Moloch München Eine Stadt wird verkauft

LWS-Affäre

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Die über die Bayerische Landesbank (BayernLB) staatlich dominierte Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern GmbH (LWS) hatte Anfang der neunziger Jahre das Geschäftsmodell geändert: Ursprünglich auf Bau und Verwaltung von Mietwohnungen spezialisiert, sollte die LWS das Bauträgergeschäft mit Gewerbeimmobilien übernehmen. So investierte die LWS in den neunziger Jahren in riskante Immobilienprojekte in den neuen Bundesländern. Ein wichtiger Befürworter dieser „strategischen Neuausrichtung“ war der damalige Innenminister Edmund Stoiber (CSU); AR-Vorstandsvorsitzender war von 1993 bis 1998 Bau-Staatssekretär Alfred Sauter (CSU). Zwischen 1994 und 1998 verursachte die LWS Verluste von etwa 367 Millionen DM, nicht zuletzt durch völlig überzogene Mietgarantien.  So wurde das Schlosscarré Chemnitz unter Mitwirkung des AR-Chefs Sauter an den Düsseldorfer Investor Mario Ohoven für 50 Millionen DM verkauft: Die LWS hat sich gleichzeitig verpflichtet, die fast 11.000 qm wieder für jährlich 3,2 Millionen DM zurückzumieten. Der Bayerische Obersten Rechnungshof (ORH) bezeichnete diese Mietgarantie als „völlig überzogen“: Sie hat Ohoven eine Verzinsung des Kaufpreises von 6,8 Prozent, das war höher als die Kapitalkosten der LWS von 4,2 Prozent. Fazit des ORH: Damit hätte die LWS das Objekt auch behalten können. Geschäftsführung und Aufsichtsrat hätten laut einer „Prüfmitteilung“ des ORH die Expansion in die Gewerbeimmobilien verhindern müssen. Der ORH monierte auch mangelhafte Unterstützung durch die Geschäftsleitung und das Verschwinden wichtiger Akten.1
Dirk Usadel war von 1989 bis 1995 LWS-Geschäftsführer. Er sagte im LWS-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags im Februar 2000 aus, dass der damalige Staatssekretär im Innenministerium (Minister: Edmund Stoiber) und LWS-AR-Chef, Peter Gauweiler (CSU), die Expansion in die neuen Bundesländer forciert habe. Gauweiler war vor allem in Chemnitz aktiv, wo die LWS das oben erwähnte „Schlosscarrée“ errichtete, an Ohoven verkaufte und überteuert zurückmietete: Bis Februar 2000 stand die Immobilie weitgehend leer.2
Stoiber war inzwischen Ministerpräsident (1993 bis 2007) und warf Justizminister Sauter im September 1999 aus seinem Kabinett. Dieser hatte als AR-Vorsitzender zwei wichtige Sitzungen der LWS geleitet. Das Vorstandsmitglied der BayernLB, Klaus Rauscher, attestierte der LWS am 29.4.1997 im AR in Anwesenheit von Sauter, sich „auf der Intensivstation“ zu befinden und bald nicht mehr in der Lage zu sein, Gehälter und Rechnungen zu bezahlen. Sauter dagegen bezeichnete am 13.5.1997 vor dem Landtag die LWS als „überlebensfähig“, die bald wieder in schwarzen Zahlen sei.3

August 1999: LWS-Affäre. Im Fall der Misswirtschaft bei der bayerischen Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft (LWS) hat Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) den früheren Leiter der Wohnungsbauabteilung im Innenministerium, Prof. Dieter Gutekunst, mitverantwortlich für Fehlentscheidungen der LWS bei Großprojekten in den neuen Bundesländern gemacht. Gutekunst war im dreiköpfigen Grundstücksausschuss der LWS.4 „Von 1978 bis 1999 war er als Ministerialdirigent Leiter der Abteilung Wohnungswesen und Städtebauförderung im bayerischen Innenministerium. Zeitgleich war er Vorsitzender des Wohnungsbauausschusses der Arbeitsgemeinschaft der Bauminister aller Länder.“ Auszeichnungen: Goldene Ehrennadel des Bundesverbandes der deutschen Wohnungswirtschaft (1999); Bundesverdienstkreuz am Bande (1978).5

LWS-Untersuchungsausschuss beginnt. Am 30.11.1999 tagte der LWS-Untersuchungsausschuss des Landtags erstmalig. Im Frühjahr 2000 werden Ministerpräsident Edmund Stoiber und der frühere Justizminister Alfred Sauter aussagen: Beide bezeichnen sich gegenseitig als verantwortlich für die Millionen-Verluste. Der grünen Haushaltsexpertin Emma Kellner zufolge hat die LWS die Millionenverluste teilweise mit Gewinnen von Tochtergesellschaften ausgeglichen – auch mit Mieteinnahmen aus dem gemeinnützigen Wohnungsbau.6

Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags vom 3.4.2001
Aus dem Schlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags vom 3.4.2001 zur Aufklärung der Vorgänge um die LWS mit 400 Millionen DM Verlust:
Am 28.10.1999 wurde auf Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Im Schlussbericht vom 3.4.2001 steht u. a.: Am 1.1.1990 wurde das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz aufgehoben. Damit entfielen für die LWS die steuerlichen Vergünstigungen und die Beschränkungen der unternehmerischen Tätigkeiten. Der ORH stellte daraufhin einen Ausbau des gewinnorientierten Trägerbaus mit immer stärkerer Betonung des gewerblichen Immobiliensektors fest. Bis 31.12.1993 war der Freistaat Bayern mit 58,5 Prozent Mehrheitsgesellschafter; bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Staatsministerien des Innern und der Finanzen die Aufsicht über die LWS. Ab 1.1.1994 war das Land über die Landesanstalt für Aufbaufinanzierung – Gesellschaft für Vermögensverwaltung (LfA-GV) beteiligt, deren Muttergesellschaft die Landesanstalt für Aufbaufinanzierung (LfA) ist (zu 100 Prozent im Eigentum des Landes) und über die BayernLB (zu 50 Prozent im Eigentum des Landes).
Aus dem 40-seitigen Schlussbericht einige Details:
– Von 1994 bis 1998 wies die LWS Verluste von 367,1 Millionen DM aus. Für 1999 muss mit einem Verlust von 100 bis 130 Millionen DM gerechnet werden.
– „Das Unternehmenskonzept von 1990 sah stärkere Aktivitäten im Bereich Wohnungsbau und begleitenden Gewerbebau vor.“ (S. 18)
– Durch den Zusammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung hatte sich Anfang der 90er Jahre in Bayern eine hohe Zuwanderung verbunden mit Wohnungsmangel ergeben. Die Oberste Baubehörde im Innenministerium wollte ein stärkeres Engagement der LWS im Wohnungsbau und im begleitenden Gewerbebau. „Die Wohnungspolitik brauche ein Unternehmen, das bereit sei, dem Wohnungsmangel mit abzuhelfen und im staatlichen Auftrag neue Formen des sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbaus und der Wohnungsbauförderung zu erproben.“ (S. 19)
– Anteile-Tausch: Im Dezember 1992 tauschte der Freistaat seine Anteile an der LWS gegen Anteile an der DASA, die von der LfA gehalten wurden. (S. 21)
Nun folgen viele Seiten der Rechtfertigung, warum im Endeffekt niemand für den Niedergang der LWS verantwortlich sei und warum weder Ministerien noch der AR versagt hätten. Ministerpräsident Edmund Stoiber, von 1988 bis 1993 bayerischer Innenminister, hatte in der Befragung im Haushaltsausschuss am 9.9.1999 behauptet, dass er über Immobiliengeschäfte der LWS nicht informiert war.
Minderheitenbericht der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Details u. a.: Hier wurde auf den desolaten Zustand der LWS schon vor 1990 hingewiesen. Die Uninformiertheit des Akten-verliebten Zeugen Stoiber wird angezweifelt. Stoiber war es, der die risikoreiche Ausweitung des LWS-Bauträgergeschäftes durchgesetzt hat. Der Tausch der lukrativen DASA-Anteile der LfA gegen LWS-Anteile war von Stoiber forciert worden, um seine „Offensive Zukunft Bayern“ finanzieren zu können. 1996 war das Eigenkapital der LWS vollständig aufgebraucht, ab 1997 lag eine Unterdeckung vor.
Zum Aufsichtsrat der LWS konstatierte der Minderheitenbericht, dass die entsandten Ministerialbeamten weder Kompetenz noch Erfahrung gehabt hätten. Sie wussten nicht, weswegen sie entsandt wurden, hatten keine Bau-Kompetenz, gehabt, bekamen weder Auftrag noch Weisungen von ihren Ministerien, mussten keine Rechenschaft ablegen, hafteten nicht, widersprachen nicht. Im Bericht vom 13.5.1997 vor dem Haushaltsausschuss täuschte die Regierung Stoiber das Parlament und verschwieg die wahren Schwierigkeiten der LWS, zeichnete deren Zukunft positiv. Hauptverantwortlicher ist Stoiber, der das riskante Bauträgergeschäft durchsetzte und massiv ausweiten ließ. „Hierdurch entstand ein Schaden von über 500.000.000 DM, der zumindest indirekt vom Steuerzahler zu tragen war.“ Der Bayerische Landtag ist am 13.5.1997 vom Zeugen Stoiber wissentlich falsch über den Zustand der LWS informiert worden.7
Es ist an dieser Stelle an den ebenfalls von Stoiber – und ebenfalls für ihn folgenlos -, zu verantwortenden Skandal um die Bayerische Landesbank zu erinnern: „Im Mai 2007 übernahm die BayernLB 50% plus eine Aktie an der österreichischen Bank Hypo Group Alpe Adria (HGAA). Dafür wurden rund 1,625 Mrd. Euro bezahlt. Dieser Anteil wurde in den folgenden Jahren auf eine Beteiligungsquote von 67,08% aufgestockt, weil das Tochterunternehmen Finanzbedarf hatte.“ (Wikipedia) Dieser Skandal hat den Steuerzahler um die zehn Milliarden Euro gekostet.
Warum dies in Zusammenhang mit dem Thema Moloch München interessant ist? Weil im Gefolge der skandalösen Übernahme der Hypo Group Alpe Adria vom damaligen Finanzminister Markus Söder (CSU) die im Besitz der BayernLB befindliche GBW AG mit 32.000 Wohnungen an die Patrizia AG verkauft wurde. (Preis pro Wohnung: 76.562 Euro)
Aus Wikipedia: „Nachdem der bayerische Finanzminister Markus Söder sich weigerte, sich für den Freistaat am Bieterverfahren um 32.000 GBW-Wohnungen zu beteiligen und so diese weiter in öffentlichem Besitz zu halten, erhielt letztlich die Patrizia AG den Zuschlag, die ein von der Landeshauptstadt München geführtes Konsortium aus betroffenen Kommunen überbot. Söder sicherte zum Bestandsschutz für die Mieter eine ‚Sozialcharta XXL‘ zu. Aufgrund von Lücken im Kaufvertrag häuften sich bei den Mietervereinen in ganz Bayern jedoch Beschwerden über Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, den Weiterverkauf von Wohnungen an Dritte oder schmerzhafte Mieterhöhungen. Unterdessen kauften einige Gemeinden Wohnungen aus dem GBW-Bestand zurück. Nachdem die Mieten für viele Bewohner stark gestiegen sind und Menschen systematisch aus den Wohnungen gedrängt würden, um sie hochpreisig neu zu vermieten oder zu verkaufen, wurde der umstrittene Verkauf der GBW-Wohnungen im Oktober 2016 erneut Thema einer Debatte im Bayerischen Landtag.“ Inzwischen hat sich durch Erklärungen des früher zuständigen EU-Kommissars herausgestellt, dass ein Verkauf der GBW AG seitens der EU nicht gefordert worden war.

Wie es wirklich war. Am 19.6.2018 wurde ein Brief von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager an den Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags bekannt. Die Trennung von den GBW-Anteilen habe die BayernLB „selbständig entschieden“. Die Frage der Notwendigkeit des Verkaufs habe sich für die EU-Kommission „zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens gestellt“. Der Verkauf der GBW-Anteile an den Freistaat Bayern wurde seitens der EU-Kommission „nicht zwingend ausgeschlossen“, damit „wäre auch der Freistaat als Käufer in Betracht gekommen“.8

Vgl. auch: Dawonia Real Estate GmbH & Co. KG, GBW AG, Patrizia AG

  1. Krach, Wolfgang, Viel zu oft, in Der Spiegel 33/1999 []
  2. Krill, Hannes, Früherer ÖWS-Chef beschuldigt Politiker, in SZ 9.2.2000 []
  3. Krach, Wolfgang, Halbe Wahrheit, in Der Spiegel 29.8.1999 []
  4. Halzhaider, Hans, Den schwarzen Peter nicht angenommen, in SZ 5.8.1999 []
  5. https://www.professoren.tum.de/honorarprofessoren/g/gutekunst-dieter []
  6. Krill, Hannes, LWS-Untersuchungsausschuss beginnt mit Kassensturz, in SZ 1.12.1999 []
  7. Bayerischer Landtag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/6270, 3.4.2001, S. 40 []
  8. Streit um GBW-Verkauf geht nach EU-Stellungnahme weiter, in welt.de 19.6.2020 []
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