerbegehrens seien Straßen-, Schul- und Kindergartenprojekte gefährdet, dazu der S-Bahnhof Freiham und der Weiterbau der A99 samt Lärmschutz. Krämer sprach von einer „ganz miesen Erpressung“. Zwei Vertreter des von OB Ude gegründeten „Bündnis für Wohnungsbau“ äußerten, wer heute Bauvorhaben stoppe, werde morgen mit steigenden Mieten leben müssen, außerdem sei der Wirtschaftsstandort München gefährdet. Krämer nannte das „Bündnis für Wohnungsbau“ einen „geballten Zusammenschluss von Kapital und Macht“. [5]
April 1997: Entscheidung für Wohnungsbau. Am 27.4. stimmten für das Bürgerbegehren Trudering 35,4 Prozent, für das Bürgerbegehren Aubing 36,0 Prozent. In Trudering lag die Zustimmung bei 80,6 Prozent, die Wahlbeteiligung bei 44,0 Prozent. In Aubing lag die Wahlbeteiligung bei 45,1 Prozent. Die gesamte Wahlbeteiligung lag nur bei 22,1 Prozent. (www.muenchen.de, Bürgerentscheide in München seit 1996) Die Vertreter der BIs wiesen auf das unterschiedliche Budget hin: Das Wohnbau-Bündnis habe über einen Etat von einer halben Million DM verfügen können; bei der Aubinger BI waren es nur 10.000 DM. [6] [7]

Im Endeffekt hat Ude das Machtspiel „Stadt-Goliath gegen David“ durchgezogen, genau wie gegen unser Bündnis NOlympia, das sich gegen die Bewerbung um Olympische Spiele 2018 und 2022 gebildet hatte. (Vgl.: http://www.nolympia.de/kritisches-olympisches-lexikon/ude-christian/)
Unsere Gegner waren übermächtig, mit dem Rückhalt der Presse und einem zigfachen Etat ausgestattet. Nachdem die Bewerbung 2018 gegen das südkoreanische Pyeongchang verlor, probierte Ude es gleich noch einmal mit der Bewerbung München 2022: Aber es war eine Art Overkill der Indoktrination, die wohl auch viele Bürger abstieß: Die um Ude vereinten Olympia-Freunde verloren am 10.11.2013 alle vier Abstimmungen in München, Traunstein, Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden.
Vgl. auch dazu für den Zeitraum 2011 bis 2013: http://www.nolympia.de/kritisches-olympisches-lexikon/ude-christian/

König Ude. Rainer Stephan verfasste in der SZ ein kritisches Porträt von OB Christian Ude mit dem Titel: „Im Prinzip ein Monarch“. (Ein späteres Bonmot lautete: Bürger-King.) [8] Für viele Münchner sei Ude inzwischen „eine Art Lichtgestalt unter den Politikern“. Dazu tragen seine Ausflüge in das Komödiantentum bei. Sein Intimfeind Hans-Peter Uhl (CSU), von Ude nach zehn Jahren (1987 bis 1998) als Kreisverwaltungsreferent abserviert, lobte Udes rhetorische Talente, die seine Unfähigkeit überdecken würden, eine effektive Realpolitik zu betreiben. Regieren ist Udes Option. Er rühmt sich seiner 50.000 Mitarbeiter. Für Ude „funktioniert die Stadtregierung wie eine Art Monarchie, allerdings mit wählbarem Monarchen“. Rainer Stephan: „Nicht einmal im Traum käme Münchens OB auf die Idee, seine Freude an der Machtausübung zu verhehlen.“
In den sechziger Jahren kritisierte Ude in einem Schulaufsatz die Machtfülle des Münchner Oberbürgermeisters. Nach einigen Jahren als OB „finde ich meine Machtfülle richtig praktisch“.

Müllerstraße 6 (1): OB Ude reagiert. Die Aktivistengruppe Goldgrund hatte in einer spektakulären Aktion eine Wohnung in der Müllerstraße 6 renoviert und forderte die Stadt München zum Erhalt der drei Häuser Müllerstraße 2, 4 und 6 auf, die im Besitz der Landeshauptstadt waren. Die Renovierung der Wohnung in der Nr. 6 hätte nur 2500 Euro gekostet. OB Christian Ude benannte den Verantwortlichen: die LH München, die das Haus über Jahre verkommen hat lassen. Anscheinend sei im Kommunalreferat „offensichtlich ein Teil der städtischen Liegenschaften aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerutscht“. Ude habe sich mit Kommunalreferent Axel Markwardt geeinigt, die leer stehenden Wohnungen in der Müllerstraße 6 schnell und kostengünstig zu renovieren. [9] [10]
Thomas Anlauf kommentierte in der SZ: „Doch diese gerade banale Lösung – das Haus Nr. 6 zu sanieren anstatt es abzureißen und damit zugleich den Bolzplatz der Glockenbachwerkstatt zu retten – hätten viele hoch bezahlte Beamte schon vor Jahren umsetzen können. Das ist der Skandal. Und Oberbürgermeister Ude ist dafür verantwortlich.“ [11]

Pilotystraße 8: Leerstand. Das Wohnhaus mit Rückgebäude steht in bester Altstadt-Lage gegenüber der Bayerischen Staatskanzlei und hat 850 qm in insgesamt acht Wohnungen. Wie Goldgrund-Aktivist Till Hofmann nach einer Goldgrund-Sightseeing-Tour feststellte, wurde das Haus von der LH München systematisch entmietet. Eine einzige Mieterin wohnt dort noch – sie ist hier geboren worden. Ein Münchner Bürger hat das Haus der LH München vermacht, um es Familien zur Verfügung zu stellen. Aber die Stadt lässt es „systematisch verfallen“, so Hofmann. [12]Christian Ude (seit 1993 OB) empörte sich über seine Verwaltung: Fünf von sechs Wohnungen würden leer stehen, eine seit den siebziger Jahren. Laut Ude könne es sich um eine Ordnungswidrigkeit handeln, weil auch der Stadtrat 2002 den Auftrag erteilt habe, das Haus zu sanieren. Die zuständige Stiftungsverwaltung hatte augenscheinlich keinerlei Plan für das Haus. Das Sozialreferat als Vorgesetzte der Stiftungsverwaltung bedauerte: Eine Generalsanierung sei nötig, aber nur bei einem leeren Gebäude möglich. [13]

Müllerstraße 6 (2): OB Ude rudert. Am 11.3.2013, kurz nach der Goldgrund-Aktion in der Müllerstraße 6, gab es eine Besprechung mit dem OB und den städtischen Referenten. Laut Protokoll soll Ude Handlungsanweisungen an die städtischen Wohnbaugesellschaften GWG und Gewofag sowie an das Kommunalreferat erteilt haben, dass an den teils leer stehenden Häusern der Stadt „die Beschilderung von Türen, Briefkästen und Klingeln entsprechend gestaltet werde“, weil sonst autonome Gruppen aus Berlin und Hamburg angezogen werden könnten. Das Protokoll wurde dann offenbar erst Anfang November 2013 den zuständigen Stellen in den Referaten übermittelt. Ude erklärte dann dazu, er habe nur marode Klingelschilder beseitigen lassen in teilbewohnten Häusern. Außerdem forderte Ude, die Haustüren leer stehender Häuser „einbruchssicher“ zu machen, um Vorfälle wie in der Müllerstraße zu vermeiden. [14]

Fußnoten und Quellen

  1. Neff, Berthold, Genosse der Bosse und Bohemiens, in SZ 19.2.2002; Resümee zu fast 10 Jahren OB Ude
  2. Neff, Berthold, Das große Zittern um den Wohnungsbau, in SZ 10.12.1996
  3. Dürr, Alfred, „Der Wohnungsbau wird gewinnen“, in SZ 21.12.1996
  4. Die Zeche zahlen alle Mieter, in SZ 23.4.1997
  5. Müller, Frank, Vor einem Richtungsentscheid, in SZ 24.4.1997
  6. Dürr, Alfred, Müller, Frank, München sagt Ja zum Wohnungsbau, in SZ 28.4.1997
  7. Vgl. auch Rückschau 2020: Weiter wachsen, in SZ 31.10.2020
  8. Stephan, Rainer, Im Prinzip ein Monarch, in SZ 12.2.1998
  9. Mayer, Christian, Gorillas schrecken Ude auf, in SZ 7.3.2013
  10. Hutter, Dominik, Ude räumt Versäumnisse ein, in SZ 9.3.2013
  11. Anlauf, Thomas, Die Schuld der Stadt, in SZ 9.3.2013
  12. Fischhaber, Anna, Vorübergehend besetzt, in SZ 22.10.2013
  13. Beisel, Karoline Meta, Lode, Silke, Zimmer frei, in SZ 24.10.2013
  14. Anlauf, Thomas, Hutter, Dominik, Protokoll bringt Ude in Bedrängnis, in SZ 26.11.2013
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Nicht angemeldet > Anmelden