Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Luisenstraße 22

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 7.11.2022

Tag des unbequemen Denkmals. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat für 2013 das Motto „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmäler“ gewählt. Der ehemalige BA-Vorsitzende der Maxvorstadt, Klaus Bäumler, nahm das zum Anlass, am 8.9.2013 „Unbequeme Denkmale in der Maxvorstadt“ zu besuchen. Der Obelisk am Karolinenplatz ist so ein unbequemes nationales Denkmal. Die Paul-Heyse-Unterführung kennen viele, ohne den Namensgeber, einen Nobelpreisträger für Literatur (1910), zu kennen. Die Paul-Heyse-Villa an der Luisenstraße 22 steht einer massiven Bebauung im Weg: Der Eigentümer plant ein fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus. Die Sockel der zwei Ehrentempel am Königsplatz zeugen vom Untergang des Nationalsozialismus.1

„Paul-Heyse-Villa“. Die Villa wurde in den 1830er Jahren vom Hafnermeister Andrä Seybold erbaut. Paul Heyse,(*1830, †1914), der 1854 von König Maximilian II. nach München berufen wurde, kaufte das Haus mit dem 1400 qm großen Grundstück Anfang der 1870er Jahre, ließ es 1873 vom Architekten Gottfried von Neureuther umbauen und bezog es 1874. Er wohnte 30 Jahre hier. Ludwig Rosner, ein Lack- und Farbenfabrikant, kaufte die Villa 1936. 1942 wurde die Villa in die Denkmalliste eingetragen, danach aber im Krieg schwer beschädigt. Rosner rettete die Villa mit Baumaterial vom Land und ließ die Fassade vom Architekten Walter von Breunig 1949 wieder instand setzen.2

Der lange Abschied. Das Anwesen Luisenstraße 22 mit der Villa wurde 2013 an Reinhard Zinkann verkauft, dessen Umbaupläne weder in der Maxvorstadt noch beim Planungsreferat gut ankamen. Anwohner, Denkmalschützer und der Ur-Ur-Enkel von Paul Heyse, Bernhard Liebisch aus Berlin wehrten sich gegen den Abriss durch den Eigentümer. Zinkann, Geschäftsführer des Miele-Konzerns, wollte den Denkmalstatus aufheben lassen und plante auf dem 1400 qm großen Grundstück ein fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus. Einen Antrag auf Vorbescheid hatte Zinkann im August 2011 gestellt, der im Februar 2012 von der LBK abgelehnt wurde. Von den fünf Varianten plante die Mehrheit den Abriss der Villa. Zinkann klagte nun vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung. Die Stadt zog daraufhin den negativen Vorbescheid zurück. Gleichzeitig gab es zwei neue Gutachten: eines im Auftrag eines Freundeskreises der Villa und eines vom BLfD. Darin werden die „geschichtliche und künstlerische Bedeutung“ der Villa und ihre städtebauliche Bedeutung als Beispiel für die Bebauung der Maxvorstadt im 19. Jahrhundert betont. Der damalige Kulturreferent Hans-Georg Küppers nannte die Villa einen „auratischen Ort der Literaturgeschichte“ und lehnte den Abriss ab, da eine Verantwortung für „das literarische Gedächtnis der Stadt München“ bestehe. Hier verkehrten u. a. auch die Künstler Lenbach, Brahms, Spitzweg, Fontane, Menzel, Ringelnatz.3

Unterstützerkreis gegründet. Der Unterstützerkreis wuchs. Nun forderten auch die Rathaus-Fraktionen von CSU und FDP die Stadt auf, das Baudenkmal zu retten.4 – Der damalige bayerische Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP), als solcher zuständig auch für Denkmalschutz, besuchte die Paul-Heyse-Villa und äußerte, man werde eine gute Lösung finden. Eigentümer Zinkann sagte ein Abriss sei nicht präferiert.5 – Die SPD im Münchner Stadtrat forderte von der Verwaltung, nur solche baulichen Pläne zu genehmigen, die auf die Villa Rücksicht nehmen.6 – Über 6500 Unterschriften gingen für den Erhalt der Paul-Heyse-Villa ein: Der BA Maxvorstadt hat diese am 10.10.2013 an Stadtbaurätin Elisabeth Merk und LBK-Leiter Cornelius Mager übergeben.7

Erste Gespräche. Vertreter der Stadt und des Eigentümers sprachen über die Zukunft der Villa. Peter Dietlmaier, der Vertreter des Eigentümers Zinkann, nannte einen angeblich geplanten Abriss eine „irreführende Unterstellung“. Eine bauliche Lösung solle mit einer umfassenden Sanierung eine künftige architektonisch ansprechende Nutzung zulassen: Alle Vorschläge vom Architekturbüro Graf Maltzan gingen in diese Richtung. Kritiker dieser Pläne schlugen Gespräche auch mit den derzeitigen Mietern und Nachbarn vor: Dies lehnte Dietlmaier ab.8

Investor geht vor Verwaltungsgericht. Dieses soll nun die Entscheidung fällen, ob und wie viele Veränderungen an der unter Denkmalschutz stehender Villa zulässig sind. Laut Planungsreferat hat Zinkann Klage gegen die Ablehnung seines Bauvorbescheids erhoben. Dietlmaier betonte erneut, mehrere vorgeschlagene Varianten sähen eine Restaurierung, aber keinen Abriss vor. Dagegen äußerte das Planungsreferat, keine Variante käme ohne große Eingriffe aus, die die Denkmaleigenschaft gefährdeten.9

Architekt wird neuer Eigentümer. Der Architekt Carlos Graf Maltzan, der seit Jahren für Zinkann mit den Planungen für die Luisenstraße 22 betraut war, kaufte von diesem im August 2015 die Luisenstraße 22. Zinkanns Sprecher Dietlmaier zufolge werde Maltzan die Immobilie sanieren und selbst beziehen.10

Neubau und Abriss. Die Villa soll nach Plänen von Maktzan unangetastet bleiben. Der Anbau soll aber für eine Tiefgarageneinfahrt abgerissen werden und ein neues Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gebaut werden. Der Neubau soll eine Grundfläche von 14,60 mal 19 Meter haben: zwei Stockwerke und ein ausgebautes Dach mit fünf Wohnungen und der Tiefgarage mit zwölf Stellplätzen. Der Baumbestand im Vorgarten müsste gefällt werden – nebst Bäumen auf dem Nachbargrundstück. Der Feriensenat des BA Maxvorstadt lehnte diese Bauanfrage mit großer Mehrheit ab: Der Blick auf die denkmalgeschützte Villa wäre verstellt, und die Villa würde zum Hinterhaus. BA-Mitglied Gerhard Mittag (CSU) äußerte die Befürchtung vor einer „Salamitaktik“: „Erst der Anbau und dann doch die ganze Villa.“11

Die „Einigung“. Architekt Maltzan und die Stadt haben sich auf einem nichtöffentlichen Erörterungstermin auf eine Variante geeinigt, die den „vollständigen Erhalt des Denkmals“ und eine „maßvolle Bebauung des Grundstücks“ beinhaltet. Die Stadt will bis Mitte Januar 2017 die Einigung prüfen. Maltzan einigte sich vor Gericht mit der LBK über den Neubau mit 15 mal 19 Meter; dazu die Tiefgarage, im Erdgeschoss und im 1. Stock Büros und Ladengeschäfte. Die Bauarbeiten sollen drei bis vier Jahre dauern. Der BA Maxvorstadt ist nach wie vor gegen das Bauvorhaben, noch dazu, weil Bäume gefällt werden müssen. Außerdem gäbe es in der Maxvorstadt schon genügend Büroraum.12

Widerstand. Der Nachbar und Anwalt Tassilo Eichberger hat eine Petition beim Bayerischen Landtsag eingereicht, die gegen den Anbau eintritt. Die SPD-Landtagsfraktion wollte am 13.12.2016 in einem Eilantrag die Stadt auffordern, das Ensemble Luisenstraße 22 „aufgrund der baulichen Denkmaleigenschaft im Gesamtzustand zu erhalten“. Laut Baureferat sah das Gericht die Denkmaleigenschaft des Gartens, wo der Anbau geplant ist, „sehr kritisch“. Es müsste für die Tiefgarageneinfahrt nicht nur der Anbau (mit derzeit eine Weinhandlung) abgerissen werden, sondern auch noch eine denkmalgeschützte Mauer. Sowohl die Petition als auch der SPD-Antrag plädieren dafür, dass die Stadt das gesamte Anwesen als Denkmal bewerten soll. Für den Generalkonservator des BLfD, Mathias Pfeil, handelt es sich um einen „Nähebereichsfall“ nach Art. 6 Denkmalschutzgesetz: Ein Bauwerber benötigt hier eine Erlaubnis, „wenn sich dies auf Bestand oder Erscheinungsbild eines der Baudenkmäler auswirken kann“.13 – Der BA Maxvorstadt folgte dem Eilantrag der SPD und sprach sich gegen den Neubau aus, für den die denkmalgeschützte Mauer und der denkmalgeschützte Querbau abgerissen werden müssten. BA-Mitglied Katharina Blepp (SPD) befürchtete einen Dominoeffekt in der Stadt für denkmalgeschützte Grundstücke: Durch Teilbebauung wird der Denkmalschutz ausgehöhlt, sodass dieser dann auch für den Bestand entfällt. Damit könnten Investoren denkmalgeschützte Immobilien kaufen und mit dieser Salamitaktik die denkmalgeschützten Teile abreißen und „den Grund vergolden“.14

Der nächste Kompromiss. Maltzan und die Stadt einigten sich auf einen gerichtlichen Vergleich: Architekt Maltzan renoviert die Villa und darf auf dem Grundstück einen „maßvollen Neubau“ errichten. Die Stadt akzeptiert diese Planungen. Die Arbeiten sollen in etwa zwei Jahren, also 2019, beginnen.15
Jetzt, im Herbst 2022, über fünf Jahre später, ist immer noch kein Baubeginn in Sicht: Und das Anwesen verfällt zusehends.
Als Ergebnis werden die denkmalgeschützte Mauer und der denkmalgeschützte Anbau abgerissen. Die Bäume im Innenhof werden gefällt. Der Neubau ist massiv. Trotzdem verlautete aus dem Planungsreferat, man könne die Lösung akzeptieren.16

Neuer Widerstand. Die Petition im Bayerischen Landtag läuft noch. Der BA Maxvorstadt forderte jetzt „dringend und nachdrücklich“ die Stadt auf, den Neubau zu verhindern. Der BA kritisierte auch den Abriss von Mauer und Anbau, die beide unter Denkmalschutz stehen: Das sei ein fatales Signal an die Investoren.
So lief es dann ja auch im Fall Kolbergerstraße 5!
Dagegen sagte Cornelius Mager von der LBK: „Wur sind froh über diese Einigung, im Denkmalrecht muss man Kompromisse eingehen… Wir können froh sein, dass die Villa selbst erhalten bleibt.“ Das Gericht wiederum hielt nur die Westfassade und das Treppenhaus für denkmalwürdig und wies auch ein Gutachten zurück, in dem der Sachverständige das Anwesen Luisenstraße 22 als Exempel für königliche Baupolitik Anfang des 19. Jahrhunderts einstufte.17

Wie es nicht weiterging. Bauherr und Architekt Carlos Maltzan kündigte der LBK an, noch 2018 den förmlichen Bauantrag einzureichen.18

Auszug nach 25 Jahren. Adriana von Schelling und Barry Goldman haben 25 Jahre in der Paul-Heyse-Villa gewohnt und berichteten in der tz von den Villa-Gästen Theodor Fontane, Thomas Mann, Adolph von Menzel und Franz von Lenbach. Für den geplanten Neubau müsste der drittgrößte Götterbaum mit 380 cm Stammumfang gefällt werden. Die Noch-Bewohner befürchten nach wie vor einen späteren Abriss der Paul-Heyse-Villa.19

Ungewisser Ausgang. Zum 1.3.2022 sind die verbliebenen Mieter ausgezogen. Der Garten ist nach wie vor komplett bedroht: Sieben über 100 Jahre alte Bäume müssen für den Neubau gefällt werden. Die Villa verfällt zunehmend: Der Putz platzt ab, die Fensterrahmen verfaulen. Laut Graf Maltzan sollen in zwölf bis 20 Monaten die Arbeiten beginnen. Die Villa soll im Erdgeschoss gewerblich genutzt werden, darüber sollen Wohnungen entstehen. Maltzan will nicht ausschließen, selbst einzuziehen.20

  1. Exkursion mit Klaus Bäumler: „Unbequeme Denkmale in der Maxvorstadt“, TUM, www.artum.de 29.7.2013; Regel, Nadine, Anlauf, Thomas, Nicht nur gut und schön, in SZ 5.9.2013 []
  2. Vogel, Evelyn, Kleinod in Gefahr, in SZ 9.8.2013 []
  3. Vogel, Evelyn, Kleinod in Gefahr, in SZ 9.8.2013; Gans, Matthias, Zinkann verkauft Heyse-Villa, in nw.de 15.8.2015; Schuri, Claudia, Das Haus der Dichter: Paul-Heyse-Villa war Künstler-Treffpunkt – Unmut bei Anwohnern über Bauvorhaben, in tz.de 1.7.2021 []
  4. Fraktionen wollen Paul-Heyse-Villa retten, in SZ 22.8.2013 []
  5. Dürr, Alfred, Die Stadt muss hart bleiben, in SZ 11.9.2013 []
  6. Mehr Schutz für Pauiil-Heyse-Villa, in SZ 25.9.2013 []
  7. 6500 Unterschriften für Paul-Heyse-Villa, in SZ 11.10.2013 []
  8. Dürr, Alfred, Gedankenaustausch, in SZ 19.9.2013 []
  9. Mühleisen, Stefan, Kampf um die Paul-Heyse-Villa geht weiztzer, in SZ 11.2.2015 []
  10. Gans, Matthias, Zinkann verkauft Heyse-Villa, in nw.de 15.8.2015) Maltzan betonte, er wolle zügig zu einer Lösung kommen: Das war im August 2015! ((Miele-Chef Zinkann hat Paul-Heyse-Villa verkauft, in SZ 18.8.2015 []
  11. Winkler-Schlang, Renate, Im Hinterhof der Heyse-Villa, in SZ 11.8.2016 []
  12. Paul-Heyse-Villa soll erhalten bleiben, in SZ 1.12.2016; Auf gutem Weg, in SZ 1.12.2016; Gerdom, Ilona, Anbau für die Heyse-Villa, in SZ 15.3.2022 []
  13. Mühleisen, Stefan, Mauer des Widerstandes, in SZ 13.12.2016 []
  14. Raff, Julian, Charakter-Frage, in SZ 16.12.2016 []
  15. Kompromiss für die Paul-Heyse-Villa, in SZ 24.1.2017 []
  16. Dürr, Alfred, Der Streit ist zu Ende, in SZ 24.1.2017 []
  17. Mühleisen, Stefan, Gegen den Rest der Stadt, in SZ 9.2.2017 []
  18. Mühleisen, Stefan, Umbau und Anbau, in SZ 300.5.2018 []
  19. Schuri, Claudia, Das Haus der Dichter: Paul-Heyse-Villa war Künstler-Treffpunkt – Unmut bei Anwohnern über Bauvorhaben, in tz.de 1.7.2021 []
  20. Steinbacher, Ulrike, Ein Denkmal verschwindet, in SZ 27.10.2022 []
Objekt-Nr. 12430

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Synonym verwendet:
Paul-Heyse-Villa
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