Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Bayerische Versorgungskammer

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 12.4.2023

„Die Bayerische Versorgungskammer (BVK) ist eine Oberbehörde des Freistaats Bayern im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums des Innern und als Versorgungskasse im Rahmen der Beamtenversorgung tätig. Sie ging 1995 als „Bayerische Versicherungskammer – Versorgung“, dieser vollständige Name ist jedoch im Geschäftsverkehr nicht gebräuchlich, aus der Bayerischen Versicherungskammer hervor, deren Tätigkeit für die Versorgungseinrichtungen sie seither fortsetzt.“1

Alte Messe: Umbau. Im Jahr 2003 soll die Hälfte des 45 Hektar großen Areals fertig sein: Hier werden auf 13,5 Hektar sechs- bis siebengeschossige luxuriöse Büro- und Geschäftsflächen gebaut. Die Bayerische Versorgungskammer baut auf 9300 und 10.500 qm zwei Gebäude mit Büroflächen und Geschäften.2

Nachverdichtung Fürstenried. Bereits 2005 hatte die damalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott eine Nachverdichtung für Fürstenried West abgelehnt, weil der Charakter des Stadtviertels nicht zerstört werden dürfe. Nun lag bei einer BA-Sitzung die städtische „Vorlage zur Weiterentwicklung in Fürstenried West“ vor und erntete eine positive Resonanz im BA 19. So sagte BA-Mitglied Michael Kollatz (SPD), dass man dem Siedlungsdruck auf die LH München Rechnung tragen müsse. Der BA übernahm aber die Forderung von Anwohnern, die wertvollen Grünflächen zu schützen. Das Planungsreferat ging von etwa 600 zu bauenden Wohnungen aus, die durch Aufstockung, Neu- und Anbauten entstehen sollen. Fürstenrieder Anwohner äußerten bei der BA-Sitzung, dass es in ihrem Viertel nicht an Wohnblocks, sondern an Geschäften, Spielplätzen und einem Wirtshaus mangle. Die Bayerische Versorgungskammer, die eine Hauptbauwerberin sei, wolle teure Eigentumswohnungen statt sozialem Wohnungsbau errichten. Ein Vertreter einer WEG sagte unter Beifall: „Dafür vierkantige Kästen statt Bäume – das kann kein Ziel sein.“3

November 2019: Kritik in Fürstenried. Von 1968 bis 1972 wurden in Fürstenried im Areal Appenzeller Straße, Forst-Kasten-Allee, Graubündner Straße, Bellinzonastraße und Neurieder Straße auf rund 17 Hektar 1500 Wohnungen für berufsständige und kommunale Versorgungswerke unter Koordination der Bayerischen Versorgungskammer (BVK) errichtet. 2019 war von der BVK eine „Nachverdichtung“ geplant. Gisela Krupski teilte als Vertreterin vom Forum Lebenswertes München und vom Verein Pro Fürstenried auf der letzten Sitzung des BA 19 Thalkirchen – Obersendling – Forstenried – Fürstenried – Solln dem Gremium mit, dass viele Bürger sich nicht mehr vom BA vertreten fühlten. Das Stadtteilgremium hatte alle Kritik an den Plänen zur Nachverdichtung der BVK zurückgewiesen, um den Neubau von Wohnraum nicht zu behindern. Diese „Nachverdichtung“ erfordert die Fällung von fast 200 Laubbäumen, bringt große Verkehrsprobleme mit sich, überbaut öffentlichen Raum. Die BVK hat auch ihre Zusage gebrochen, keine Bestandsbauten zu gefährden; zudem wurde die Zahl der Wohnungen von 540 auf 660 erhöht. Trotzdem eine Bürgerversammlung auf die schon jetzt bestehende Überfüllung der U 3 hinwies, ein Wäldchen auf der Südseite der Forst-Kasten-Allee erhalten wollte und auf Abstandsflächen bestand, ging das Planungsreferat überhaupt nicht darauf ein. Auch der BA selbst kritisierte das Planungsreferat: Die U 3 sei jetzt schon zu voll, der Baumbestand im Baumbestandsplan als sehr erhaltenswert klassifiziert. Das Forum Lebenswertes München und der Verein Pro Fürstenried werden weiter Infostände gegen die „überzogene Nachverdichtung“ organisieren. Die Stadträte Dirk Höpner (München-Liste) und Tobias Ruff (ÖDP) unterstützten diese Aktivitäten, zunächst auch Paul Bickelbacher (Grüne).4 Zwei Jahre später äußerte Letzterer: „Die Chance ist nicht so klein, dass an den anderen Stellen Wohnen entstehen kann.“5

Februar 2020: Weitere Kritik an „Nachverdichtung. Zuerst sollten in der zwischen 1968 und 1972 gebauten Siedlung mit 1500 Wohnungen auf 17 Hektar 540 zusätzliche Wohnungen untergebracht werden, dazu drei Kitas, Läden und ein Quartiersplatz. Den Wettbewerb gewann das Architekturbüro LIN aus Berlin. Im Lauf der Jahre wurden die Pläne überarbeitet mit dem Ergebnis, dass kaum Nachverdichtung, sondern Neubauten mit bis zu 18 Geschossen und 56 Meter Höhe entstehen sollen. Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher hielt den Investor zunächst für vertrauenswürdig, urteilte aber später: „Durch die Erhöhung der Zahl von Wohnungen wurde viel Wohlwollen zerstört und die Nachverdichtung generell in Misskredit gebracht.“ CSU-Stadtrat Hans Podiuk sah „in der vorhergesehenen Verdichtung eine schwere Belastung für die Anwohner“. Linken-Abgeordnete Brigitte-Wolf: „Wir haben das Projekt lange mitgetragen. Aber was jetzt rausgekommen ist, ist keine verträgliche Bebauung.“ Die SPD widersprach heftig. Die planungspolitische Sprecherin Heike Rieke sah den Planungsprozess als „bestes Ergebnis“; die Zahl der 186 zu fällenden Bäume sei niedriger als im Wettbewerb vorgesehen. Stadtbaurätin Elisabeth Merk fühlte sich von der Kritik aus dem Stadtrat persönlich angegriffen und wies sie zurück: „Wir haben die bestmögliche Lösung herausverhandelt, auch mit Ihnen.“6
Merk ist überzeugte Anhängerin des Münchner Wachstums. Wo dieses dann doch außer Rand und Band gerät, bedauert sie, dass das Bundesbaugesetz in Berlin gemacht wird und man in München ja sowieso kaum etwas tun könne. Und ihr Referat winkte und winkt alle großen Vorhaben begeistert und weitgehend kritiklos durch.
In der Schweiz heißt es: Im Wallis geht alles. In München kann man inzwischen dasselbe sagen.

Am 5.2.2020 genehmigte der Planungsausschuss des Stadtrats den neuen Bebauungsplan mit den zusätzlichen 662 Wohnungen, die ab 2022 gebaut werden sollen. „Bei der Abstimmung lehnten ÖDP, Bayernpartei und Die Linke den Entwurf des Bebauungsplans ab. Zusammen mit der SPD stimmten dann auch CSU, Grüne und die ebenfalls skeptische FDP zu. Ansonsten hätten sie den Vorwurf riskiert, die Genehmigung von neuem Wohnraum zu verschleppen.“7
Wieder einmal wird das Wort Wohnungsbau zum Totschlagargument. Und so werden Landschaftsschutzgebiete, Biotope und andere wertvolle Flächen dem Moloch München und den Investoren geopfert. Ich bin gespannt, wann weiter an den Münchner Parks genagt wird: Es wäre nicht das erste Mal.

Siemens-Zentrale soll abgerissen werden. Die ehemalige Siemens-Zentrale an der Richard-Strauss-Straße 76 in Bogenhausen wurde 1965 erbaut. 2016 verkaufte Siemens das 20.000 qm große Areal an die Bayerische Versorgungskammer, die dort 60.000 qm Geschossfläche errichten will. Der Abbruch der riesigen Siemens-Gebäude begann im Februar 2020 und wird ein Jahr dauern.8
Das Schicksal heutiger Gebäude: Nach wenigen Jahrzehnten werden sie quasi weggeworfenen. Siehe auch Münchner Strafjustizzentrum aus den siebziger Jahren: Ein neues Strafjustizzentrum wurde an der Leonrodstraße gebaut, das alte wird abgerissen. Oder das wunderschöne Bürogebäude „Südlicht“ von Anfang der Neunziger Jahre von Richard Meyer in Sendling.

Februar 2021: Die nächsten Hochhäuser. An der Richard-Strauss-Straße plant die Bayerische Versorgungskammer ihre Zentrale auf 20.000 Quadratmeter. Geplant ist ein Ensemble mit einem 50 Meter hohen längeren Gebäudekomplex und zwei Türmen mit 64 und 96 Metern Höhe. Die Pläne kommen von David Chipperfield Architects. Der Planungsausschuss spekulierte am 5.10.2021 darauf, dass die BVK durch das hohe Baurecht mit beiden Hochhäusern auf die Freiflächen Wohnungen bauen würde – wenn möglich günstige Werkwohnungen für die eigenen Angestellten. Die BVK äußerte sich zurückhaltend zur Prüfung von Wohnungsbau; Werkswohnungen untersuche man aber nicht.9
Vgl.: Nachverdichtung, Promi-Architektur

Natürlich: die Maximalzahl in Fürstenried. Der Stadteilverein Pro Fürstenried hat vergebens gegen die vorgesehene maximale Ausbaustufe protestiert. Nun hat der Stadtratsausschuss für Stadtplanung und Bauordnung den Bebauungsplan der Bayerischen Versorgungskammer an der Appenzeller Straße, Forst-Kasten-Allee, Graubündner Straße und Bellinzonastraße gebilligt. Es gab nur zwei Gegenstimmen von München-Liste und Die Linke. Der Stadtrat wollte keine weitere Überarbeitung des Entwurfs, da dies den Bau der dringend benötigten Wohnungen weiter verzögern würde.
Mit dieser Begründung kann man eigentlich dann in München jedes Wohnungsbau-Projekt kritiklos durchwinken.
Zu den vorhandenen 1500 Wohnungen sollten auf den 13,5 Hektar zuerst 540 Wohnungen gebaut bzw. nachverdichtet werden. Nun sollen es 662 Wohnungen werden mit Gebäudehöhen von bis zu 56 Metern: etwa 45 Prozent mehr. Die Bauherrin Bayerische Versorgungskammer hat die Projektleitung an die Hines Immobilien GmbH übergeben.
Das sei keine „bauliche Ergänzung“ mehr, sondern eine übermäßige Nachverdichtung, kritisierte Pro Fürstenried und beanstandete auch die Verschattung durch die Hochpunkte. Ein viergeschossiges Wohnhaus soll für ein Hochhaus abgerissen werden, dazu müssen 180 Bäume gefällt werden.10

Nebenkosten-Explosion. Die Bewohner der Siedlung Appenzeller Straße, Bellinzonastraße und Forst-Kasten-Allee mit 1500 Wohnungen bekamen wesentlich erhöhte Nebenkostenabrechnungen – noch vor den Auswirkungen der unverhältnismäßig angestiegenen Energiekosten. Die BVK bzw. ihre Quartier Fürstenried West GmbH und die Ackermann Property Services GmbH stellten Nachforderungen von bis zu 2000 Euro. Begründet wurde dies mit teureren Hausmeistertätigkeiten, Versicherungskosten (bis zu 151 Prozent höher) und den Wartungskosten bei Aufzügen. Die Kosten für Trinkwasser seien in einem Fall um 58 Prozent gestiegen. Beschwerden der Mieter ignorierte die Hausverwaltung lange Zeit.11

Baumfällungen. Der Stadtteilverein Pro Fürstenried wurde von Mietern der Appenzeller Straße informiert, dass Baumfällungen geplant sind und hat davor gewarnt, dass hier „Fakten mit der Kettensäge“ geschaffen werden. Die BVK plant im Zuge ihres Bauvorhabens einen Kahlschlag, der bis zu 180 zum Teil geschützte Bäume betreffen könnte. Laut Pro-Fürstenried-Sprecher Kurt Grünberger habe damit das rücksichtslose Verhalten der BVK einen „neuen Tiefstand“ erreicht. Grünberger hält das Bauvorhaben der BVK baurechtlich für nicht genehmigungsfähig: Auch mit 662 neuen und vom Stadtrat genehmigten Wohnungen den neuen Kitas und Schulen würde der damit verbundene Zuzug „alle Dimensionen sprengen“. Die BVK erklärte, bei Informationsveranstaltungen auf die Quartierserweiterung und Baumfällungen hingewiesen zu haben. Baumfällungen würden nur mit behördlicher Genehmigung durchgeführt und Neubepflanzungen erfolgen.12
Nachtrag von Pro Fürstenried vom 29.3.2023: hier

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerische_Versorgungskammer []
  2. Was auf der alten Messe entsteht, in SZ 12.1.2001: Becker, Astrid, Ein neuer Stadtteil auf der Theresienhöhe, in SZ 12.1.2001 []
  3. Wolfram, Jürgen, Ungeliebte Nachverdichtung, in SZ 4.2.2016 []
  4. Wolfram, Jürgen, Das Unbehagen wächst, in SZ 2.11.2019 []
  5. Krass, Sebastian, Stadtrat erwartet Wohnungen – im Gegenzug für Baurecht, in SZ 21.10.2021 []
  6. Alle Zitate: Krass, Sebastian, Riesengewinn oder schwere Belastung, in SZ 6.2.2020 []
  7. Krass, Sebastian, Riesengewinn oder schwere Belastung, in SZ 6.2.2020; Hervorhebung WZ []
  8. Dürr, Alfred, Hohes Hauptquartier, in SZ 26.1.2020; Graner, Nicole, Bagger, Bauten und Bedenklichkeiten, in SZ 25.2.2021 []
  9. Graner, Nicole, Bagger, Bauten und Bedenken, in SZ 25.2.2021; Krass, Sebastian, Zwei Türme mit Gebäudetor, in SZ 7.10.2021 []
  10. Wolfram, Jürgen, 662 Wohnungen in Fürstenried West, in SZ 8.7.2022 []
  11. Wolfram, Jürgen, Nachforderungen von bis zu 2000 Euro, in SZ 30.9.2022 []
  12. Wolfram, Jürgen, Angst vor dem Kahlschlag, in SZ 17.2.2023 []
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