Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Isar Valley

I
Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 8.9.2023

IT-Unternehmen. Allzu euphemistisch empfingen die Münchner Stadtregenten die Welle an Instituten, High-Tech- und IT-Unternehmen, Forschungsinstitutionen, Start-ups, die in den letzten Jahrzehnten und Jahren in die Stadt kamen und oft rasch expandierten. Immer schon da waren die fünf Hochschulen und die neun Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer Gesellschaft, Max-Planck-Institute, Helmholtz Zentrum etc. Dazu kommen Konzerne wie Siemens, BMW, MAN, Airbus, Linde, MTU, Rohde und Schwarz, Infineon Technologies AG etc. Länger schon da sind High Tech-Unternehmen wie Apple, IBM Watson, Google, Amazon, Microsoft, Intel, SAP und andere. Dazu kommen drei Gründerzentren und knapp 20 Start-ups.

München bei Tech-Unternehmen beliebt. Die großen Fünf waren schon 2020 in München: Apple, Google, Facebook, Amazon, Microsoft, Google. Gründe sind u. a. die /noch) hohe Lebensqualität, die an der TUM ausgebildeten Fachkräfte und die anderen hier ansässigen wissenschaftlichen Institutionen. Apple hat in München 2015 das „Bavarian Design Center“ gegründet. Im September 2019 zog Amazon Web Services in die Maxvorstadt. Im Oktober 2019 hat Facebook mit der TUM ein Institut für Ethik in Künstlicher Intelligenz eröffnet. Microsoft residiert mit 2000 Mitarbeitern im Münchner Norden. Google baut den Postpalast an der Hackerbrücke für 1500 Mitarbeiter aus. etc. Einige Folgen: Laut IHK München werden viele IT-Fachleute zu den Tech-Unternehmen gehen, die dann kleinen und mittelständischen Unternehmen abgehen. Aktuell geht die IHK von fehlenden 50.000 ITK-Fachkräfte aus. Die gut bezahlten Fachkräfte von Apple & Co. bekommen hohe Löhne und treiben die Mieten in die Höhe.1

Niedere Aufgaben für Münchner. Der Münchner Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) war in Googles Kauf des Postpalastes involviert, redete mit Apple-Chef Tom Cook über dessen Pläne in München und spricht üblicherweise voller Begeisterung über die Ansiedlung von IT-Konzernen. In einem Porträt in der SZ äußerte Baumgärtner: „Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir die Münchner in der Stadt behalten, die für einen Google- oder einen Apple-Manager das Haus bauen oder in der Kantine das Obst schneiden.“2
Das hat was von Lohn-Sklaven.

Angelockt. Viele der IT-Unternehmen sind hier, weil sie von München umworben wurden. Die Stadt verwies oft genug auf ihr Kulturangebot, auf Alpen und Seen. Nicht zuletzt sind die hohen Münchner Mieten im internationalen Vergleich für IT-Manager leicht zu stemmen, auch wenn sie für die ortsansässige Bevölkerung inzwischen unerschwinglich sind.3

Zuwanderung durch IT. Oliver Falck vom ifo-Institut prognostiziert durch die vielen IT-Ansiedlungen einen „neuen Schub an Zuwanderung“. Die BN-Kreisgruppe München sieht in den vielen Bautätigkeiten in München „eine Gefahr für die letzten Grünflächen und Frischluftschneisen“. Kreisvorsitzender Christian Hierneis äußerte: „Ohne einen wirklich langfristigen und vor allem nachhaltigen Entwicklungsplan für die Stadt können wir nicht einfach so weitermachen.“4

IT-Standort München. Die Stadt und ihr Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) holen wie verrückt neue Großkonzerne und IT-Unternehmen nach München: u. a. Amazon, Apple, Google, IBM, Microsoft. Zu Apple äußerte Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner: „Der Ausbau von Apple ist Teil einer Strategie. Mit IBM-Watson, Google, Microdsoft und Amazon Web Services haben wir alle fünf großen Player in der Stadt.“5 Hinzu kommen noch Celonis und Personio.

Alle nach München. „Isar Valley“ ist der offizielle Name der 6. Etage im Münchner Google-Entwicklungszentrum. Die tz listete auf: Apple erhöht von 350 auf 1500 IT-Mitarbeiter. Google ist seit 2006 in München, startete mit 15 Mitarbeitern und wird bald 1500 haben. IBM hat in den Highlight-Towers einige tausend Mitarbeiter. Huawei ist seit 2009 hier und hat aktuell 600 Spezialisten. Amazon kam um 2000 nach München und hat nun 2500 Mitarbeiter. Microsoft kam 2016 in die Parkstadt Schwabing mit nunmehr 1800 Mitarbeitern. Fujitsu hat hier aktuell 1300 Mitarbeiter. SAP hat in München 1000 Mitarbeiter – plus demnächst 600 in Garching. Konkurrent Salesforce ist seit 2018 in München. Die Zahl der Mitarbeiter von Intel ist unbekannt, eine Großinvestition steht bevor. BMW-Großaktionärin Susanne Klatten hat 2002 ihr Start-up UnternehmerTUM in der Nähe der TUM-Institute in Garching gegründet. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will 3,5 Milliarden Euro im Technologiebereich für 1000 neue Professuren, 13.000 neue Studienplätze und mehr als 20 Spitzenforschungszentren investieren. Im Münchner Rathaus ist eine Spezialeinheit von 50 Mitarbeitern mit der Anwerbung neuer Firmen unter Führung des Wirtschaftsreferenten Clemens Baumgärtner (CSU) beschäftigt.
Neben den Universitäten und Fachhochschulen zählen für die Konzerne der hohe „Freizeitwert mit Bergen und Seen.67
Die Bevölkerung im Voralpenland hat entsprechend von der massenhaften Invasion der Alt- und Neu-Münchner die Nase voll.

Kleiner Ausflug nach San Francisco. In einem Bericht über eine Ausstellung zur aktuellen Situation der Obdachlosen („Who’s Next?“) schrieb Axel Rühle in der SZ, dass ein Software-Ingenieur in der Tech-Industrie ein Einstiegsgehalt von durchschnittlich 140.000 Dollar hat, ein Lehrer von 40.000 Dollar.8

Freistaat vergibt an Apple (1). Das seit 2017 nicht genutzte staatliche Grundstück Seidlstraße 15 – 17 in der Maxvorstand gehört seit 1989 dem Freistaat Bayern und wird sehr wahrscheinlich an Apple verkauft oder in Erbpacht vergeben. Apple und Bayerns Immobilien-Gesellschaft IMBY verhandelten seit Mitte Februar 2022. Vorläufig schwieg sich Söders Staatskanzlei noch aus. Münchens Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) kann „nicht kommentieren“. Da Apple bereits den neuen Bürokomplex Karl mit 30.000 qm angemietet, dazu an der Denisstraße 3a im Komplex Lichthöfe 9000 qm hat (siehe oben). Insgesamt hätte Apple dann rund 60.000 qm: Bei 20 qm pro Arbeitsplatz (ungeachtet von Home Office) hätte Apple dann Büroraum für mindestens 3000 Arbeitsplätze. München soll Apples Europazentrum für Chipdesign werden.9
Sebastian Krass forderte in einem SZ-Kommentar, dass der Grundstücksdeal mit Apple öffentlich diskutiert wird. Interessant wäre für München auch, ob der Apple-Konzern, der für seine „Steuervermeidungsstrategien“ bekannt ist, überhaupt Gewerbesteuereinnahmen für die Stadt abfallen würde. Und ob der Freistaat ohne öffentliche Ausschreibung sein Areal an Apple vergibt.10

Freistaat vergibt an Apple (2). Es entsteht ein riesiger „Apple-Campus“ in der Maxvorstadt: Der Komplex „Karl“ mit 30.000 qm wird von Apple angemietet; in den „Lichthöfen“ an der Denisstraße hat Apple 5000 qm angemietet, und auf dem staatlichen Grundstück Seidlstraße 15 – 19 mit 7200 qm wird ein Bürokomplex mit rund 28.000 qm geplant. Das Bauministerium von Christian Bernreiter (CSU) verhandelt mit Apple über den Neubau. Dem BA Maxvorstadt liegt dieser Antrag („Neubau eines sechsgeschossigen Büro- und Laborgebäudes mit drei Untergeschossen“) vor. Der vom Architekturbüro Allmann Wappner geplante Gebäudekomplex hat eine erstaunlich hohe Geschossflächenzahl von 3,94. Interessant wird die Frage, ob der Freistaat das Areal an Apple verkauft oder in Erbpacht auf 60 bis 80 Jahre vergibt.11
Wie erzeugt man die Münchner Wohnungsnot? Indem Apple (derzeit 2000 Ingenieurinnen und Ingenieure in München) weitere tausende Arbeitsplätze schafft – ohne sich um Wohnmöglichkeiten der künftigen Mitarbeiter zu kümmern. Diese verdienen in der Regel sehr gut und werden die Preise auf dem angespannten Münchner Wohnungsmarkt weiter in die Höhe treiben: und die weniger Betuchten in die Außenbezirke vertreiben.

Freistaat vergibt an Apple (3). Das 7200 qm große Areal an der Seidlstraße 15 bis 19 wird vom Bayerischen Staat für 251 Millionen Euro an den Apple-Konzern verkauft. (Kaum vorstellbar: Das sind knapp 35.000 Euro pro qm.) Der von Apple eingereichte Vorbescheid sieht 28.000 qm oberirdische Geschossfläche auf sechs Etagen und drei Untergeschosse vor. Die Baukosten liegen vermutlich bei etwa 200 Millionen Euro. Die Landtagsfraktionen von CSU, SPD und Freie Wähler (eher für Erbbaurecht) votierten für den Verkauf; Grüne und FDP ebenso. Das Erbbaurecht wäre für 60 bis 80 Jahre denkbar gewesen: Der Freistaat hätte wohl 50 Prozent des Erbbauzinses über die Vertragslaufdauer gefordert,, Apple nur 20 Prozent geboten.12
Kleine Auswahl, was noch so auf dem Münchner Immobilien-Wühltisch liegt: z. B. der frühere Hauptsitz des Bayerischen Rundfunks und das „alte“ Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße. Aber was könnte man sich nicht noch alles vorstellen, was durch Auslagerung, Schließung, Ersetzung überflüssig werden könnte: Das Maximilianeum. Die Frauenkirche. Das Deutsche Museum. Selbst die Residenz ist mit zwei jährlichen CSU-Empfängen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unternutzt: Stadtresidenz für Facebook? Ja selbst das Rathaus stünde zur Verfügung, wenn die Stadträte in Home Office gingen…

Kleiner Exkurs nach Silicon Valley, San Fransisco. Jürgen Schmieder beschrieb in der SZ den Abstieg der High-Tech-Schmiede San Francisco. Bereits im Juni 2022 hatte Nellie Bowles im Portal The Atlantic ihren Essay betitelt: „How San Francisco Became a Failed City„. Sie beschrieb darin den der Stadt versprochenen „Goldrush“ durch die High-Tech-Konzerne. Das Silicon Valley gehört zur San Francisco Bay Area: Dort gibt es 77 Milliardäre, dazu 600 Personen mit mehr als 100 Millionen und 275.000 „normale“ Millionäre. Schmieder: „Man muss inzwischen eigentlich Millionär sein, um sich diese Stadt noch leisten zu können.“ Aber der Reichen-Status wird immer mehr Beschäftigten der High-Tech-Konzerne verwehrt. Twitter entließ plus-minus die Hälfte seiner Mitarbeiter (so genau weiß man das beim launischen Elon Musk erst später). Amazon entließ bis zu 10.000, Meta (der Facebook-Konzern) 11.000 Mitarbeiter. Allein im November 2022 wurden 35.000 Beschäftigte der High-Tech ihren Job los. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) aktualisiert laufend eine Statistik über den Stundenlohn, den man zum Überleben in der jeweiligen Stadt benötigt. In San Francisco beläuft sich der Stundenlohn für kinderlose Singles auf 30,81 $. Wer jährlich 100.000 $ verdient, endet mit 2734 $ Verlust. Ein Einkommen unter 117.000 $ gilt als low income (Unterschichtsniveau).13
Auch der Weg vom Isar Valley?

1,2 Millionen Dollar von Google an TU München. Googles umgerechnet 1,18 Millionen Euro gehen an die Universitätsstiftung: Die TUM wird damit ein neues Innovationsnetzwerk zur Cybersecurity gründen. Google wurde bereits 2018 ein Exzellenzpartner der TUM und hat laut TUM seither einen „erheblichen siebenstelligen Betrag“ überwiesen. Google hat inzwischen über 2000 Mitarbeiter in München und beschäftigt auch Alumnis der TUM.14

6,5 Millionen Euro von Facebook an TU München. Facebook hat Anfang 2019 6,6 Millionen Euro an die TUM für die Gründung eines Ethik-Instituts für Künstliche Intelligenz gespendet.14

Apple investiert die nächste Milliarde in München. Apples Europäisches Zentrum für Chip-Design behandelt drei Schwerpunkte:: 5G-Fubnktechnik, Stromsparlösungen bei Chips und Analog- und Mixed-Signal-Lösungen. Mit den Chip-Entwicklungen will sich Apple vom Zulieferer Qualcomm unabhängiger machen. Der Apple-Konzern hat in München die Standorte Seidlstraße, Denis- und Marsstraße und die Forschungs- und Entwicklungseinrichtung in der Karlstraße.15

Auch Argodesign kommt. Der KI-Spezialist Mark Rolston hat die Firma Argodesign gegründet. Der Hauptsitz ist im texanischen Austin, eine Zweigniederlassung ist seit 2022 in München in einer Büroetage im Tal. Rolston gibt einen Ausblick auf die gar nicht so Schöne Neue Digitale Welt: „Künstliche Intelligenz wird wahrscheinlich vieles eliminieren, was im 20. Jahrhundert noch die Grundlagen für das Funktionieren der Gesellschaft waren.“16
Fragt sich nur, was dann im 21. Jahrhundert für das Funktionieren der Gesellschaft zuständig ist.

Zu Google und Co. in München: „Da Google und Co. inzwischen die Universitäten leer kaufen, fürchten manche bereits um die Grundlagenforschung und die Open-Source-Community – was wiederum die Entwicklung der KI bremsen werde.“((Beuth, Patrick, Sechs Dinge, die man braucht, um eine KI zu bauen. in Der Spiegel 10/4.3.2023))

Max-Apple-Vorstadt 2023. Apple wächst in der Apple-Maxvorstadt: 1) Marsstraße 31, angemietetes Bestandsgebäude; 2) „Lichthöfe“, Denisstraße 3a, 9000 qm, angemietet, 3) „Karl“, Karlstraße, Chipperfield-Bau mit 30.000 qm, 4) Seidlstraße 15 – 19: gerade vom Freistaat für 251 Millionen Euro gekauftes Areal, geplant rund 28.000 qm. Apple will in München in den nächsten sechs Jahren eine Milliarde Euro in den Ausbau von seinem europäischen Zentrum für Chipdesign investieren. Apple begann 1981 in München mit zehn Mitarbeitern; inzwischen arbeiten in Deutschland 4500 Apple-Beschäftigte. In München entstehen durch den Zuwachs Wohnungsprobleme. OB Dieter Reiter (SPD) hat bei der Apple-Leitung die Eigeninitiative des IT-Konzerns beim Wohnungsproblem angeregt. Dagegen sieht Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) kaum ein Problem: Die mit hohem Gehalt alimentierten Apple-Beschäftigten suchten in einem anderen Segment, als dem mit bezahlbarem Wohnraum.17

Firmensitz-Verlegung wegen Hebesatz. Die Bayerische Hausbau verlegt ihren Firmensitz aus steuerlichen Gründen ab 1.10.2023 nach Pullach. Der Gewerbesteuer-Hebesatz beträgt hier 260 (München: 490). Der Grund für die Verlegung des Firmensitzes wird von der Bayerischen Hausbau nicht verschwiegen: „Wie der weit überwiegende Teil unserer Mitbewerber, die diesen Schritt bereits lange vor uns vollzogen haben, profitieren wir dabei von den steuerlichen Vorteilen, die die Münchner Umlandgemeinden bieten.“18Sebastian Krass verwies in diesem Zusammenhang auf eine kommende Gefahr bezüglich der Ansiedlung der Tech-Konzerne in München: „Wenn schon ein Ur-Münchner Unternehmen wie die Bayerische Hausbau bereit ist, vor die Tore der Stadt zu ziehen, dann sollte man sich der Treue eines globalen Konzerns mit Firmenzentrale in Kalifornien erst recht nicht sicher sein.“19
Vgl.: Grünwald

Digitalmetropole München. Davon schwärmen all jene, die sich nicht näher auskennen – und auskennen wollen. (Ähnlich übrigens wie der nur tiefenpsychologisch zu erklärende Drang und Hang zur bedingungslosen Digitalisierung; WZ) Andrian Kreye hat in der SZ einige Fakten auch mit Blick auf das wirkliche Silicon Valley zusammengetragen. Apple hat gerade ein „stadtviertelgroßes Grundstück“ in der Maxvorstadt zusammengekauft und -gemietet. Amazon hat demnächst 2500 Mitarbeiter in der Parkstadt Schwabing. Google bezieht demnächst den Postpalast.  IBM, Microsoft und Kollegen sind alle schon da – auch wegen dem nie versiegenden Strom an Nachwuchskräften aus den IT-Kaderschmieden TUM und LMU. New York hat die Ansiedlung von Tech-Unternehmen südlich der 23. Straße („Silicon Alley“) schon in den Nullerjahren erlebt. Diese „saugten links und rechts alles Leben (Normalverdiener, Bühnen-, Buch- und Plattenläden) auf, um dann Filialen von Khakihosen-, Designerbrillen- und Coffeeshopketten auszuspucken, in denen die Techies stumm auf ihre Bildschirme starrten und nebenbei die Mieten hochtrieben“. Das war mit ein Grund, warum die New Yorker 2019 eine zweite Konzernzentrale von Amazon im bis dato bezahlbarem Viertel Long Island City verhinderten: 25.000 bestverdienenden Angestellte hätten „eine gesamte Nachbarschaft entwurzelt“. In San Francisco, dem „urbanen Vorort des Silicon Valleys“, fielen durch die Tech-Konzerne Zigtausende aus der Mittelschicht und aus ihren Häusern, in die dann die Techies einzogen. Gleichzeitig verarmte das urbane Leben: „Pendler und Techies brauchen keinen Einzelhandel, keine Nachbarschaften, keine Lokale oder Bühnen (…) Gegen urbane Katastrophen wie in San Francisco und Manhatten sind europäische Städte nur bedingt gefeit.“ Kreye attestiert München fehlende Widerstandskraft und Substanz: Die Stadtregierung treibt hier „die wirtschaftliche Entwicklung im Schulterschluss mit Immobilienentwicklern, Konzernen und Lobbyverbänden voran“. Unter anderem deswegen stiegen die Mieten im Münchner Mietspiegel in zwei Jahren um 21 Prozent.20

KI ist keine Hilfe. Der Informatiker Sayash Kapoor ist ein Kritiker der Künstlichen Intelligenz. Im SZ-Interview äußerte er: „Trotz all der Debatten über ethische Probleme von KI ist eine grundlegende Überzeugung nicht totzukriegen: dass Tech-Unternehmen uns helfen wollen…“21

Vom „Recht auf Stadt“. Apple (Maxvorstadt), Google (Arnulf-Post) und andere IT-Konzerne bauen ihre Niederlassungen in München weiter kräftig aus. Die LMU-Wirtschaftsgeographin Susanne Schäfer sieht in einem SZ-Interview die Zukunft des Immobilienmarktes in München durch Ansiedlung von High-Tech-Konzernen wie Apple und die damit einhergehende Vergrößerung der „kreativen Klasse“ gefährdet. Es könne zu einer „Prosperity bomb“ kommen: U. a. werden Stadtviertel aufgewertet, Kaufkraft und Nachfrage nach Dienstleistungen steigen, ebenso wie die Immobilienpreise. In Magdeburg wird 2024 mit dem Bau einer Intel-Fabrik begonnen: Schon jetzt bekommen Anwohner Anrufe mit Verkaufsnachfragen. Ähnlich in Jena, wo die Carl Zeiss AG eine neue Produktionsstätte für 2500 Mitarbeiter errichtet. In München wird sich die Situation auf dem Immobilienmarkt weiter verschärfen; Stadtviertel können gentrifiziert werden und Mieten und Immobilienpreise weiter steigen. Damit werden Dienstleister, Künstler und andere Gruppen mit relativ niedrigem Einkommen an den Stadtrand oder ins Umland verdrängt. Die Beschäftigten im Tech-Sektor sind laut Schäfer „meist weiße, männliche, gut ausgebildete Ingenieure oder Softwareentwickler, die zur kulturellen Vielfalt einer Stadt nur bedingt beitragen“. Das „Recht auf Stadt„, also nicht nur eine Stadt für Wohlhabende, sondern für alle, könnte dadurch eingeschränkt werden; damit wird außerdem der Pendlerverkehr größer. In den USA sehe man am Beispiel San Francisco, wie eine Stadt durch eine ungesteuerte Entwicklung(Silicon Valley) stark steigende Immobilienpreise verzeichnet und immer mehr Menschen obdachlos werden. In New York hingegen habe man im Jahr 2000 erfolgreich gegen eine Konzernzentrale von Amazon in Long Island City protestiert, die dann nach Arlington, einem Vorort von Washington, gezogen ist. Schäfer erwähnte in diesem Zusammenhang auch das FIZ von BMW, wo zunächst einige tausend Mitarbeiter arbeiten sollten: Aktuell sind es über 25.000. Hinzu kommt der Pull-Effekt: Start-ups und weitere Firmen ziehen nach.22

Wo wohnen künftig Münchens Normalbürger? Nach Apples Ankündigung der Investition von einer Milliarde Euro in der Maxvorstand äußerten Kritiker im Münchner Stadtrat die Befürchtung, die Mieten in München könnten weiter explodieren. Der Münchner Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) war gänzlich anderer Ansicht: „Einen berühmten Schuldigen wie Apple zu finden, ist für die eine oder andere politische Gruppierung in ihr Schema passend. Ob’s stimmt oder nicht, wird lange nicht geprüft.“ Damit meinte er wohl die Stadtratsfraktion ÖDP/München-Liste. Der ÖDP-Vorsitzende Tobias Ruff hatte  „ein Ungleichgewicht zwischen Wohnungen und Arbeitsplätzen“ festgestellt. Angesichts der von Apple angekündigten 1500 neuen Arbeitsplätze folgerte Ruff einen erhöhten Druck auf den Wohnungsmarkt. Er wies auch auf den erhöhten Investitionsbedarf in die Infrastruktur (Kindergärten, Schulen etc.) hin. Ruff konstatierte einen Investitionsstau von etwa 20 Milliarden Euro in München, der nach seiner Prognose in rund 25 Jahren aufgeholt werden könne. Ruff stellte auch ein Aussterben der Münchner Innenstadt fest: „Es leben kaum noch Leute dort. Man hat nur noch Zahnarztpraxen, Anwaltskanzleien und Bürokomplexe. Wir würden uns eine Durchmischung wünschen.“ OB Dieter Reiter (SPD) äußerte, er habe schon frühzeitig an Apple und den Freistaat appelliert, sich der Verantwortung des Wohnungsbedarfs zu stellen. München liegt inzwischen mit 9000 bis 10.500 Euro hinter Paris (13.400 Euro) auf dem zweiten Platz der europäischen Städte. Laut Baumgärtner kamen 2022 rund 2600 neue Zuzügler nach München, etwa 2200 pro Monat. Im Monat der Apple-Ankündigung seien es nur 700 gewesen. „Es kommen also auch ohne Apple genug Menschen nach München. Seit Jahren entstehen die meisten Jobs im Sektor Informationstechnologie. Das Getue um Apple ist also scheinheilig.“ Er habe im Gespräch mit der Apple-Vizepräsidentin Kristina Raspe den Kauf von Anteilen an Genossenschaftswohnungen empfohlen, „denn auch große Unternehmen wie Apple bräuchten nicht nur Angestellte, die finanziell in der Lage seien, die hohen Mieten in München zu bezahlen, sondern auch Reinigungskräfte oder Pförtner.“ Baumgärtner weiter: „Meine Aufgabe ist es, dass sich die Wirtschaft in München wohlfühlt. Von etwa 7,5 Milliarden Euro Stadthaushakt kommen drei Milliarden von der Gewerbesteuer.“((Eldersch, Thomas, Apples Milliardeninvestition: Kann sich Otto Normalbürger München überhaupt noch leisten?, in gmx.net/magazine 27.4.2023))
Dass die vielgerühmte Gewerbesteuer eine immense Ausweitung der technischen und sozialen Infrastruktur nach sich zieht, lässt Baumgärtner bewusst außer Acht.

„Isar Valley“ auf dem Weg von Silicon Valley? In der SZ hat Jürgen Schmieder Anfang Juli 2023 den Niedergang der Stadt San Francisco beschrieben, einst glorreiches Synonym für das Silicon Valley. Um 2011 hatte der damalige Bürgermeister von San Francisco, Ed Lee, den Plan, die Stadt und das Silicon Valley zu vereinen und Start-ups mit Steuervergünstigungen anzusiedeln. Noch Anfang 2020 arbeiteten etwa 250.000 Beschäftigte im Stadtzentrum: aktuell sind es unter 100.000. Jetzt steht ein Drittel der Gewerbeflächen leer (rund 2,3 Millionen qm). Und im Stadtzentrum gibt es 8000 Obdachlose. Der Meta-Konzern (Facebook) und die IBM-Tochter Red Hat werden ihre Konferenzen 2024 nicht mehr in San Francisco abhalten. „Vereinfacht ausgedrückt, hat sich alles, was sie während des Tech-Booms der Zehnerjahre getan haben, ins Gegenteil verkehrt.“23

Wirtschaftsreferat zufrieden. Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) zeigte sich mit dem Wirtschaftsjahr 2022 sehr zufrieden, trotz immens gestiegener Energiepreise und hoher Inflationsrate. 2022 wurde mit 939.542 ein neuer Beschäftigungsrekord erreicht. Der IT-Sektor (mit Amazon, Apple, Alphabet, Huawei, IBM, Microsoft, SAP etc. (vgl. Isar Valley) hat die Zahl seiner Beschäftigten auf 107.845 erhöht (11,5 Prozent der Münchner Beschäftigten). Baumgärtner verwies auf die Bedeutung des IT-Unternehmens für Wohlstand und Beschäftigung und äußerte: „Das ewige Gemotze über Firmenansiedlungen ist unsäglich.“24
Da Baumgärtner noch nie über die Folgelasten und negative Implikationen der Ansiedlung von IT-Konzernen sprechen wollte, würgt er nun auch im Juli 2023 die Diskussion darüber ab. Ihn interessiert auch nicht, dass durch die bestens verdienenden Mitarbeiter der IT-Konzerne das Mietniveau weiter steigt – und die sozialen Zusammenhänge in der Stadt weiter absinken. 

Facebook/Meta eröffnet neu in München. Im Oktober 2023 eröffnet der Internetkonzern Meta einen Standort an der Balanstraße. Hier werden etwa hundert Beschäftigte arbeiten und u. a. mit Vertriebs- und Verkaufsteams den süddeutschen Raum bearbeiten. Zu Meta gehören Facebook, Instagram, Threads (Whatsapp) und Quest (früher Oculus), ein Produzent von Virtual-Reality-Brillen. Meta betont als Grund für die Ansiedlung die bayerische Spitzenforschung (u. a. die zwei Münchner Universitäten und diverse Hochschulen), das gute Facharbeiterangebot und die Nähe zu wichtigen bayerischen Unternehmen wie viele Dax-Konzerne und Start-ups. Meta fördert an der TUM das „Institute for Ethics in Artificial Intelligence“ und kooperiert mit eng BMW.25

Vgl.: Amazon, Apple, Google, IBM, Microsoft, Gentrifizierung

  1. Würzer, Julian, Warum Google, Facebook und Co. in München Millionen investieren, in augsburger-allgemeine.de 13.1.2020 []
  2. Krass, Sebastian, Niewel, Gianna, In bester Lage, in SZ 10.3.2020 []
  3. Hoffmann, Catherine, Erfolg nährt den Erfolg, in SZ 1.6.2021 []
  4. Bode, D., Effern, H., Hoben, A., Hoffmann, C., Apple hat noch mehr Lust auf München, SZ 11.3.2021 []
  5. Bode, D.,Effern, H., Hoben, A., Hoffmann, C., Apple hat noch mehr Lust auf München, SZ 11.3.2021 []
  6. Hölzle, Sebastian, Silicon Valley an der Isar, in tz.de 6.7.2021 []
  7. Welche Firmen jetzt investieren, in tz 6.7.2021 []
  8. Rühle, Alex, Draußen vor der Tür, in SZ 4.11.2021 []
  9. Krass, Sebastian, Apple plant riesiges Zentrum in München, in SZ 1.3.2022 []
  10. Krass, Sebastian, Macht die Debatte öffentlich!, in SZ 1.3.2022 []
  11. Krass, Sebastian, Apple plant Neubau auf Grundstück des Freistaats, in SZ 30.9.2022 []
  12. Krass, Sebastian, Apple kauft Grundstück für eine Viertelmilliarde, in SZ 2.2.2023 []
  13. Schmieder, Jürgen, Aus allen Wolken gefallen, in SZ 24.12.2022 []
  14. Buchwald, Sabine, TU München erhält Großspende von Google, in SZ 15.2.2023 [] []
  15. Apple investiert weitere Milliarde in Münchner Chip-Zentrum, in spiegel.de 2.3.2023 []
  16. Kreye, Andrian, Im Tal der Ahnungsvollen, in SZ 2.3.2023 []
  17. Hoben, Anna, Hoffmann, Catherine, Krass, Sebastian, Martin-Jung, Helmut, Silicon Valley mitten in München in SZ 4.3.2023 []
  18. Krass, Sebastian, Umzug in die Gewerbesteueroase, in sueddeutsche.de 15.3.2023 []
  19. Krass, Sebastian, In München Geld verdienen, im Umland Steuern sparen, in SZ 15.3.2023 []
  20. Kreye, Andrian, Isar Valley? Oh my god!, in SZ 10.3.2023 []
  21. Brühl, Jannis, „Chat-GPT wird benutzt, um Bullshit zu automatisieren“, in SZ 21.3.2023 []
  22. Hofmann, René, „Kurze Arbeitswege werden eine Art Luxusgut“, in SZ 29.3.2023 []
  23. Schmieder, Jürgen, Die verlorene Stadt, in SZ 8.7.2023 []
  24. Hoffmann, Catherine, Beschäftigungsrekord trotz Krieg, Corona und Inflation, in SZ 4.7.2023 []
  25. Hoffmann, Catherine, Meta zieht an die Balanstraße, in SZ 18.8.2023 []
Synonym verwendet:
München Isar Valley
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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