Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Hachinger Tal

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 26.7.2023

Schon 1991 war das Problem bekannt. „Ist die Frischluftschneise noch zu retten?“ So lautete der Titel des SZ-Beitrags. Das Hachinger Tal geht vom Gleißental im Süden und Taufkirchen, Unterhaching, Ottobrunn und Neubiberg bis zur Münchner Stadtgrenze bei Fasangarten und Perlach. Es ist einer von elf Grünzügen, die vom Regionalen Planungsverband (RPV) geschützt werden. Der Geschäftsführer des RPV, Otto Goedecke, will diesen regionalen Grünzug und die Frischluftschneise energisch verteidigen. Nach dem Umzug von Develey darf hier nichts mehr dazu kommen. „Wenn wir keine Luft zum Atmen mehr haben, gehen wir kaputt.“ Die Ortsgruppen des BN sehen das Hachinger Tal durch mehrere Faktoren gefährdet: die Develey-Umsiedlung in Unterhaching, die Westumgehung in Ottobrunn (die auch die Zerstörung des Kapuzinerhölzls bedeuten würde), die Ansiedlung von Löwenbräu auf der Neubiberger Seite des Tals, Gewerbeansiedlungen in Taufkirchen. Das Develey-Betriebsgebäude ragt in den Grünzug hinein und behindert die Frischluftzufuhr. Die Naturschützer warnen auch vor der künftigen Erweiterung von Wohn- und Gewerbeflächen, da hier dadurch noch eine gesteigerte Verkehrsbelastung droht. Während Oberhaching versprochen hat, „dem Gleißental nichts anzutun“, siedelt Taufkirchen weiter Gewerbebauten dicht an dicht an. Der BN-Vorsitzende von Taufkirchen, Jürgen Tröger, beklagt hier irreparable Fehler und kein Umdenken in der Baupolitik. Auch die Landschaftsarchitekten Geyer und Emmel kommen in ihrem Entwurf zum Landschaftsplan zu dem Schluss, dass ein weiteres Zusammenwachsen der Siedlungsgebiete aus lokalklimatischen Gründen vermieden werden sollte. Wertvolle Feuchtzonen sind schon durch den Neubau der Feuerwehr sowie die landwirtschaftliche Intensivbewirtschaftung vernichtet worden. Der gesamte Talraum zwischen Hochstraße und dem künftigen Sportzentrum soll als Landschaftsschutzgebiet festgeschrieben werden, dazu soll das Sondergebiet südlich der B 471 in einen Bannwald umgewidmet werden. Und noch immer fürchten die Naturschützer die Verlegung der Löwenbrauerei in de Grünzug: Der „Gläserne Größenwahn“ (so die Bürgervereinigung Fasangarten-Perlach 1987) hätte am Boden 240 Meter Breite, am First 180 Meter Breite und wäre 18 Meter hoch. 16 Hektar würden für die Löwenbräu-Gebäude gebraucht und 60.000 bis 70.000 qm für den Autobahnanschluss.1

60 Hektar für Infineon. Der Kampf war verloren: 2001 wurden für neue Firmenbauten des Infineon-Konzerns 60 Hektar aus dem engen Grünzug Hachinger Tal herausgeschnitten.2

Leitlinien für Oberhaching. Oberhaching will seinen Flächennutzungsplan überarbeiten, um einen rücksichtsvollen Umgang mit Topografie, Kulturlandschaft und Natur zu erreichen. So sollen beim Hachinger Bach die Hangkanten freigehalten werden.3

Abriss des Straßmaier-Hofes. Unterhachings ältestes Gebäude war mit etwa 250 Jahren der Straßmaier-Hof. Im Juni 2010 erlaubte das Verwaltungsgericht München der Eigentümerfamilie den Abriss. Der Straßmaier-Hof war ein kaminloses Rauchhaus: Der Rauch ging in das Dachgeschoss und dann durch die Dachziegel. Laut Auskunft des Kreisheimatpflegers gab es damals im gesamten Hachinger Tal nur noch drei solcher Höfe.4

April 2016: München plant mit Neubiberg. Am 27.4.2016 beschloss der Planungsausschuss des Münchner Stadtrats gegen die Stimmen der Grünen, mit der Gemeinde Neubiberg eine gemeinsame Planung für das „Löwenbräu-Grundstück“ zu erarbeiten, auf das die Brauerei 1994 umziehen wollte. München will in Perlach Wohnungen bauen, Neubiberg im Ortsteil Unterbiberg Gewerbeflächen ausweisen.5

Neubiberg will weiter zubauen. Die Gemeinde will freie Flächen am Infineon-Campus im Norden und Nordosten mit Gewerbe und Wohnungen bebauen und hat im März 2018 den Flächennutzungsplan geändert. Die Areale liegen westlich und östlich des Hachinger Bachs und betreffen das Kapellenfeld und das ehemalige Löwenbräu-Grundstück. Ein „interkommunales Strukturkonzept“ soll die Interessen von München und der Gemeinde Neubiberg koordinieren: Es wurde von Neubiberg im September 2018 beschlossen, der Münchner Beschluss ist noch nicht gefasst. Auf dem Münchner Stadtgebiet soll ein Wertstoffhof an der Fasangartenstraße in Ramersdorf und fünfstöckige Häuser an der Münchberger Straße in Fasangarten gebaut werden.6

BI gegründet. Gegen die Pläne hat sich die Initiative Frischluftzufuhr für München gebildet: Über 700 Unterschriften von Anwohnern wurden gesammelt. Der Sprecher Thomas Kiesmüller kritisierte, dass die Bebauungspläne der Grundeigentümerfamilie einen Wertzuwachs und der Gemeinde Neubiberg mehr Gewerbeeinnahmen bringen. Es gehe aber um den Schutz von etwa 100.000 Bewohnern, deren Frischluftschneise zugebaut würde.6

Kapellenfeld gehört von Finck. Die Gemeinde Neubiberg will einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan für die Gewebeansiedlungen am Infineon Campus in Unterbiberg aufstellen. Hierzu wurde im Mai 2019 eine Vereinbarung der Gemeinde Neubiberg mit den Eigentümern des Kapellenfeldes abgefasst, über die nicht öffentlich informiert wurde. Der Neubiberger Bürgermeister Günter Heyland (Freie Wähler) hielt diese Vorgehensweise für absolut normal: „Aber nicht jeder Vertrag muss öffentlich gemacht werden.“ Heyland bestätigte, dass die beiden zu bebauenden Flächen zwei Gesellschaften gehören, die wiederum der Familie von Finck gehören. Ob eine Bebauung im Grünzug die Funktion der Frischluftschneise für München behindern wird, sei laut Heyland völlig offen. Der Planungsausschuss des Münchner Stadtrats hat am 11.12.2019 das Planungsreferat beauftragt, ein mikroklimaökologisches Gutachten zu bestellen.7

Grundstücksverschiebungen. Im Mai 2019 wurde im Neubiberger Gemeinderat in einer nichtöffentlichen Sitzung das Interesse einer ortsansässigen Firma an einem Bauplatz auf dem Kapellenfeld besprochen: Die Gemeinde hat mit dieser Firma die besagte städtebauliche Vereinbarung abgeschlossen. Die Gemeinde muss sich auch mit dem Regionalen Planungsverband abstimmen. Die vorgesehene Fläche gehrt dem Firmenkonstrukt von Finck. Bürgermeister Heyland gab den Namen der interessierten Firma nicht bekannt und ärgerte sich über das Bekanntwerden der Sitzungsunterlage. Er gab das Abstimmungsergebnis im Gemeinderat zum Vertrag mit dem Finck-Konsortium bekannt: 17 Ja-Stimmen (von 19).8

Bau-Pläne. Ein Strukturkonzept für das Hachinger Tal zeigt für das Stadtgebiet München an der Unterhachinger Straße von Nord nach Süd: potenzielle Umnutzung zur Wohnfläche mit 400 bis 500 Wohnungen, potenzielle Schulflächenerweiterung, potenzielle Wohnbebauung mit 600 bis 700 Wohnungen, potenzielle Umnutzung mit 300 bis 400 Wohnungen. Auf dem Neubiberger Stadtgebiet: zwei potenzielle Gewerbegebiete, potenzielle 100 bis 120 Wohnungen, potenzielle Schulflächenerweiterung, Wohngebiet in Planung.
Parallel hierzu hat der Münchner Stadtrat auf die Klimakatastrophe reagiert: „München – Klimaneutral bis 2035. Im Dezember 2019 hat der Münchner Stadtrat den Klimanotstand für München ausgerufen und gleichzeitig die Stadtverwaltung beauftragt, einen Handlungsplan zu erarbeiten, wie das Ziel der Klimaneutralität der Gesamtstadt bereits in 2035 erreicht werden kann.“9
Hier konkurriert der Klimanotstand mit dem selbst verursachten Wohnungsnotstand: 2040 soll diese Stadt rund 300.000 Einwohner (und damit insgesamt 1,85 Millionen) mehr haben.
Beim Klimanotstand kommt die Bebauung der Frischluftschneise Hachinger Tal ins Spiel. An den Rändern soll das Tal zugebaut werden, in der Mitte soll dann das „Alpine Pumpen“ funktionieren, wie es der Deutsche Wetterdienst nennt: mit Wind in Richtung Alpen am Tag und kühler Luft aus den Alpen in der Nacht. Der Münchner Stadtrat hat mit breiter Mehrheit das Planungsreferat am 11.12.2019 beauftragt, das „mikroklimaökologische Gutachten“ anfertigen zu lassen.10

Januar 2020: Grüne wollen Hachinger Tal schützen. Grüne Funktionsträger aus Stadt und Landkreis München forderten ein Moratorium bei der Ausweisung von Bauflächen für Wohnen und Gewerbe im Hachinger Tal, bis die zwei Gutachten zum Regionalen Grünzug vorliegen. Damit sollen Planungen für die Bebauung der 27 Hektar des Kapellenfeldes gestoppt werden. Der frühere Münchner Umweltreferent Joachim Lorenz von den Grünen drängte auf die Freihaltung der Frischluftschneide. In Sommernächten könnten 22 bis 23 Grad statt 16 oder 17 Grad erreicht werden. Die Grünen kritisierten auch die Geheimhaltung der Planungen. In einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung in Neubiberg waren sowohl der Chiphersteller Infineon (das Infineon-Campeon ist nördlich des Kapellenfelds) als auch der Halbleiterhersteller Intel (mit Sitz in Unterbiberg an der Lilienthalstraße und am Infineon-Campeon) anwesend.11

Gutachten zum Hachinger Tal. Die Bürgerinitiative Frischluftzufuhr für München12 sieht durch das „Strukturkonzept Hachinger Tal“ die Frischluftzufuhr für über 100.000 Menschen gefährdet. Das Tal soll mit Gewerbeflächen bei Unterbiberg großflächig zugebaut werden. Mehr als 1900 Personen haben bis dato eine Online-Petition gegen die Bebauung unterzeichnet. (Am 16.12.2020 waren es bereits 2764.) Vom Münchner Stadtrat wurde im Dezember 2019 ein mikroklima-ökologisches Gutachten in Auftrag gegeben, das die Bedeutung der Frischluftzufuhr aus dem Hachinger Tal untersuchen soll. Ergebnisse werden laut Planungsreferat in einem Jahr vorliegen.13

Weiternagen am Hachinger Tal. Ende Juni 2020 wurde die Studie des Deutschen Wetterdienstes und des RGU veröffentlicht. Auf 100 Seiten wird die wichtige Funktion des „Alpinen Pumpens“ bestätigt, wodurch ein Luftaustausch zwischen den Alpen und der Münchner Schotterebene stattfinden kann. Trotzdem möchte der Neubiberger Gemeinderat weiteres Gewerbe im Hachinger Tal respektive Kapellenfeld ansiedeln. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Elisabeth Gerner findet eine maßvolle Bebauung „nicht großartig schädlich“, und schließlich brauche Neubiberg dringend neue Quellen für Gewerbesteuer. Im Ortsteil Unterbiberg sind CSU, SPD und Freie Wähler für eine „maßvolle“ Bebauung. In München steht im rot-grünen Koalitionsvertrag: „Das Hachinger Tal im Südosten Münchens wird von weiterer Bebauung freigehalten.“ Dazu meint Neubibergs Bauamtsleiter Christian Einzmann: „Es hindert uns nicht, wenn München nicht bauen sollte.“14 Die BI „Frischluftzufuhr für München“ und die München-Liste kritisieren, dass das mikroklimatologische Gutachten noch nicht einmal beauftragt sei.

Hachinger Tal ist Frischluftschneise. Der Gemeinderat von Unterhaching hat auf dem Kapellenfeld bis zu 21 Meter hohe Gebäude genehmigt. Um die Funktion der Frischluftschneise zu untersuchen, fordern die Grünen Klimafunktionskarten. Diese werden von der Staatsregierung gefördert, jedoch wurde bislang kein entsprechender Antrag eingereicht. MdL Claudia Köhler (Grüne) und MdL Markus Büchler (Grüne) kritisieren am Beispiel des Hachinger Tals den Druck auf die Münchner Frischluftschneisen: „Schnell noch Tatsachen schaffen und freie Flächen zubauen, bevor die Klimaerhitzung noch mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung gedrungen ist, so scheint die Devise.“15

Gewerbegebiet deutet sich an. Die BI Frischluftzufuhr hat ein Schreiben an Bezirksausschüsse, OB Dieter Reiter (SPD) und die betroffenen Gemeinden gerichtet und vor den Gefahren der kommenden Klimakatastrophe gewarnt. Ihr Sprecher Thomas Kiesmüller bezeichnete dies als „existentielle Herausforderung“. Im interkommunalen Strukturkonzept Hachinger Tal ist die Umwandlung einer Frischluftschneise von 22 Hektar Ackerfläche in ein Gewerbegebiet verzeichnet: Wohnen 5,6 ha, Gewerbe östlich A8 4,8 ha, Gewerbe westlich A8 (Kapellenfeld) 11,9 ha, zusammen 22,3 ha.16
Die Wertsteigerung für die Eigentümer-Familiengruppe von Finck/Winterstein bei der Umwandlung von Ackerflächen in Gewerbeflächen wird auf ca. 400 Millionen Euro geschätzt. Dazu haben die Eigentümer zwei Firmengruppen mit 4 Eigentümern und 8 Geschäftsführern gegründet (lt. HRA von 2018/2019): die A.M.T Kapellenfeld GmbH und die EKW Kapellenfeld GmbH (mit jeweiliger Verwaltungs GmbH) und auf eigene Kosten Gutachten zur Planung des Gebiets beauftragt.17
Der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München hat in einem Schreiben vom 8.6.2021 die BI informiert, dass er nur für Regionalmanagementprojekte aktiv werden könne, wenn er von Mitgliedsgemeinden dazu aufgefordert werde. Deshalb hat die BI den Adressaten ihres Schreibens ein „Regionalmanagement München Südost“ nahegelegt. Die Mitglieder des BA Ramersdorf – Perlach stimmten dem Vorstoß der BI Frischluftzufuhr einstimmig zu.18

Es wird noch heißer. Bereits 2013 hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) in einem Gutachten der „Hitzeinsel München“ eine Temperaturerwärmung von zwei Grad bis 2040 vorhergesagt. Aus einem Vortrag der DWD-Mitarbeiterin Gudrun Mühlbacher vom 19.102020: „Die 2013-Prognose für München bis 2050 sah einen Temperaturanstieg von 2-4 °C voraus. Die +2 °C haben wir schon: Nach dem Deutschen Wetterdienst-Bericht 2020 steigt die Wärmebelastung deutlich, insbesondere in den dichtbesiedelten Stadtteilen. (…) Das ‚Alpine Pumpen‘, der abkühlende Nachtwind aus den Alpen, verschiebt die Hitze-Spots vormittags in den Norden der Stadt; und die Kühlwirkung insgesamt wird schwächer.“19
Der DWD hatte 2013 zur Offenhaltung von Frischluftschneisen geraten und sogar einen Rückbau von Gebäuden im Süden Münchens empfohlen, die in Ost-West-Richtung errichtet wurden. Die Stadtklimaanalyse von 2014 hat 15 „Kaltluftleitbahnen“ konkretisiert und das Hachinger Tal explizit als wichtigen Grünzug deklariert. Und nun sollen auf dem Gebiet der Gemeinde Neubiberg mehr als 20 Hektar Gewerbeflächen neu ausgewiesen werden.20

Bürgerbeteiligung. Am 1.12.2021 organisierte die Stadt München einen digitalen Infoabend zur „Parkmeile Truderung – Neuperlach respektive dem Grünzug zwischen dem Hachinger Tal und dem Landschaftspark Riem.21 Die Landschaftsarchitektin Sophia Hartwig vom Stuttgarter Büro Lohrberg stellte drei Varianten vor: den Ist-Zustand mit „Wilder-Brache-Charakter“, eine Nutzung des Parks mit Sportangeboten und einen Naturschutzpark mit Lehrpfaden. Der etwa sechs Kilometer lange Grünzug verläuft vom Landschaftspark Riem über die Friedenspromenade über den Park am Truderinger Wald nach Neubiberg zum Hachinger Tal. Befürchtet werden Auswirkungen auf den neuen Park durch den U-Bahn-Betriebshof in Neuperlach Süd.((Stäbler, Patrik, Wilde Brache oder ordentliche Spielwiese, in SZ 4.12.2021. Vgl. zum Betriebshof: ÖPNV, 10.6.2021))

Online-Konferenz der Grünen zum Hachinger Tal. Der Neubiberger Ortsverein der Grünen veranstaltete einen digitalen Infoabend zum Hachinger Tal mit etwa 50 Teilnehmern. Kritisiert wurden die Bebauungspläne für das Kapellenfeld. Auf der Münchner Seite sollen auf rund acht Hektar Wohnungen geplant werden, auf dem Neubiberger Kapellenfeld etwa zwölf Hektar und an der Unterhachinger Straße fünf Hektar Gewerbeflächen. Der frühere Münchner Umweltreferent Joachim Lorenz (Grüne) betonte die Wichtigkeit des Hachinger Tals für das „Alpine Pumpen“: den Luftaustausch von den Alpen zur Münchner Schotterebene. Lorenz ist auch in der BI Frischluftzufuhr für München engagiert. Dieser hat der Neubiberger Bürgermeister Thomas Pardeller (CU) versichert, dass vor einer Beschlussfassung das mikroklimatische Gutachten abgewartet werde. Verwiesen wurde auch auf das immense Verkehrsaufkommen. Bereits 2015 fuhren täglich auf der Staatsstraße 2078 über 9.000 Kfz, auf der Staatsstraße 2368 um 9000 und auf der B 171 über 19.000 Kfz.22

Wer was aus dem Mikroklimagutachten herausliest. München will im Hachinger Tal Wohnungen bauen, Neubiberg ein Gewerbegebiet ausweisen. Nun wurde das lang erwartete Mikroklimagutachten vom Münchner Referat für Stadtplanung und Bauordnung vorgestellt. An der Online-Konferenz nahmen Gemeinderäte aus Neubiberg und Unterhaching teil, dazu Münchner BA-Mitglieder, Grundstückseigentümer und Mitglieder der BI „Frischluftzufuhr für München“. Neubibergs Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) kam zu dem Schluss: „Eine Bebauung ist möglich.“ Die Unterhachinger Gemeinderätin Claudia Köhler (MdL, Grüne) und Vertreter der BI stellten den Antrag, die „Parkmeile“ Trudering – Neuperlach längs dem Hachinger Tal über das Kapellenfeld bis zum Perlacher Forst zu verlängern.
Das teils landwirtschaftlich genutzte Kapellenfeld gehört den Familien von Finck und Winterstein (siehe oben): Dessen Bebauung würde viel Geld einbringen. Neubiberg plant hier im Südteil Gewerbeflächen. Im Gutachten steht zur Überraschung Pardellers, dass höhere Gebäude mit weniger Breite empfohlen werden, um das „Alpine Pumpen“ zu sichern. Für die BI zeigt das Gutachten die „zentrale Funktion des Kapellenfelds“; hier entstehe ein Kaltluftgebiet, und von daher wäre der Verzicht auf jegliche Bebauung am besten, da ansonsten der Kaltluftstrom vermindert werde. Unterhaching plant ein Gewerbegebiet im Norden östlich des Sportparks und sieht sich durch das Gutachten bestätigt: Wenn im Kapellenfeld Gebäude mit 28 Metern Höhe laut Gutachten möglich seien, dann würden dies auch Gebäude von 16 Meter Höhe sein, so ein Sprecher. Die Unterhachinger Gemeinderätin Köhler warnte dagegen vor einer Bebauung: „Der Umbau und die Kühlung vor Ort würde viel teurer sein als die Gewerbesteuer, die man einnehmen könnte.“23

Die Parkmeile. Masterpläne sind zur Zeit en vogue – siehe die Büschl-Hochhäuser. Nun plant die Stadt einen Masterplan für eine Parkmeile Trudering – Neuperlach: vom Riemer Park nach Waldperlach zu einem Landschaftspark Hachinger Tal. Das Bundesinnenministerium hat ein Förderprogramm „Post-Corona-Stadt“ mit fünf Millionen Euro initiiert und unterstützt 17 Pilotprojekte. Hierzu gehört auch die Parkmeile. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hatte einen Online-Workshop organisiert, bei dem Vorschläge zu Gardening, kulturellen Aktivitäten, Sport und Gesundheit diskutiert wurden. Die grün-rote Koalition im Münchner Rathaus will auch die Nachbargemeinden Unterhaching und Neubiberg in eine gemeindeübergreifende und klimawirksame Planung von Frischluftschneisen einbeziehen.24

Unterhaching will Mitsprache. Der Stadtentwicklungsplan (STEP) 2040 besorgt die Gemeindeverwaltung Unterhaching, die die Münchner Probleme ins Umland verlagert sieht. So hat eine Umfrage ergeben, dass im Landschaftspark Hachinger Tal 40 Prozent der Besucher aus München sind. Deshalb fordert Unterhaching, dass die Stadt München selbst mehr Grünflächen schaffen soll. Auch beim Verkehrsausbau sieht sich Unterhaching überfordert, ebenso bei Kindergartenkindern und Gastschülern aus München in Unterhachings Kindergärten und Schulen. Deshalb schrieb die Gemeinde Unterhaching zum STEP 2040: „Wenn die Stadt kaum noch Wohnraum schafft, wird der Druck auf das Umland höher. Wenn allerdings Wohnraum ‚um jeden Preis‘ geschaffen wird, verlagern sich die Themen wie soziale Infrastruktur, Bedarf an Freizeit- und Sportflächen, Wunsch nach Natur und Erholung in das Umland und führen dort zu Problemen.“25

Ein Bach im Untergrund. Zur Geschichte des Hachinger Bachs vgl. den Artikel von Lea Kramer in sueddeutsche.de, 23.7.2022: Warum ein Bach in München nicht sprudeln darf

Vorbereitung der Gewerbegebiete. Auch in München ist die Klimaerwärmung immer deutlicher zu spüren,, wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) jedes Jahr feststellt. Umso wichtiger sind und werden Kaltluftschneisen. Im Münchner Südosten strömt – noch – über das Hachinger Tal alpine Frischluft („Alpines Pumpen“). Seit 2014 plant die Gemeinde Neubiberg im Ortsteil Unterbiberg neue Gewerbegebiete, zunächst ebenso München selbst (siehe oben). Dessen Stadtrat will demnächst über das mikroklimaökologische Gutachten diskutieren. Derweil schaffen die Grundeigentümer des Kapellenfelds (im Besitz von diversen verflochtenen Firmen) neue Tatsachen. Bis Ende 2018 war es im Besitz des inzwischen verstorbenen Milliardärs August von Finck und Wilhelm Winterstein. Nun wurde das Kapellenfeld mit kleineren Arealen von zwei neuen Gesellschaften für über 160 Millionen Euro übernommen. Der Grund und Boden gehört nun der A.M.T. Kapellenfeld GmbH & Co. KG und der EKW Kapellenfeld GmbH & Co. KG: Beide Formen wollen mit der Gemeinde Neubiberg bauen. Der Neubiberger Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) hält einen „Technologie-Campus“ mit 150.000 bis 200.000 qm für möglich. Der ortsansässige Dax-Konzern Infineon hat an seinem Standort „Campeon“ nächst dem Kapellenfeld nach eigenen Angaben keine Ausbaupläne. Angeblich könnte er jedoch auf seinem Parkplatz einen Gewerbebau mit bis zu 31 Meter Höhe bauen. Neubiberg hat die Geo-Net Umweltconsulting für ein eigenes Gutachten eingeschaltet: Das Unternehmen hat auch das Münchner Gutachten erstellt. Neubiberg will so seine Gewerbegebiets-Pläne zu ermöglichen. Die Gemeinde Unterhaching will ihr eigenes Gewerbegebiet am Sportplatz absichern und sieht kein Problem mit dem Münchner Gutachten. Rathaussprecher Simon Hötzl führt aus, es sei „eine Bebauung im Norden Unterhachings für die Entstehung des Kaltluftvolumenstroms zwar relevant, aber kompensierbar“. Der RPV hat vor kurzem ein Gewerbegebiet mit 55 Hektar östlich der A 8 abgelehnt: Laut Vertreter der Frischluftschneise Hachinger Tal könnte dies auch hier ein Zeichen sein.26
Und so nagen die Vertreter von Eigentümern, Investoren und Kommerz am Kapellenfeld und am Hachinger Tal: Sie werden es schaffen, das alpine Pumpen zum Stillstand zu bringen – und dann wird es wieder niemand gewesen sein.

Ottobrunner Hochhaus-Skyline. Zwischen der Staatsstraße 2078 und dem „Finsinger Feld“ möchte Ottobrunn sein „Campusareal“ (vulgo Gewebegebiet Nordost) platzieren. Mehrere bis zu 70 Meter hohe Bürotürme (Henn Architekten) für 5000 bis 8000 Arbeitsplätze sollen hier gebaut werden. Die Nachbargemeinde Unterhaching schaltete nach Bekanntwerden der Erweiterungspläne im Sommer 2022 die Rechtsanwaltskanzlei Rittershaus ein und übte daran harsche Kritik: Ottobrunn habe überhaupt keine Untersuchungen über die „erheblichen Auswirkungen auf das städtebauliche Grundkonzept des Landschaftsparks Hachinger Tal“ angestellt. Unterhachings Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD) warnte vor Auswirkungen auf das gesamte Hachinger Tal und weitere Begehrlichkeiten. Die Kanzlei Rittershaus hob in einem Schriftsatz an die planerischen Leitgedanken des Landschaftsparks und ein damit verbundenes naturnahes und extensiv genutztes Naherholungsgebiet hervor. Ottobrunn hat nun im zweiten Entwurf, so Stefan Lauszat, dem Unterhachinger Referatsleiter Ortsentwicklung, am 4.7.2023 im Bauausschuss, das Baurecht nicht verträglich reduziert, sondern sogar noch deutlich ausgeweitet. Die Geschoßflächenzahlen liegen bis zu 30 Prozent über dem erste Entwurf: Insgesamt sollen 300.000 qm Gewerbefläche entstehen. Unterhachings Verwaltung warnte zudem vor Verkehrsproblemen und Wohnraummangel, da die Gemeinde Ottobrunn bereits zu 87,5 Prozent bebaut ist. Dagegen bemängelte der Ottobrunner Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) den „Unterhachinger Stil“. Es entstünden nur 4000 bis 5000 Arbeitsplätze, und dies über einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren: Dadurch könne man die verkehrlichen und infrastrukturellen Maßnahmen umsetzen. Und dann warb Loderer – bewusst irreführend -, für das Bauprojekt: „Wir sollten alle die Herausforderung annehmen, in die Höhe zu bauen und die Themen Versiegelung und ressourcensparendes Bauen angehen.“27
So kann man auch mit scheinbar ökologischen Argumenten versuchen, das grenzenlose Wachstum seiner Gemeinde und die Gier nach immer noch mehr wirtschaftlichem Zuwachs begründen: ohne dass diese richtiger werden.

  1. Baumstieger-Uhlig, Christine, Ist die Frischluftschneise noch zu retten? in SZ 20.6.1991 []
  2. Goedecke, Otto, Der zähe Kampf gegen Versiegelung und Zersiedelung, in SZ 5.6.2002 []
  3. Rigo, Franz-Josef, Leitlinien zur Ortsentwicklung fixiert, in SZ 10.4.2004 []
  4. Zick, Florian, Straßmaier-Hof darf abgerissen werden, in SZ 19.6.2010 []
  5. Bode, Daniela, Strukturkonzept für Löwenbräu-Grundstück, in sueddeutsche.de 2.5.2016 []
  6. Bode, Daniela, Frische Luft vom Land, in SZ 13.9.2019 [] []
  7. Bode, Daniela, Bauplanung im Grünzug,, in SZ 13.12.2019 []
  8. Bode, Daniela, Firma schnappt nach Frischluftschneise, in SZ 20.12.2019 []
  9. https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Klimaschutz_und_Energie/Klimaneutralitaet.html []
  10. Krass, Sebastian, Luft zum Leben, in SZ 21.12.2019 []
  11. Hilberth, Iris, Grüne fordern Planungsstopp in der Frischluftschneise, in SZ 16.1.2020 []
  12. https://frischluftzufuhr-muenchen.de/ []
  13. Grundner, Hubert, Lebenswichtige Frischluftschneise, in SZ 27.3.2020 []
  14. Bode, Daniela, Hilberth, Iris, Luft aus den Alpen kühlt Stadt und Region, in SZ 6.7.2020 []
  15. Brunckhorst, Lars, Grünzüge in Gefahr, in SZ 5.8.2020 []
  16. Strukturkonzept Hachinger Tal vom 1.4.2019; http://flzfm.de/wp-content/uploads/2019/06/2-Strukturkonzept-Hachinger-Tal-vom-1.4.2019-Plan-zum-Vorzugskonzept.pdf []
  17. https://www.openpetition.de/pdf/blog/muenchen-erstickt-frischluftschneise-hachinger-tal-freihalten_unterlage-zum-vortrag-frischluftzufuhr-fuer-muenchen_1632257182.pdf []
  18. Grundner, Hubert, Kühler Wind für alle, in SZ 17.7.2021 []
  19. https://oekom-verein.de/veranstaltung/gudrun-muehlbacher-klimanotstand-muenchen-die-fakten/ []
  20. Grundner, Hubert, Kühlung für die Hitzeinsel, in SZ 9.9.2021 []
  21. Infoabend zu Grünzug in Riem, in SZ 1.12.2021 []
  22. Bode, Daniela, „Wir brauchen Luft, wir brauchen Grün, wir brauchen Platz“, in SZ 4.12.2021 []
  23. Bode, Daniela, Der Kaltluftstrom darf nicht abreißen in SZ 19.3.2022 []
  24. Stäbler, Patrik, Grüne Vision, in SZ 9.4.2022 []
  25. Hilberth, Iris, Die Vorstadt will mitreden, in SZ 13.5.2022 []
  26. Bode, Daniela, Kramer, Lea, Krass, Sebastian, Wenn der Acker plötzlich Millionen wert ist, in sueddeutsche.de 23.2.2023 []
  27. Hilberth, Iris, Mühlfenzl, Martin, Geplante Hochhaus-Skyline schockt Unterhaching, in SZ 10.7.2023 []
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