Moloch München Eine Stadt wird verkauft

2005

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Januar 2005: Milbertshofen-Initiative. Der am 13.10.2004 gegründete Gewerbeverein Milbertshofen in Aktion hatte die Aufgabe, das Geschäftesterben im Viertel aufzuhalten. Die Ladenkonzentration und Billigläden haben hier zugenommen. Helfend war der Stadtteilladen K 45 in der Knorrstraße tätig. Mitinitiatorin Erika Stadler äußerte: „Fünf Stehcafés nützen nichts, wenn etwa ein Schuhladen fehlt.“1

Februar 2005: „Sanierung“ in der Donnersbergerstraße 42. Am 14.2.2005 stürzte die Fassade eines vierstöckigen Wohnhauses in der Donnersbergerstraße 42 teilweise ein: Teile der Außenwand fielen auf die Straße. Ursache waren die seit November 2004 laufenden Sanierungsarbeiten. Dabei brach die Zwischendecke vom dritten in den zweiten Stock durch und brachte die Außenfassade zum Einsturz. Anwohner sprachen von möglichen laufenden Entmietungen im Wohngebäude.2
Vgl.: Geyerstraße 22, Glockenbachviertel

April 2005: Jägerhaus Gern vom Abriss bedroht. Für das etwa 130 Jahre alte, unter Denkmalschutz stehende Jägerhaus an der Ecke Gernerstraße 33 und Klugstraße kämpft seit Längerem der Verein zur Erhaltung Gerns e.V. Das alte Haus sei „das letzte Überbleibsel des alten Dorfes Gern“. Die Eigentümer möchten ein L-förmiges Wohnhaus mit drei Etagen um das Jägerhäusl herum bauen, sodass nur die Nebengebäude abgerissen werden müssten. Ein Antrag auf Genehmigung läuft bei der LBK. Das Jägerhaus selbst soll nicht abgerissen werden.3
Nachträge: Juni 2006: Der L-förmige Neubau wurde vom Planungsreferat schließlich abgelehnt. Im Juni 2006 halten die Eigentümer das Jägerhaus nicht mehr für sanierbar, das Gebäude sei laut einem Gutachten versalzt und der Gesamtzustand schlecht. Deshalb habe man einen Antrag auf Abriss gestellt. Der BA Nymphenburg-Neuhausen drängte auf Erhalt des Gebäudes als „markantes zeitgeschichtliches Bauwerk aus der ländlichen Epoche Gerns“ und forderte, den Denkmalschutz ernst zu nehmen. Die Eigentümer wollen die Entscheidung der Stadt über den Abrissantrag abwarten: Falls der abgelehnt wird, will man Widerspruch einlegen.4 – Februar 2007: Das Jägerhaus soll erhalten werden: Das Planungsreferat hat den Abriss abgelehnt. Die Eigentümer haben Widerspruch eingelegt. Man sei auch „verkaufswillig“, aber nicht an einen Investor. Die Denkmalschützer müssen nun noch einmal prüfen; die Regierung von Oberbayern ist dann die letzte Entscheidungsinstanz.5 – Januar 2009: Nun soll das Jägerhaus doch erhalten bleiben: es soll saniert werden. Für den L-förmigen Anbau ist ein Antrag auf Vorbescheid gestellt worden. Der BA stimmte zu, forderte aber eine Begrenzung auf drei Geschosse.6 – März 2009: Dem Wohnhaus-Neubau plus bestehendem Jägerhäusl wurde ein negativer Vorbescheid ausgestellt: Der Neubau sei wegen geringer Abstandsflächen und der nötigen Baumfällungen nicht möglich.7
Vgl.: https://locallife-muenchen.de/jagerhausl-ade/

Juni 2005: Auf Ateliersuche in München. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag hat in der Messestadt Riem zehn neue Wohnateliers gebaut, die zwischen 50 und 90 Quadratmeter groß sind. Die Gewofag vermietet auch im 1928 bis 1930 errichteten Künstlerhof in Neuhausen 13 Ateliers und 16 Atelierwohnungen. Städtische Atelierhäuser gibt es auch in der Klenze- und in der Dachauerstraße. Um die 50 Ateliers bewarben sich 2005 etwa 650 Künstler. 40 Atelierplätze werden von der Stadt mit Zuschüssen zwischen 50 und 150 Euros pro Monat gefördert. In vielen der alten Industriebauten, die für Ateliers geeignet wären, sind inzwischen lukrativere Loftwohnungen eingebaut worden.8

Oktober 2005: Müllerstraße 22, Altstadt. Die Eigentümerin des Wohnhauses verstarb im Februar 2005: Zwei Wochen später klingelte der Nachlassverwalter bei den Mietern und verlangte die Auflösung der Mietverträge. Die Kündigungsschreiben kamen danach. Der Testamentsvollstrecker erklärte die nicht unübliche Lage: Die – nicht mit der verstorbenen Hausbesitzerin verwandten – Erben könnten bei den niedrigen Mieten nicht einmal die 35 Prozent Erbschaftsteuer entrichten, dazu müsste das Haus saniert werden. Auf einen Schild am Anwesen stand dann: „Hier entstehen demnächst Eigentumswohnungen der K+K Hausbau GmbH & Co.“ Das Unternehmen erklärte, noch nicht Eigentümer zu sein. Ob abgerissen oder saniert wird, stehe noch nicht fest. Die LBK teilte der Hausgemeinschaft mit, dass noch kein Antrag auf Abbruch gestellt wurde, dieser aber genehmigt werden müsse. Der BA Altstadt-Lehel will nun das Haus aus dem Jahr 1835 unter Denkmalschutz stellen und auch die Linde im Hof schützen. Die Untere Denkmalschutzbehörde unterstützte dies, das Landesamt für Denkmalpflege lehnte dies ab.9
Nachtrag: Den Neubau hat dann die Firma Südhausbau erstellen lassen (Architekt: Prof. Peter Ebner). Die 21 Eigentumswohnungen zwischen 70 bis 335 Quadratmeter und mit Preisen von 3100 bis 6900 Euro pro Quadratmeter und ein Stadthaus (Quadratmeter ca. 8000 Euro) sollen bis Frühjahr 2010 fertig sein.10

Oktober 2005: Gentrifizierung im Glockenbachviertel. Die Architektin Claudia Pöppel berichtete über den Glockenbachspielplatz, der extra als Familientreffpunkt umgebaut wurde. Inzwischen werden die Familien aber verdrängt durch die reichen Käufer von teuren Eigentumswohnungen. Gerade das Glockenbachviertel ist stark betroffen: Hier gab es alte Fabriken, deren Beschäftigte in der Umgebung wohnten. Das Gebäude der Maschinenfabrik Hurth in der Westermühlstraße wurde durch einen Neubau ersetzt. Mitte der achtziger Jahre wurden die Gebäude der Hans-Sachs-Straße saniert, danach kamen die der Ickstatt- und Jahnstraße dran. Und mit den Renovierungen kamen die Investoren, kauften ganze Häuser und entmieteten die Bewohner – mehr oder minder sozial. Die alten, denkmalgeschützten Gebäude der Firma Zettler in der Holzstraße 28 und 30 wurden 1998 von einer Grundstücksverwaltung gekauft, die das Gelände „revitalisieren“ möchte: Unter anderem war die Hauptverwaltung von Yahoo Deutschland eingezogen, dazu Verlage und Werbeagenturen. Nach der Renovierung soll das „Glockenbach-Medienhaus“ dort aufgebaut werden mit einer Musikagentur, einem Printverlag und weiteren Vertretern des kreativen Milieus.11

Dezember 2005: München ist deutscher Schulden- und Investitionsmeister. München hat 2665 Euro Schulden je Einwohner (vor Köln mit 2634 Euro); 2005 betrug der Gesamtschuldenstand 3,515 Milliarden Euro. 2005 spülte die Gewerbesteuer 1,35 Milliarden Euro in die Stadtkasse, für 2006 werden 1,27 Milliarden Euro im Haushalt veranschlagt. Die Investitionsquote liegt bei 16,2 Prozent (vor Stuttgart mit 13,3 Prozent).12

  1. Kronewiter, Thomas, Initiative gegen die drohende Verödung des Viertels, in SZ 12.1.2005 []
  2. Näger, Doris, Wohnhaus-Fassade kracht auf die Straße, in SZ 15.2.2005 []
  3. Schmidt, Wally, Umbaupläne stiften Unruhe, in SZ 1.4.2005 []
  4. Schmidt, Wally, Dem Jägerhaus droht der Abriss, in SZ 12.6.2006 []
  5. Abriss des Jägerhäusls ist zunächst vom Tisch, in SZ 9.2.2007 []
  6. Teile des Jägerhäusls bleiben erhalten, in SZ 13.1.2009 []
  7. Jägerhäusl verträgt kein weiteres Haus, in SZ 30.3.2009 []
  8. Etscheit, Georg, Die Kunst, ein Atelier zu finden, in SZ 3.6.2005 []
  9. Winkler-Schlang, Renate, Eine unangenehme, aber alltägliche Geschichte, in SZ 6.10.2005 []
  10. Hepp, Sebastian, Fassaden im Dialog, in SZ 7.11.2008 []
  11. Kastner, Bernd, „Hoffentlich wird hier nicht alles saniert“, in SZ 24.10.2005; Ebitsch, Sabrina, Fabrikhof mit Aschenputtel-Atmosphäre, in SZ 30.12.2005; Ebitsch, Sabrina, „Alles, was historisch ist, bleibt“, in SZ 13.4.2007 []
  12. Bielicki, Jan, Spitze im Investieren – und Schuldenmachen, in SZ 14.12.2005 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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