Moloch München Eine Stadt wird verkauft

STEP 2040

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 17.8.2022

Der Stadtentwicklungsplan 2040. Der Vorgänger stammte aus dem Jahr 1983. Bei der Vorstellung des neuen Stadtentwicklungsplans am 25.6.2021 sagte OB Dieter Reiter, man müsse „mehr Wert auf das Stadtklima legen“. Stadtbaurätin Elisabeth Merk kündigte den Wegfall von 2200 oberirdischen Stellplätzen an, um Raum für kühlende Bäume zu schaffen. Man müsse aber natürlich weiterbauen, um der Wohnungsnot Herr zu werden. Angesichts des Klimawandels könne es sich München gar nicht mehr leisten, Grünflächen zu bebauen.1
Hallo, Frau Stadtbaurätin, zur Erinnerung: Bebaut werden sollen aktuell noch 600 Hektar der SEM Nordost, 900 Hektar der SEM Nord, weitere zig Hektar in Freiham, 21 Hektar im Eggarten etc. etc. Der neue Stadtentwicklungsplan enthält viel ökologisches Blabla, verschweigt die tatsächliche Zerstörung und Versiegelung der Stadt durch Wohnungsbau und Gewerbebau, die völlige Überforderung der technischen und sozialen Infrastruktur in der Stadt – und liefert kaum Hoffnungsschimmer.
Und warum entfernt das Planungsreferat im STEP 2040 das Landschaftsschutzgebiet zwischen Laim, Pasing und der Blumenau, einem in den Siebziger-Jahren beschlossenen Landschaftspark aus dem neuen Stadtentwicklungsplan? Siehe unten

Der STEP 2040 lag als Entwurf vom 21.9.2021 vor. Im Untertitel stand der schon ältere Slogan: „München – Stadt im Gleichgewicht“.2
Schon die Benennung „Stadt im Gleichgewicht“ könnte man als eine eigenartige Frechheit bezeichnen. Es gibt in Deutschland wohl keine Stadt, die dermaßen im Ungleichgewicht ist, auch durch die städtebaulichen Vorhaben des Referats für Stadtplanung und Bauordnung. Inzwischen arbeiten dort über 600 Mitarbeiter eher am Ungleichgewicht Münchens.
Die bunten Diagramme und Graphiken sollen suggerieren, dass Probleme wie Klimakatastrophe, Hitzeinsel München, Zubauen von Kaltluftschneisen erkannt und gelöst sind – und sich die neuen geplanten Münchner Riesenquartiere mit bis zu 30.000 Bewohnern und 10.000 Arbeitsplätze problemlos integrieren lassen.

Ziele des Stadtentwicklungsplans STEP 2040. „Der Entwurf des ‚Stadtentwicklungsplans 2040‘ diskutiert alle wichtigen räumlichen Zukunftsfragen. (…) Ziele sind eine nachhaltige Stadtentwicklung und der Ausgleich von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Belangen für eine Stadt im Gleichgewicht. (…) Der Entwurf integriert die drei großen Handlungsfelder der Stadtentwicklung Freiraum, Mobilität und Siedlungsentwicklung und ergänzt sie um die Herausforderungen des Klimawandels und der Klimaanpassung sowie eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Region. Am Ende steht ein integrierter Gesamtplan, der alle Ziele, Strategien und Maßnahmen zusammenfasst und Synergien aufzeigt.“3
Die Stadtentwicklungskonzeption „Perspektive München“ hat zum (unerreichbaren; WZ) Ziel „den Ausgleich sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Belange. München setzt (angeblich) auf „grüne und vernetzte Freiräume, eine effiziente, zuverlässige und klimaneutrale Mobilität, starke Wohnquartiere und eine zukunftsfähige Stadtentwicklung, klimaangepasste Landschafts- und Siedlungsräume, klimaneutrale Quartiere und erneuerbare Energien, eine partnerschaftliche Entwicklung der Stadtregion, den Dialog und die Diskussion mit der Stadtgesellschaft sowie den Akteur*innen der Stadtentwicklung und in der Region“.2
München ist eine Stadt im völligen Ungleichgewicht: Das ist jetzt schon zu spüren, und der Trend wird sich noch verstärken. Keine Stadt verkraftet diese Wachstums-Gewalttour, die in München seit Ende des 20. Jahrhundert unter OB Christian Ude betrieben wurde und die nahtlos von OB Dieter Reiter und dem Planungsreferat fortgesetzt wird.

Planer-Schlagworte. Der Stadtentwicklungsplan STEP 2040 setzt mit sechs Handlungsfeldern auf einen Wunschkatalog diverser Schlagworte, u. a.:
„Grüne und vernetzte Freiräume“. Schlagworte sind mehr Parks und grüne Infrastruktur: Gleichzeitig wird z. B. das Grünareal der städtischen Baumschule heimlich überplant.
„Starke Wohnquartiere und eine zukunftsfähige Stadtentwicklung“. Hier werden in dem bunten Stadtplan auf S. 6 neben den Großsiedlungsprojekten Freiham und Bayernkaserne natürlich auch die SEM Nordost und die SEM Nord angegeben, eine großflächige Versiegelung von 600 bzw. 900 Hektar.
„Klimaangepasste Landschafts- und Siedlungsräume“: Angekündigt werden „Minimisierung der Neuversiegelung“, die „Reduzierung der Hitzebelastung in Stadträumen“ und „Entsiegelung“.
In der Realität werden Versiegelung und Überbauung von rund 2000 Hektar im Stadtgebiet bis zum Jahr 2035 geplant. Die Realität sieht – leider – völlig anders aus, als im STEP 2040 grün ausgemalt.
„Klimaneutrale Quartiere und erneuerbare Energien“: Hier wissen die SWM bald nicht mehr, wo sie überall Quellen anzapfen können, vor allem bei der Umstellung von Heizen und Kühlen und Verkehr auf Elektrizität. Außerdem sind „klimaneutrale Quartiere“ eine Fiktion: genau wie die Null Gramm CO2-Emoissionen beim Elektroauto.
„Eine partnerschaftliche Entwicklung der Stadtregion“: Hier lag und liegt in der Tat vieles im Argen mit dem Umland, über das die Münchner Verwaltung oft brachial hinwegging.
„Stadt im Gleichgewicht“: zwei Schaubilder mit netten bunten Abbildungen. München im Gleichgewicht ist natürlich eine Contradictio in Adjecto, ein Widerspruch in sich.

Dazu gehört PERSPEKTIVE MÜNCHEN – Entwurf des Stadtentwicklungsplans STEP 2040 „München – Stadt im Gleichgewicht“4 Das sind 26 Seiten Behördensprech, die sehr fachspezifisch formuliert sind, so dass sie vermutlich kein Außenstehender durchliest. Verschwiegen wird u. a. die angesichts des ungebremsten Zuzugs sich immer weiter verschlechternde verkehrliche, technische und soziale Infrastruktur. Hervorgehoben wird das Prinzip der „Stadt im Gleichgewicht“. (Dabei gibt es wohl keine Stadt in Deutschland, die durch die Priorisierung des Wachstums so im Ungleichgewicht ist wie München.) Erwähnt wird das geplante Bevölkerungswachstum von 1,49 Millionen Einwohner am 30.9.2021 (Bayerische Landesamt für Statistik) auf 1,845 Millionen Einwohner im Jahr 2040 (S. 6): Das ist ein Zuwachs von fast 24 Prozent.
Dazu gibt es beeindruckende Zeugnisse von inhaltsleeren EDV-Satzbausteinen: „Automatisierung und Datengenerierung: Durch die intelligente Kombination und Verarbeitung vorhandener Daten werden neue Informationen gewonnen und Planungsentscheidungen können besser vorbereitet werden. Nur durch automatisierte Modelle und Prozesse kann dies mit vertretbarem Aufwand gelingen.“ (S. 15)
Am Ende stehen 11 Anträge der Stadtbaurätin Elisabeth Merk an den Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung, u. a.: ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, das Referat mit dem Diskussions- und Beteiligungsprozess zu beauftragen, den Auftrag zur Durchführung des Bürgerrats extern zu vergeben, den Beteiligungsprozess aus eigenen Mitteln zu finanzieren, die Ergebnisse des Diskussions- und Beteiligungsprozesses dem Stadtrat erneut vorzulegen.

Weitere Schlagworte im STEP 2040. München setzt laut Planungsreferat angeblich auf „grüne und vernetzte Freiräume“, auf eine „klimaneutrale Mobilität“, auf „starke Wohnquartiere und eine zukunftsfähige Stadtentwicklung“, „klimaangepasste Landschafts- und Siedlungsräume“, „klimaneutrale Quartiere und erneuerbare Energien“ und „partnerschaftliche Entwicklung der Stadtregion“. (S. 8ff; siehe auch oben)
Diese grünen Schlagworte sind angesichts der realen Entwicklung pures Greenwashing.
„Die wichtigsten Strategien der Klimaanpassung sind der Erhalt guter und die Verbesserung ungünstiger bioklimatischer Situationen. Wesentlich dabei sind Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzebelastung…“ (S. 10)
Hier geriert sich das Planungsreferat als angeblicher Klima-Retter. Gleichzeitig wird das Stadtgebiet von allen Seiten zugebaut: Wie erwähnt sind aktuell bis 2035 2000 Hektar zur Überbauung geplant.
„Auch soll gegenüber der Stadtgesellschaft und der Fachöffentlichkeit eine neue Transparenz geschaffen werden. Den Kern dafür soll ein Monitoring- und Informationssystem bilden.“ (S. 15)
Hier ist oft nur eine digitale Transparenz gemeint. In Wirklichkeit laufen viele Prozesse völlig leise und im Hintergrund ab, siehe die geplante Bebauung des Grüngürtels der Städtischen Baumschule oder die Planungen an der Erdbeerwiese, die nur durch Zufall herauskamen.
((Alle Zitate: https://risi.muenchen.de/risi/dokument/v/6664723))

Kritik vom Bund Naturschutz. Am 6.4.2022 veröffentlichte die Kreisgruppe München des BN die Pressemitteilung „STEP 2040: Alter Wein in neuen Schläuchen?“ Der Schutz von Kaltluftleitbahnen und -entstehungsgebieten sollen im Grüngürtel der Stadt gesichert werden; gleichzeitig dienen diese Flächen im STEP 2040 als „Potenzialflächen für Siedlungsentwicklung“: Das ist ein Widerspruch in sich: „Kaltluftentstehungsgebiete oder -leitbahnen können nur unbebaut ihre Funktion erfüllen.“ (Christian Hierneis) „Stattdessen vermittelt der STEP 2040 den Eindruck, völlig entgegengesetzte Ziele wie der Schutz wiesenbrütender Vögel und eine Bebauung könnten problemlos unter einen Hut gebracht werden“ (PM BN 6.4.2022) Im grün-roten Koalitionsvertrag von 2020 sollen Grünzüge und Kaltluftschneisen gesichert werden, Wälder, Parks und Grünzüge noch 2020 bilanziert werden. Der Stadtrat will Tabuflächen verorten, dagegen „drückt sich das Planungsreferat in den Unterlagen des STEP 2040 weiterhin um klare Aussagen, welche Flächen für eine Bebauung absolut tabu sein müssen.“ (PM BN 6.4.2022) Eine Tabufläche könnte z. B. der Landschaftspark West von Laim bis zur Blumenau einschließlich der städtischen Baumschule sein. Im Bereich Mobilität im STEP 2040 fehlt eine Strategie der Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) bzw. die Ausweitung einer autoarmen Altstadt zu einer autoarmen Stadt im Ganzen.
Außerdem bemängelt der BN eine Transparenz in der Zusammenarbeit mit Bezirksausschüssen, Naturschutzverbänden, Bürgerinitiativen und dem Stadtrat. Ein vom Planungsreferat gebildeter „Bürger*innenrat“ wird „von einem Expertengremium beraten, das ausschließlich aus der Stadtverwaltung rekrutiert wurde“. (PM BN) Der stellvertretende Geschäftsführers des BN in München, Martin Hänsel, stellte fest dass die Expertise von Münchner Naturschutzverbänden wie Bund Naturschutz oder Landesbund für Vogelschutz „von vornherein ausgeschlossen“ wurde. Der BN musste sogar mehrfach nachfragen, um zu erfahren, wer in diesem Expertengremium überhaupt sitzt. „Auf der anderen Seite wird Investoren ein breites Podium geboten, wie das Beispiel der von einem Investor geförderten Hochhäuser an der Paketposthalle deutlich zeigt.“ (PM BN 6.4.2022)

MVHS-Veranstaltung. IM VHS-Bildungszentrum an der Einsteinstraße stellte Arne Lorz vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung den STEP 2040 vor, der im Übrigen in den umliegenden Gemeinden nicht begeistert aufgenommen wurde. Dabei, so Lorz, würden aktuell mehr Münchner von der Stadt ins Umland pendeln als von außen nach innen. Gisela Karsch-Frank vom Planungsreferat hat für das Stadtzentrum im Umfeld von Hauptbahnhof, Pinakothek, Maximilianeum und altem Südfriedhof ein „Freiraumquartierskonzept“ vorgestellt. Im Nationalsozialismus wurde München „Hauptstadt der Bewegung“, danach zur Hauptstadt der Auto-Bewegung. Der Sonnenstraßen-Boulevard vom Anfang des 19. Jahrhunderts wurde asphaltiert und soll grün wiederbelebt werden. Und die Betonplatten-Wüsten der Kaufingerstraße und Neuhauser Straße sollten kühlende Baumpflanzungen bekommen.5
Damit wurden ein paar grüne Bonbons verstreut, ohne am Wachstumswahn der Stadt zu kratzen.

  1. Anlauf, Thomas, Visionen für das München der Zukunft, in SZ 26.6.2021 []
  2. https://www.region-muenchen.com/fileadmin/region-muenchen/Dateien/Pdf_Downloads/Sitzungsunterlagen/Sitzungsunterlagen_2021/210921_STEP2040_Praesentation_Brune_final.pdf [] []
  3. Nähere Informationen: https://stadt.muenchen.de/infos/stadtentwicklungsplan-2040.html []
  4. https://risi.muenchen.de/risi/dokument/v/6664723 vom 7.7.2021 []
  5. Raff, Julian, Mehr Grün im grauen Zentrum, in SZ 7.6.2022 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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