Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Tucherpark

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert: 31.7.2023

Aus Wikipedia: „Der Tucherpark ist ein Stadtviertel von München. Es wurde Ende der 1960er Jahre auf Initiative der Bayerischen Vereinsbank errichtet. Die einheitlich geplante Bürosiedlung wurde als Ensemble (E-1-62-000-80) in die Bayerische Denkmalliste eingetragen sowie das ehemalige Bürogebäude Am Tucherpark 4 (D-1-62-000-7920) und das Gebäude Am Tucherpark 12 (D-1-62-000-8508), welches als Technisches Zentrum der Bayerischen Vereinsbank errichtet wurde, als Baudenkmal. (…) Der Tucherpark war ursprünglich das Gelände der Tivoli-Kunstmühle, die 1969 stillgelegt und abgerissen wurde. Die Bayerische Vereinsbank, die einen neuen Ort für ihre stark gewachsene Verwaltung suchte, startete das Projekt Tucherpark und begann noch 1969 mit dem Bau der Verwaltungsgebäude. Das Konzept des Projektes wie auch die Gebäude beruhen auf Plänen von Sep Ruf. Lediglich zwei spätere Gebäude wurden von anderen Architekten entworfen. Benannt ist der Park nach Hans Christoph Freiherr von Tucher, der von 1958 bis 1968 Vorstandssprecher der Bank war.“

Juni 1992: Hausgemachte Bausünden. Der Architekt Meinrad von Ow hat eine Dokumentation mit dem Untertitel „Sünden der Vergangenheit, Versäumnisse der Gegenwart“ erstellt. Das größte Problem Münchens ist der fehlende bezahlbare Wohnraum durch hohe Grundstücks- und Baupreise. Hinzu kommt die permanente Umwandlung von Wohnraum in Gewerberaum. Von Ow stellt fest, dass die Stadt das Wirtschaftswachstum auf Kosten der Wohnbevölkerung gefördert und damit gegen ihre eigenen Zielvorstellungen verstoßen hat. Investoren und Immobiliengewerbe, Banken und Versicherungen und die Hauseigentümer selbst nutzten dies aus.1
Beispiel Tucherpark-Umwidmung: Der Tucherpark war ein ehemaliges Landschaftsschutzgebiet – bis 1992. Im März 1971 startete die Bebauung mit einem Freizeitareal für Bankangestellte. Im Herbst 1971 wurde ein viermal so großes Gebäude, wie ursprünglich festgelegt, genehmigt. 1991 kam das Hilton Hotel Munich Park hinzu. Westlich des Eisbachs wies die Planung Grünfläche und Allgemeines Wohngebiet aus: inzwischen mit Bankbauten überbaut. Der Sederanger im östlichen Teil des Tucherparks war als Wohngebiet ausgewiesen und wurde zum Kerngebiet, in dem laut Stadt „nur Verwaltungsgebäude für Dienstleistungsbetriebe errichtet werden“. Meinrad von Ow: „Hier beschließen Konzerne widerrechtlich, im Wohngebiet Verwaltungsgebäude zu errichten, und die Stadt reagiert damit, dass sie expressis verbis deswegen das Gebiet zum Kerngebiet erklärt.“1

März 2020: HypoVereinsbank verkauft Tucherpark. In den sechziger Jahren entstand der Bürokomplex Tucherpark zwischen Englischem Garten und Isarring. Nun verkaufte die HVB das unter Ensembleschutz stehende Gelände mit zehn Gebäuden für eine kolportierte Summe von über eine Milliarde Euro an die Commerz Real (eine Immobilientochter der Commerzbank) und den Projektentwickler Hines. Dessen Managing Director Christian Meister versicherte großzügig, dass die Bagger nicht sofort anrücken würden. Architekturhistoriker Winfried Nerdinger kritisierte das damalige Projekt Tucherpark als „städtebauliche Todsünde“, da es in den Englischen Garten platziert und mit breiten Verkehrsschneisen umgeben wurde. Nerdinger äußerte, der Schutz des Englischen Gartens müsse im Vordergrund stehen. Und wenn ein Investor so viel Geld investiere, dann wolle er auch entsprechend viel Geld herausholen.2

Investor Hines zum Tucherpark: hier

Hines kauft zu. Die Rosenheimer Straße 145 war erst eine Kleidermanufaktur von Konen. Seit der Jahrhundertwende waren diverse Entertainment-Unternehmen und Medien-Startups auf etwa 96.000 Quadratmetern untergebracht. Jetzt haben Union Investment und Hines den Gebäudekomplex Mediaworks gekauft: Angeblich sind mehr als eine Milliarde Euro für Kauf und Umbau eingeplant. Union Investment finanziert, Hines entwickelt. Hines hat in München u. a. die Hofstatt in der Sendlinger Straße entwickelt (18.000 Quadratmeter im Bestand, 24.000 Quadratmeter im Neubau), baut den ehemaligen Allianz-Standort an der Fritz-Schäffer-Straße in Neuperlach (Aer) mit 87.100 Quadratmetern aus, hat im Mai 2021 mit der Commerzbank für etwa eine Milliarde Euro den Tucherpark (148.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche) von der Hypovereinsbank gekauft.3
Nachtrag Mai 2021: Etwa 30 Prozent der 140.000 Quadratmeter Geschossfläche sollen in geschätzten 400 Wohnungen umgewandelt werden, davon unter der neuen Münchner Richtlinie 50 Prozent SoBoN. Hines will dafür von der Stadt mehr Baurecht.4

Nachverdichtung“am Tucherpark. Die Bayerische Vereinsbank (dann HypoVereinsbank, Unicredit) hatte Ende der sechziger Jahre das Gelände gekauft. Einen Großteil des Areals hatte Sep Ruf (1908 – 1982) seinerzeit als Ensemble geplant. Die „Circular City“, wie die seit 2019 jetzigen Eigentümer, Hines Immobilien und Commerz Real, den Tucherpark nennen, soll „nachverdichtet“ werden: In den Randbereichen zehn komplette Neubauten errichtet werden. Auf ihrer Webseite versprechen die Eigentümer „eine umfassende Bürgerbeteiligung und ein transparentes Verfahren“. Das Bürgerbegehren Grünflächen erhalten – München mit Bedacht gestalten hat sich gegen mehrere der geplanten Projekte erfolgreich ausgesprochen; auch die Regierung von Oberbayern hat an einzelnen Maßnahmen Kritik angemeldet. Der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann sieht dagegen die Pläne am Tucherpark mehrheitlich positiv. Als Einzige stimmte Claudia Mann (CSU) gegen das Bauprojekt, in dem sie einen „Persilschein für den Abbruch“ von einigen Gebäuden sieht.5

Umbauen und Zubauen. Die Commerz Real (Beteiligungsquote am Tucherpark 98,9 Prozent) und Hines München kauften 2019 den Tucherpark mit zehn Gebäuden, Sportanlagen und drei unbebauten Arealen. Laut Aussage von Hines München stehen alle Gebäude im Wasser und müssten saniert werden. Die HypoVereinsbank, heute Unicredit, ist nur mehr Mieter und zieht 2024 aus. Im Norden des Tucherparks sind vier Neubauten geplant, auch im Süden soll erweitert werden. Architekt Sep Ruf und Landschaftsarchitekt Karl Kagerer hatten Ende der sechziger Jahre von dem Areal mit 15 Hektar etwa 90 Prozent unterkellert, u. a. für Tiefgaragen mit 1300 Fahrzeuge. Der Tucherpark ist heute Teil des Grünzugs „Isartal“ und liegt im Landschaftsschutzgebiet „Isarauen“. Durch die geplanten Erweiterungsbauten würden Frischluftschneiden zugebaut und Grünflächen überbaut, was wiederum dem Bürgerbegehren Grünflächen erhalten wiedersprechen würde. Die Regierung von Oberbayern empfiehlt der LH München, die Erweiterungsbauten nur auf bestehenden Bauflächen des Flächennutzungsplans zu erlauben. Das Planungsreferat verwies dagegen auf den Abwägungsspielraum des Stadtrats beim Planungsziel Grünflächen.6 – In einem Kommentar stellt Ulrike Steinbacher fest, dass vier von neun Neubauten außerhalb der genehmigten Flächen liegen und die letzten Grünflächen über- und unterbauen würden.7
Und wieder kann man das Zusammenspiel des Planungsreferats und der grün-roten Stadtratskoalition beim Unterlaufen des erfolgreichen Bürgerbegehrens Grünflächen erhalten beobachten.

Petition von der ÖDP. Stadtrat Tobias Ruff und Bezirkstagskandidatin Ingrid Sauer (beide ÖDP) haben am 7.7.2023 eine Petition gegen fünf neue Hochhäuser im Tucherpark gestartet und schreiben u. a.: „Der denkmalgeschützte Tucherpark, der sich zwischen der Isar und dem Englischen Garten befindet, soll ausgeweitet, nachverdichtet und umgestaltet werden. Die Investoren wollen dem Englischen Garten an den Kragen: Sie planen fünf neue Hochhäuser an den nördlichen und südlichen Rändern des Tucherparks. Dieses Vorhaben bedroht allgemeine Grünflächen und die Frischluftversorgung der Innenstadt. Es ist eine Illusion, dass in dieser absoluten Top-Lage langfristig bezahlbarer Wohnraum entstehen soll. Ganz real möchten die Investoren aber Hochhäuser auf unsere öffentlichen Grünflächen bauen. Dadurch, dass praktisch direkt an den Englischen Garten gebaut werden soll, wird auch dieser ökologisch beeinträchtigt. Durch die Bauvorhaben sind außerdem große Bäume akut bedroht. Sogar die Regierung von Oberbayern sieht die Nachverdichtung kritisch. (…) Der Tucherpark ist gemeinsam mit dem Englischen Garten Teil des Regionalen Grünzuges Isartal und hat für das Lehel und Schwabing eine wichtige klimatische Bedeutung. Ohne diese Frischluftschneise würde es hier in den Sommern schon bald lebensbedrohlich heiß. Trotzdem wollen die Investoren auf den jetzigen Wiesen fünf neue Hochhäuser bauen!“
Zur Petition: hier

Planungsstopp gefordert. Am 6.7.2023 diskutierte der Stadtrat über den Aufstellungsbeschluss für den neuen Bebauungsplan. Die Investoren Hines und Commerz Real wollen auf dem 22,5 Hektar großen Areal massiv nachverdichten. Besonders problematisch ist, dass der südliche Teil, auf dem die Bauten „Tivoli West“ geplant sind, als „allgemeine Grünfläche“ ausgewiesen ist, die laut dem Bürgerbegehren Grünflächen erhalten nicht bebaut werden soll. Die grün-rote Koalition will Tivoli West streichen, dafür Tivoli Ost vergrößern und fordert „mindestens 600 Wohnungen“.  Die drei kleineren Oppositionsfraktionen lehnen die Investorenpläne ab. Für Stadtrat Jörg Hoffmann (FDP) ist der Tucherpark Teil des Englischen Gartens. Hoffmann gab zur „Nachverdichtung“ eine plausible Erklärung ab: Hines und Commerz Real hätten „einen Preis gezahlt, der viel zu hoch ist, in der Hoffnung, dass die Stadt ihnen mehr Baurecht gibt. Aber wenn ich zu viel gezahlt habe, kann ich das nicht der öffentlichen Hand aufbürden.“ Für Stadtrat Tobias Ruff (ÖDP) wird durch die sogenannte Nachverdichtung der „Sündenfall am Englischen Garten noch verstärkt“. Ihre übliche Rolle als Investorenfreundin (siehe Paketposthalle) übte Anna Hanusch von den Grünen aus: Bei zu strengen Auflagen für die Investoren könnte der Tucherpark leer stehen und verkommen. Der von Die Linke/Die Partei geforderte Planungsstopp wurde von FDP/Bayernpartei und ÖDP/München-Liste unterstützt. Die grün-rote Rathauskoalition setzte dann den Änderungsbeschluss gegen die gesamte Opposition durch.8

  1. Münster, Thomas, Die größten Bausünden sind hausgemacht, in SZ 1.6.1992 [] []
  2. Dürr, Alfred, Tucherpark zum Leben erwecken, in SZ 9.3.2020 []
  3. Krass, Sebastian, Milliardenprojekt am Ostbahnhof, in SZ 28.4.2021 []
  4. Krass, Sebastian, Bezahlbare Wohnungen am Englischen Garten, in SZ 19.5.2021 []
  5. Stolz, Benjamin, Tucherpark-Ensemble soll wachsen, in SZ 28.4.2023 []
  6. Steinbacher, Ulrike, Was Investoren mit dem Tucherpark vorhaben, in SZ 19.6.2023 []
  7. Steinbacher, Ulrike, Ist diese Bebauung wirklich behtusam?, in SZ 19.6.2023 []
  8. Krass, Sebastian, Investoren müssen Tucherpark neu planen, in SZ 27.7.2023 []
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