Aktualisiert 19.3.2023
Aus Wikipedia: „Als Gentrifizierung (von englisch gentry ‚niederer Adel‘), auch Gentrifikation, im Jargon auch die Yuppisierung, bezeichnet man den sozioökonomischen Strukturwandel großstädtischer Viertel durch eine Attraktivitätssteigerung zugunsten zahlungskräftigerer Eigentümer und Mieter als vorher und deren anschließenden Zuzug. Damit verbunden ist der Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen. (…) Erste Gentrifizierungsanzeichen finden sich immer schon vor den preislichen Änderungen im Wohnungsmarkt. (…) Gentrifizierungsprozesse laufen nach typischen Mustern ab: Wegen niedriger Mietpreise sowie zunehmend attraktiver Lage werden einzelne Stadtteile für ‚Pioniere‘ (Studenten, Künstler, Subkultur) attraktiv. Diese werten die Stadtteile durch kulturelle Aktivitäten auf und setzen einen Segregationsprozess in Gang. Künstler und Gastronomen etablieren sich und bringen weitere Interessenten in die Stadtteile. Studenten steigen ins Berufsleben ein, verdienen mehr Geld als zuvor und gründen Familien, womit ihr Wohnflächenbedarf steigt; damit hängt die Gentrifizierung also nicht immer vom Zuzug neuer Bewohner ab. Investoren sehen Chancen zur Wertsteigerung, Häuser und Wohnungen werden aufgekauft und restauriert, Szene-Clubs und Lokale entstehen. Die Mieten steigen, und finanziell Schwache wandern ab. Die Bevölkerungsstruktur und der Charakter der Viertel wandeln sich. Die Gentrifizierung geht einher mit einem allgemeinen Segregationsprozess. (Aus Wikipedia; gentry bezeichnet auch Oberschicht)
In München lief die Gentrifizierung oder Gentrifikation seit den Achtziger-Jahren zunächst vor allem in Schwabing, Haidhausen, dem Lehel und dem Gärtnerplatzviertel ab. Inzwischen sind viele weitere Viertel betroffen: eigentlich die gesamte Innenstadt, dazu Neuhausen, die Maxvorstadt etc.
Interessant ist dann die weitere Entwicklung: Wenn die reichen Käufer sündteurer Wohnungen in Szenevierteln sich dann vom Lärm lauter Gaststätten und Bars und ihrer Gäste gestört fühlen.
Gentrifizierung im Glockenbachviertel. Die Architektin Claudia Pöppel berichtete 2005 über den Glockenbachspielplatz, der extra als Familientreffpunkt umgebaut wurde. Inzwischen werden die Familien aber verdrängt durch die reichen Käufer von teuren Eigentumswohnungen. Gerade das Glockenbachviertel ist stark betroffen: Hier gab es alte Fabriken, deren Beschäftigte in der Umgebung wohnten. Das Gebäude der Maschinenfabrik Hurth in der Westermühlstraße wurde durch einen Neubau ersetzt. Mitte der achtziger Jahre wurden die Gebäude der Hans-Sachs-Straße saniert, danach kamen die der Ickstatt- und Jahnstraße dran. Und mit den Renovierungen kamen die Investoren, kauften ganze Häuser und entmieteten die Bewohner mehr oder minder sozial.
Die alten, denkmalgeschützten Gebäude der Firma Zettler in der Holzstraße 28 und 30 wurden 1998 von einer Grundstücksverwaltung gekauft, die das Gelände „revitalisieren“ möchte: Unter anderem war die Hauptverwaltung von Yahoo Deutschland eingezogen, dazu Verlage und Werbeagenturen. Nach der Renovierung soll das „Glockenbach-Medienhaus“ dort aufgebaut werden mit einer Musikagentur, einem Printverlag und weiteren Vertretern des kreativen Milieus. [1][2][3]
Bürgerinitiativen wehren sich. Immer mehr Wohnraum wird in München vernichtet, entmietet, luxussaniert: gentrifiziert. Dagegen bilden sich Bürgerinitiativen wie Rettet die Münchner Freiheit, eine Reaktion u. a. auf den Abriss der Schwabinger 7 im Sommer 2011 für Luxus-Wohnungen an der Feilitzschstraße 7 – 9 im Millionenbereich unter dem Slogan „MONA|CO – Die neue Münchner Freiheit“ (Vermarkter: von Poll Frankfurt; https://www.neubaukompass.de/neubau/monaco-die-neue-muenchner-freiheit-muenchen/)
Die Münchner Stadtpolitik war merkwürdig gespalten. CSU-MdL Robert Brannekämper, Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) und die grünen Stadträtinnen Sabine Nallinger und Jutta Koller unterstützten die BI. Die SPD-Stadträtin und Vorsitzende des Mietervereins, Beatrix Zurek war für den Abriss und Neubau, weil durch die teuren Wohnungen woanders billigere frei werden würden.
Max Heisler von der Aktionsgruppe Untergiesing zählte in dem Bereich 33 Architekturbüros, die z. T. in ehemaligen Läden unterkamen. Die Grünwalder Investmentfirma Rock Capital übernahm das Hans-Mielich-Carree, sanierte etwas und erhöhte die Mieten um 20 Prozent. In der Birkenau 10 und 12 werden zwei alte, ehemals denkmalgeschützte Kutscherhäuschen abgerissen und durch einen vierstöckigen Wohnblock mit Eigentumswohnungen ersetzt. (Vgl. September 2010 und Birkenau) Die Initiative Dreimühlenviertel hat 1380 Unterschriften gegen die Bebauung des ehemaligen Rodenstockgeländes gesammelt: Die Baywobau will siebenstöckige Gebäude mit Eigentumswohnungen zum Quadratmeterpreis von bis zu 10.000 Euro bauen. [4]
Gentrifizierung in der Maxvorstadt. Die Bewohner der von Luxussanierung bzw. Abriss bedrohten Wohnhäuser Türkenstraße 52 und 54, unter anderem der Kinderbuchautor Ali Mitgutsch (* 1935; † 2022) und der Kunsthistoriker Norbert Ott, hatten ab 8.7.2013 in der U-Bahn-Galerie im Bahnhof Universität eine kleine Ausstellung mit fünf Tafeln gezeigt mit dem Titel: „Maxvorstadt – Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum“. Dort fanden sich die Spekulationsobjekte in der Schellingstraße, Adalbertstraße, Luisenstraße, Amalienstraße und Türkenstraße. Zur Türkenstraße 52 und 54 stand dort neben Zeitungsartikeln in Handschrift: „Wir bleiben hier“; „Investoren schütteln den Denkmalschutz ab“; Rendite gegen Menschlichkeit“. Die Münchner Investoren hatten es nämlich geschafft, den Denkmalschutz aufheben zu lassen. Deren Geschäftsführer Joseph B. schrieb daraufhin einen Brief an Norbert Ott, den Sprecher der Mietergemeinschaft, und forderte ihn auf, Fotos und die Namen der Eigentümer-Firma bis zum Folgetag zu entfernen. Außerdem wurde Ott, der seit 40 Jahren in dem Haus in der Türkenstraße wohnt, mit Kündigung bedroht. Der BA 3 Maxvorstadt hatte die Vitrinen zur Verfügung gestellt und schrieb auf seiner Internetseite: „Es gilt aufzupassen, liebe Maxvorstädter! Die Entmietung zum Zweck der Luxussanierung schreitet in der Innenstadt Münchens unaufhörlich voran. Wann trifft es Sie? … DIE MAXVORSTADT GEHÖRT UNS, NICHT DEN SPEKULANTEN.“ [5]
Gentrifizierung in New York. Die Hudson Yards waren mit 25 Milliarden Dollar das teuerste Bauprojekt Amerikas. Auf vier Millionen Quadratmeter am Hudson River entstanden 16 Gebäude, davon sechs Glastürme, ein leerstehendes Einkaufszentrum und das Kulturzentrum The Shed. Das Retortenviertel wurde im Frühjahr 2019 eröffnet und soll bis 2026 fertiggestellt sein. In der Gegend stiegen seither die Immobilienpreise stark. Hochhäuser von Promi-Architekten mit Wohnungen zu irrsinnig hohen Preisen ab vier Millionen Dollar entstanden. Die Stadt New York unter ihrem damaligen Bürgermeister und Milliardär Michael Bloomberg subventionierte das Projekt mit sechs Milliarden Dollar zugunsten des Immobilienkonzerns Related. Gleichzeitig wurde die Förderzone des ehemaligen Schwarzenviertels Harlem erweitert. Related darf etwa 3000 sogenannte EB-5-Visa ausgeben: Jeder Ausländer, der 500.000 Dollar investiert, bekommt für sich und seine Familien Green Cards. 90 Prozent gingen bisher an Chinesen. Der Psychotherapeut Griffin Hansbury schreibt unter dem Pseudonym Jeremiah Moss seinen Blog „Vanishing New York“ und beschreibt die Chronik der wegrationalisierten Gaststätten, Geschäfte, Bars. Die Gentrifizierung in New York, die Moss Hypergentrifizierung nennt, bedeutet, dass mit Milliarden Dollar die Stadt für die Oberschicht umgebaut wird, wobei diese Reichsten sich nicht für das eigentliche New York interessieren. Die Luxustürme der Hudson Yards und anderswo nennt Moss „vertikale Geisterstädte“: „Da wohnt niemand. Das sind Spekulationsobjekte.“ Der „Zombie-Urbanismus“, ein Ausdruck des norwegischen Urbanisten Jonny Apsen, bedeutet, dass die neuen Bewohner New Yorks etwas Boheme und Großstadtflair möchten – hochpreisig und durchgestylt -, bis sie weiterziehen. Deshalb wohl haben auch die New Yorker im Februar 2019 ein Hauptquartier von Amazon im Stadtteil Queens verhindert: Die Stadt hatte Amazon drei Milliarden Dollar Fördergelder angeboten und Amazon 25.000 Jobs versprochen: Aber die hochbezahlte Arbeitskräfte hätten laut Moss zwar in New York gewohnt, „ohne hier zu leben“. Die Mitarbeiter vom Google-Büro in Chelsea leben das vor: Sie gehen nicht einmal ums Eck essen, da ihnen der Konzern alles „inhouse“ anbietet. Für Moss ist die Tech-Industrie eng verknüpft mit der Immobilienindustrie: „Deren Philosophie ist es, Städte nicht als Gemeinden und Wohnorte, sondern als Ware zu betrachten“ – Hypergentrifizierung als Hyperkapitalismus. [6]
Gewerbe raus, Wohnungen rein. Früher war das umgekehrt: Da wurde Wohnraum – verbotenerweise – des höheren Profits wegen – zum Gewerberaum umgewandelt. Heute wird aus kleinen Gewerbeeinheiten oft – teuerster – Wohnraum. Handwerksbetriebe in Hinterhöfen und Rückgebäuden verschwinden. Für Kfz-Werkstätten hat niemand mehr Raum. Aus Ateliers werden Lofts, aus kleinen Läden, aus ehemaligen Wirtschaften und Kneipen hochpreisige Wohnungen. In Milbertshofen verlor die Fahrradwerkstatt R 18 ihren Sitz in einem kleinen Gewerbehof am Wallensteinplatz und musste nach Allach umziehen: Hier werden jetzt Wohnungen gebaut. [7]
Vgl. zu R 18: Juni 2021
Techies und Gentrifizierung. Andrian Kreye schrieb in der SZ zur Digitalisierung Münchens: „Die drei Naturgewalten der Gentrifizierung sind Tourismus (Venedig, Paris, Barcelona), Finanzwelt (New York, London, Frankfurt) und Tech (San Francisco, Dublin, Lissabon). Die Dynamik ist in allen Fällen die gleiche: Touristen, Finanzmenschen und Techies haben zwar überdurchschnittlich viel Geld und einen internationalen Lebenswandel, doch sie sind dezidiert keine Kosmopoliten, sondern Transplantate ihrer jeweiligen Konzernkulturen, die keinen Anschluss an ihre Umgebung suchen. In den digitalen Konzernen ist die Lebensform zum Beispiel eine posturbane, in der der digitale den öffentlichen Raum ersetzt.“ [8]
Fußnoten und Quellen
- Kastner, Bernd, „Hoffentlich wird hier nicht alles saniert“, in SZ 24.10.2005⇑
- Ebitsch, Sabrina, Fabrikhof mit Aschenputtel-Atmosphäre, in SZ 30.12.2005⇑
- Ebitsch, Sabrina, „Alles, was historisch ist, bleibt“, in SZ 13.4.2007⇑
- Kotteder, Franz, Wenn der Trend ins Viertel drängt, in SZ 27.5.2011⇑
- Kastner, Bernd, Heuschrecke zeigt Zähne, in SZ 12.8.2013⇑
- Kreye, Andrian, Ghettos des Reichtums, in SZ 11.8.2019⇑
- Kramer, Lea, Wohnen statt werkeln, in SZ 16.1.2023⇑
- Kreye, Andrian, Isar Valley? Oh my god!, in SZ 10.3.2023⇑