Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Perlschneiderhof

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 23.8.2023

Der seit dem 16. Jahrhundert in Pasing am Manzingerweg nahe der Würm existierende Perlschneiderhof mit seinen derzeit 1700 Quadratmetern Grund verfällt seit Jahrzehnten. Der Name leitet sich von damaligen Schweine-Kastratoren ab. Er ist einer der letzten Pasinger Original-Bauernhöfe.

Der vergessene Hof. Im Pasinger Archiv-Jahresheft 2003 hat Deborah Neuburger über den „vergessenen Hof“ recherchiert. 1823 wurde der Hof an die Pasinger Familie Senft versteigert.1898 baute Georg Senft im Südteil des Areals Pferdestallungen; seine Frau Maria Senft betrieb ihre Gastwirtschaft „Jagdschloss“, die bis heute an der Alten Allee 21 existiert. Der Pasinger Stadtrat plante eine Brücke über die Würm, die das Perlschneider-Grundstück durchquert hätte. Die Familie Senft beschloss, den Hof aufzugeben, und hätte als Entschädigung das Baurecht für zwei Mietshäuser am Straßenneubau erhalten. 1912 starb Georg Senft und vererbte seiner Frau den Hof. Der Erste Weltkrieg begann; die Brücke wurde nie gebaut. Maria Senft hatte zur Finanzierung der Mietshäuser die Gastwirtschaft verkauft. Nun war sie mittellos; von ihren vier Kindern fielen zwei im Krieg. Die Töchter Anna und Maria gründen eine Erbengemeinschaft. Maria verkaufte ihren Anteil am inzwischen bis 1980 unter Denkmalschutz stehenden Perlschneiderhof an die Stadt München. Die andere Tochter Anna bezieht das Austragshäusl auf der Südseite, sie stirbt 1967 und bat vorher ihren Mann Alois Kohlpaintner, die langjährige Freundin Philomena Irlbeck zu heiraten, um den Hof zu retten. Diese starb 2006: Sie hatte einen pflegebedürftigen Sohn, dem sie ihren Anteil am Hof vererbte.1

50 Prozent gehören der Stadt. Die Hälfte der Immobilie gehört seit den fünfziger Jahren der Stadt München, die seit Langem mit dem Betreuer des verbliebenen Erben verhandelt. Die Pasinger Stadtpolitiker würden gern die verfallende Immobilie als Ort für Vereins- und Kulturpolitik sanieren.2 2012 wurde vom Stadtrat im Rahmen des integrierten Stadtteilkonzeptes (ISEK) die Sanierung und kommunale Nutzung des Areals mit dem Hof geplant. 2017 erfolgte eine Einigung zwischen Stadt und dem in einem Pflegeheim lebenden Miteigentümer. Der geschlossene Vertrag musste allerdings vom Amtsgericht München genehmigt werden, welches aber keine Genehmigung erteilte und ein Obergutachten vom Gutachterausschuss der LH München forderte. Dieses wird für Ende 2020 erwartet. Bis dahin werden vom Kommunalreferat nur nötigste Schäden behoben.3

Wieder ein Denkmal. Bis 1980 war der Perlschneiderhof ein Denkmal. Dann wurde ein Abbruchantrag gestellt, und so strich man ihn aus der Liste des Landesamts für Denkmalpflege. Nun hat ihn das Landesamt wieder auf die Liste gesetzt. Oberkonservator Burkhard Körner erklärte, trotz des schlechten baulichen Zustands hat der Hof nach wie vor Denkmaleigenschaften. Nach wie vor ungelöst sind die Eigentumsverhältnisse: Das Kommunalreferat versucht seit 2016, das Areal mit dem Hof zu kaufen. Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte muss den Verkehrswert bestimmen: Hier geht der Denkmalschutz in die Bewertung ein.4

Sanierung mit Umnutzung? Nach den Vorstellungen der ÖDP-Stadträte Sonja Haider und Tobias Ruff und des ÖDP-Lokalpolitikers Hans-Joachim Kilian könnte aus dem Perlschneiderhof ein Kulturhaus werden: mit Theater- und Musikbühne, Lesungen und Ateliers. Das 1770 qm große Grundstück am Manzingerweg 3 könnte ein „Trittstein“ für diverse Tierarten werden. Der Stadel des Hofs wurde vom BLfD vor kurzem unter Denkmalschutz gestellt. Das (alte) Problem besteht im Erwerb der zweiten Hälfte. Der Sohn von Philomena Irlbeck muss inzwischen betreut werden, will aber verkaufen. Aber laut Stadträtin Haider hat die Stadt nur „unterirdische Preise“ genannt.5
Zum zweiten Pflegefall in Pasing, dem unter Denkmalschutz stehenden Riegerhof (Planegger Straße 20), vgl: Denkmalschutz, Riegerhof

Stadtrat für Kauf der zweiten Hälfte. In nichtöffentlicher Sitzung Ende Juli 2023 beschloss der Stadtrat ein Angebot über 375.000 Euro für die zweite Hälfte des Hofes. (Zur Erinnerung: 2017 hatte die LH München für die eine Hälfte den Wert von 40.000 Euro festgesetzt.) Die Sanierung des Hofes dürfte einen höheren einstelligen Millionenbetrag kosten, der Jahresunterhalt um die 50.000 Euro pro Jahr.6

  1. Czeguhn, Jutta, Perlschneiderhof in Pasing: Der Standhafte, in sueddeutsche.de 5.2.2017 []
  2. Rettung für den Perlschneiderhof, in SZ 25.6.2020 []
  3. Czeguhn, Ingrid, Geschacher um ein uraltes Gemäuer, in SZ 19.10.2020 []
  4. Draxel, Ellen, Perlschneiderhof geschützt, in SZ 31.1.2022 []
  5. Draxel, Ellen, Bauernhof soll zum Kulturhaus werden, in SZ 29.11.2022 []
  6. Draxel, Ellen, Votum für den Perlschneiderhof, in SZ 1.8.2023 []
Objekt-Nr. 24300

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