Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Neuperlach

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 5.7.2023

1960 beschloss der Münchner Stadtrat angesichts der großen Wohnungsnot den Bau von drei „Entlastungsstädten“: Oberschleißheim, Freiham und Neuperlach. Das Baureferat begann mit den Planungen für Neuperlach 1961. Die Planungen des neuen Stadtteils begannen 1967 mit zuerst 80.000, dann 70.000 Bewohnern und 30.000 Arbeitsplätzen auf etwa 1000 Hektar mit „Beinahe-Hochhäusern“. (Heute sind es etwa 55.000 Bewohner und 22.000 Arbeitsplätze.) Es gab fünf Bauabschnitte: Nord, Nordost, Ost, Zentrum und Süd. Die Grundsteinlegung war 1974. 1976 waren Nord- und Ostabschnitt fertiggestellt mit 14.300 Wohnungen, die Hälfte davon Sozialwohnungen. Der Südabschnitt wurde als letzter 1980 begonnen. Viele der ursprünglichen Sozialwohnungen wurden inzwischen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Das neue Viertel war ab 1973 zunächst nur über die Straßenbahn Linie 24 mit der Innenstadt verbunden: Erst 1980 fuhr die U2 bis Neuperlach Süd. (Aus Wikipedia)
Das erinnert frappant an die Anbindung des neuen Viertels Freiham mit geplanten 25.000 bis 30.000 Bewohnern, wo die Diskussion um eine rasche Verkehrsanbindung auch heute noch anhält.

25 Jahre Neuperlach. In einem Resümee stellte die Abendzeitung im Januar 1992 Schlagzeilen zusammen: „Grüne Witwen, „kriminelle Jugendliche“, „anonyme Nummern im Hochhaus“. Die „soziale Infrastruktur“ mit Cafés, Kinos und Begegnungsmöglichkeiten blieb unterentwickelt. „Neuperlach und künftige Großsiedlungen wie München-Riem werden ‚Schlafstädte‘ bleiben, wenn nicht mehr dafür getan wird, den Lebensraum außerhalb der Wohnungen – also das Geflecht der urbanen Zwischenräume – attraktiver und kommunikativer zu gestalten.“1
2016 beschloss der Stadtrat die Sanierung von Neuperlach, die über die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung, eine Tochter der städtischen GWG, läuft. Die sogenannten Unterzentren führen ein marodes Dasein, sofern es sie überhaupt noch gibt.2

Neuperlach war keine Lösung. Bei einer CSU-Veranstaltung in Daglfing zum Thema SEM Nordost äußerte der Rechtsanwalt von Heimatboden, Benno Ziegler, dass die Stadt ihre Wohnungsnot auch nicht durch den Bau neuer Quartiere lösen werde und nannte das Beispiel der „Entlastungsstadt“ Neuperlach: Selbst Wohnungen für 70.000 Menschen konnten den Mangel an Wohnraum nicht beheben.3

Sanierungsfall. Am 11.5.1967 war die Grundsteinlegung des neuen Stadtteils Neuperlach: 2021 war Neuperlach ein Sanierungsfall. Bereits im Februar 2020 organisierte das Planungsreferat ein erstes Zusammentreffen mit Bürgern: Die Corona-Pandemie beendete dann den Bürger-Dialog bis auf weiteres. Am 12.2.202 wurde der dritte von fünf Stadtspaziergängen organisiert und das Projekt „Neuperlach – Ein Stadtteil im Wandel“ vorgestellt. Das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“ wird bis 2023 fertiggestellt: Die anschließende Sanierung soll etwa 15 Jahre dauern.4

Sanierung zum Jubiläum. 55 Jahre nach dem Baubeginn 1967 soll Neuperlach saniert werden. 2022 soll die Phase 1 beginnen (Nord und Zentrum), Phase 2 ab Mitte 2028 (Mitte) und Phase 3 ab 2035 (Süd). Bund und Land fördern die Sanierungen. BA-Vorsitzender Wolfgang Thalmeir (CSU) warnte davor, dass durch die Stadtsanierung auch mit Nachverdichtungen die von den Perlachern geschätzten Grün- und Freiflächen zugebaut werden könnten.5

Sanierung verschoben. Der Ostpark in Neuperlach wird 50: und sollte zum Jubiläum saniert werden. Der BA Ramersdorf – Neuperlach befürchtet nun eine Verzögerung oder Verringerung der Arbeiten. Die Stadt hat die hierfür beantragten 4,5 Stellen im Baureferat im Haushalt 2023 abgelehnt. Damit könnten alle drei große Projekte in Mitleidenschaft gezogen werden: neben der Sanierung des Ostparks ein Bürgerhaus am Hanns-Seidel-Platz und eine Überarbeitung der Latäre-Kirche mit ihren Freiflächen.6

Bürgerhaus verschoben. Seit Jahrzehnten ist am Hanns-Seidel-Platz ein Bürgerhaus für Neuperlach geplant. 2023 soll ein Provisorium eingerichtet werden. Das vorläufige Bürgerhaus soll Mitte 2023 zur Verfügung stehen und bis Herbst 2026 als Interim dienen, bis es abgerissen wird. Im Frühjahr 2027 soll dann der Bau des endgültigen Bürgerhauses starten.7

Investitionsobjekt Perlach Plaza eröffnet. Das „Perlach Plaza“ ist ein Projekt der Investoren BHB Unternehmensgruppe aus Grünwald und der Concrete Capital von Hubert Haupt. Jetzt wurde das „Perlach Plaza“ fertiggestellt, verkauft wurde es aber schon 2020 an die KGAL-Gruppe aus Grünwald für rund 250 Millionen Euro. Das Projekt umfasst Geschäfte, Gastronomie, ein Hotel („Ibis Styles“), 110 Mietwohnungen und 104 Studenten-Apartments.8

Die unendliche Geschichte: Hanns-Seidel-Platz. Fast fünf Jahrzehnte wartet der Platz auf ein Kultur- und Bürgerhaus. Und die aktuell geplante Gestaltung der öffentlichen Grünanlagen enttäuschte den BA Ramersdorf – Perlach. Aus versprochenen Brunnen mit Wasserspielen wurde ein profaner Trinkwasserspender.9
Nachtrag: Die Vollversammlung des Münchner Stadtrats hat vier neue Stellen und 1,5 Millionen Euro bewilligt, um die Bauplanung für das Kultur- und Bürgerhaus voranzubringen. Den Wettbewerb hierfür hatte 2013 das Büro Delugan Meissl aus Wien gewonnen. Die Stadt suchte dann vergeblich einen Investor und wird jetzt selbst zum Bauherrn. Erwin Bohlig (CSU) sitzt im BA Ramersdorf – Perlach im Kulturausschuss und warnte angesichts der „unendlichen Geschichte“ vor Euphorie: „Es gab Zeiten, da hat man sich schon mit der Einrichtung beschäftigt, weil man dachte, jetzt geht’s los.“10

Drei Sanierungsprogramme.  Das  Rathaus  hat Neuperlach zum „Handlungsraum“ erklärt: einem Schwerpunkt der Stadtentwicklung. Der Stadtrat hat dort Anfang 2022 die zwei Sanierungsgebiete im Norden und im Zentrum bestimmt. Und am 15.2.2023 wurde  „Creating NEBhourhoods Together“ von Stadtbaurätin Elisabeth Merk vorgestellt: Das Programm soll Neuperlach zu einem „europäischen Leuchtturm für Klimaneutralität und Lebensqualität“ machen und wird mit fünf Millionen Euro im Rahmen der Initiative Neues Europäisches Bauhaus (NEB) gefördert.11

Infrastruktur seit 1973 mangelhaft. Das Stadtteilbüro Neuperlach wurde 1973 gegründet und feierte jetzt sein 50-jähriges Bestehen. Die ursprünglichen Probleme waren in der damals neuen Trabantenstadt ähnlich wie die heutigen: Vereinsamung, soziale Isolation, Verarmung, teurer und knapper Wohnraum. Die jetzige Leiterin des Stadteilbüros, Monika Klink, urteilte über die Situation 1973: „Doch mit der Infrastrutur für das Viertel kam man nicht hinterher.“12
Ob das wohl heutzutage bei der Planung Freiham (25.000 Bewohner) anders ist? Und bei der geplanten SEM Nordost (30.000 Bewohner), der SEM Nord (bis zu 60.000 Bewohner)?

  1. Thurn und Taxis, Lilli, Wohnen – eine Gewohnheitssache, in Abendzeitung 11.1.1992 []
  2. Grundner, Hubert, Frage der Zukunft, in SZ 25.8.2020 []
  3. Hutter, Dominik, Da geht noch weniger, in SZ 11.6.2018 []
  4. Neff, Berthold, Ein Stadtteil muss zu Check-up, in SZ 15.2.2021 []
  5. Stäbler, Patrik, Neues Perlach, in SZ 12.1.2022 []
  6. Ostpark wird erst später schöner, in SZ 23.9.2022 []
  7. Stäbler, Patrik, Warten auf ein Bürgerhaus, in SZ 30.9.2022 []
  8. Krass, Sebastian, Neues Leben für Neuperlach, in SZ 21.10.2022 []
  9. Stäbler, Patrik, „Da wird an allen Ecken und Enden gespart“, in SZ 15,12.2022 []
  10. Stäbler, Patrik, Das Dach soll schweben, in SZ 23.12.2022 []
  11. Stäbler, Patrik, Münchens grünes Vorzeige-Viertel, in SZ 16.2.2023 []
  12. Stäbler, Patrick, Seit 50 Jahren nah an den Menschen, in SZ 30.6.2023 []
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