Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Uhrmacherhäusl

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 7.8.2022

In Obergiesing in der Oberen Grasstraße 1 stand das Uhrmacherhäusl, ein Handwerkshaus aus dem Jahr 1840, unter Denkmalschutz. „Ehem. Handwerkerhaus, zweigeschossiges Vorstadthaus, zusammengesetzte Baugruppe bestehend aus einem erdgeschossigen, verputzten Massivbau mit Satteldach im Norden und einem zweigeschossigen, verputzten Massivbau mit Satteldach und großer Schleppgaube, im Kern um 1840/45, nach Kriegszerstörung 1944 wiederaufgebaut. Im September 2017 illegal abgerissen.“1

Uhrmacher verstirbt. Ende 2015 ist der Uhrmacher Josef Böhm, wohnhaft im Uhrmacherhäusl, gestorben. Es gibt noch drei weitere Mietverhältnisse. Am 13.5.2016 kaufte Andreas S., der Geschäftsführer der RRS Rohreinigungs-Service GmbH in Baierbrunn, das Haus. Laut „Giesinger“ 01/2020 ließ S. das Haus entmieten: Dachziegel wurden aus der Deckung gelöst, Wasserleitungen gekappt, der Strom zeitweise abgeschaltet, die Heizung ebenso, Flur- und Treppenhausböden entfernt.2

„Am 1. September 2017 wurde das Gebäude durch die Firma CSH Baubetreuung GmbH illegal abgerissen. Am Tag zuvor hatte der Abriss durch die von Anwohnern informierte Polizei noch verhindert werden können.“ (Wikipedia: Obere Grasstraße 1)

Geplanter Abriss. Am 2.8.2017 hat der Eigentümer des Uhrmacherhäusls mit einem Schreiben die Nachbarn informiert, dass das Gebäude demnächst saniert werde, aber aus Denkmalschutz-Gründen nach außen erhalten bleibe. Am 31.8.2017 kam die CSH Baubetreuung GmbH mit einem Bagger, ließ von ihren Arbeitern das Dach abdecken und ein Loch in die Fassade brechen. Nachbarn kamen sofort, einer rief die Polizei, die den Abriss zunächst beendete und die Baustelle absperrte. Am Freitag den 1.9.2017 kamen die Arbeiter gegen 16 Uhr zurück und rissen in 20 Minuten das Haus ab. Der Baggerführer lief auf der einen Seite weg, zwei Arbeiter zur anderen Seite. An der Ecke Gietlstraße und an der Ecke Kiesstraße hatten vier Personen „Schmiere“ gestanden und rannten dann ebenfalls weg. Die Polizei konnte mit Feuerwehr und THW nur noch die Ruine sichern.3
Der Freitagnachmittag scheint ein idealer Termin zu sein, da die Amtsstuben dann schon wochenend-leer sind. Vergleiche: Frihindorfstraße 8

Bauherr weiß von nichts. Das Planungsreferat kündigte ein Bußgeld in sechsstelliger Höhe an. OB Dieter Reiter will „mit aller Härte“ die Verantwortlichen bestrafen. Die Polizei hat Anzeige gegen den Geschäftsführer der Baufirma erstattet. Der Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Generalkonservator Mathias Pfeil, nannte das Vorgehen erschreckend und dreist und warnte angesichts der hohen Münchner Bodenpreise vor einem Präzedenzfall. Die Vorsitzende des BA Obergiesing – Fasangarten, Carmen Dullinger-Oßwald (Grüne), äußerte, ein solches Vorgehen dürfte nicht auch noch mit einem höheren Baurecht belohnt werden: Damit meinte sie § 34 des Baugesetzbuches, wonach ein Neubau bis zur Höhe der seitlichen Gebäude reichen darf.4
In einem Kommentar schrieb Hubert Grundner in der SZ: „Im Grunde handelt es sich dabei um eine Kampfansage an die Gesellschaft.“5.

Wiederaufbau gefordert. OB Dieter Reiter forderte am 11.10.2017 die vollständige Wiederherstellung des Uhrmacherhäusl, den die Stadt „mit allen rechtlichen Mitteln“ durchsetzen will.6

Schuttanalyse. LBK-Leiter Cornelius Mager gab bekannt, dass das Uhrmacherhäusl nicht mehr aus dem Bauschutt zu rekonstruieren sei. Auch der Dachstuhl wurde so zerstört, dass er nicht mehr wiederverwendet werden kann. Die Stadt werde aber keinen Neubau mit mehreren Geschossen akzeptieren, sondern nur einen ähnlich großen wie das Original. Die Staatsanwaltschaft München ermittelte weiter wegen Sachbeschädigung.7

Klage des Abriss-Hausbesitzers erfolgreich. Das Verwaltungsgericht München hat der Klage von Andreas S. gegen die LH München stattgegeben. Diese wollte S. verpflichten, das Uhrmacherhäusl in seiner denkmalgeschützten Originalform wieder aufzubauen. S. behauptete, der Bauunternehmer hätte eigenmächtig und ohne sein Wissen das Haus abgerissen. Die Stadt hatte die Anordnung aber nur an ihn gerichtet: Das war rechtswidrig, wie das Gericht urteilte, denn die Stadt habe nicht von vornherein die Verantwortlichkeit des Bauunternehmers geklärt, sondern diese bei der Verhandlung klären wollen. Die LBK hätte den Bauunternehmer verantwortlich machen müssen, da dieser eine Betriebshaftpflichtversicherung und sogar noch eine spezielle Versicherung für den Baggereinsatz hatte. Die Baufirma ist inzwischen liquidiert.8

Städtische Gewofag fördert Abriss-Planer des Uhrmacherhäusls. Ein Baggerfahrer hatte am 31.8. und 1.9.2017 das etwa 1840 errichtete Handwerkerhaus in der Oberen Grasstraße 1 abgerissen. Dessen Eigentümer ist Andreas S., der auch Eigentümer und Geschäftsführer der Rohrreinigungs-Service RRS GmbH in Baierbrunn ist. S. hatte vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich gegen den von der Stadt geforderten Wiederaufbau des Uhrmacherhäusls geklagt und äußerte sich zuversichtlich, den Baugrund größer ausnutzen zu können.
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag teilte in einem Schreiben vom 18.11.2019 mit, dass sie mit der Fa. RRS GmbH eine „Rahmenvereinbarung Rohrreinigung und Störungsbeseitigungen an Abwasser- und Entwässerungsleitungen“ abschließen will. Dieser Vertrag kam am 29.11.2019 zustande. OB Dieter Reiter (SPD) erfuhr davon erst am 24.1.2020 und veranlasste, dass die Gewofag diesen Vertrag mit einer außerordentlichen Kündigung beendete. Die Gewofag verwaltet geschätzte 35.000 Wohnungen und hatte die Aufträge für ihre fünf Mieterzentren auf fünf Lose verteilt. Statt vier bzw. fünf Kanalreinigungsfirmen sollte nun die RRS alleiniger Auftragnehmer werden. Andreas S. äußerte zur Gewofag: „Zu der verfüge er über beste Kontakte.“9 – Die Gewofag äußerte zur neuerlichen Auftragsvergabe: „Zum Zeitpunkt der Bezuschlagung war der Gewofag nicht bekannt, dass der geschäftsführende Gesellschafter dieser Firma gleichzeitig der Eigentümer des Uhrmacherhäusls ist.“10
Der Gewofag-Geschäftsführer Klaus-Michael Dengler warf der RRS Täuschung vor. Sie bestehe in der „fehlenden Zuverlässigkeit von RRS in baurechtlichen Fragen“; diese sei wegen des Abrisses des Uhrmacherhäusls „definitiv unstrittig“.11 Andreas S. könnte sich vor Gericht gegen die Kündigung wehren. Stadtbaurätin Elisabeth Merk erklärte aufgrund einer Anfrage der CSU-Stadträte Sabine Bär und Manuel Pretzl, die Gewofag habe den Vertrag „außerordentlich und, hilfsweise, ordentlich gekündigt“.10 Die Firma RSS habe „wesentliche Angaben, insbesondere zur baurechtlichen Zuverlässigkeit des geschäftsführenden Gesellschafters, nicht gemacht“.10 Andreas S. könnte sich vor Gericht gegen die Kündigung wehren.

Abriss-Unternehmer will Mehrfamilienhaus. Andreas S. reichte im August 2020 beim Planungsreferat einen Antrag auf Vorbescheid für ein zweistöckiges Mehrfamilienhaus an der Stelle des Uhrmacherhäusls ein. Der BA Obergiesing-Fasangarten will darauf dringen, dass nur das ursprüngliche Baurecht genehmigt wird.12

Dritter Jahrestag Abriss. Das war am 1.7.2020. Deshalb veranstaltete die BI „Heimat Giesing“ eine Protestaktion: mit Abrissgeräuschen, Informationen, u. a. zum neuen Antrag auf Vorbescheid durch Andreas S. Der frühere Stadtrat Johann Sauerer (ÖDP) skizzierte mögliche Schritte der Stadt. Dazu wurde das Theaterstück „Der Rattenkönig“ aufgeführt.13 OB Dieter Reiter (SPD) möchte auf alle Fälle den Wiederaufbau des Uhrmacherhäusls, so erklärte es die Rathauspressestelle.14

Bebauungsplanverfahren beschlossen. Für die sogenannte Feldmüllersiedlung hat der Planungsausschuss ein Bebauungsplanverfahren beschlossen. Die Siedlung ist denkmalgeschützt und liegt zwischen Aigner- und Gietlstraße, der Tegernseer Landstraße/Untere Grasstraße, Kies- und Ichostraße. Der Eigentümer (und letztlich Verantwortliche für den Abriss), S., hatte eine bereits Voranfrage für ein Mehrfamilienhaus mit zwei Geschossen plus ausgebautem Dachgeschoss eingereicht: Das dürfte damit hinfällig sein. (Allerdings kann gegen den Bebauungsplan rechtlich vorgegangen werden.) Die Fraktion ÖDP/FW und München-Liste hatte im August 2020 vorgeschlagen, mit einem Bebauungsplan zu verhindern, dass „der kriminelle Akt des Abrisses noch mit einer Mehrung des Baurechts belohnt wird“.15

In dem Stadtteilmagazin „Giesinger“ 01/2020 ist unter Tatort Giesing eine Chronologie der Ereignisse aufgeführt: https://stadtsanierung-giesing.de/giesinger-01-2020/tatort-giesing.html

Wieder Mahnwache. Die BI Heimat Giesing erinnerte am 12.3.2021 an den illegalen Abriss des Uhrmacherhäusls mit einer Mahnwache und informierte über den aktuellen Stad. Ein Vertreter der „Aktionsgemeinschaft Unser Ensemble“ berichtete über den denkmalgeschützten Loehleplatz.1617

Zweite Instanz. In Kurzform: Im September 2017 wurde das Uhrmacherhäusl abgerissen. Im April 2018 hatte die Stadt den „InvestorAndreas S. mit eine Bescheid zum Wiederaufbau des Uhrmacherhäusls verpflichtet. Dieser klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht, das im Juli 2019 den städtischen Bescheid aufhob: Die LBK hatte den Eigentümer, aber nicht den Bauunternehmer verklagt, der abgerissen hatte. Am 28.5.2021 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Stadt gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen und dessen Urteil aufgehoben.18

Neue Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Der Vorsitzende Richter am 2. Senat des VGH, Joachim Dösing, diskutierte bei der Verhandlung am 22.7.2021 mit dem Anwalt des Beklagten, Herbert Kaltenegger und dem Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege, Burkhard Körner, ob ein aufgebautes Häusl nur eine Kopie des Originals wäre. Für Kaltenegger war das leere Grundstück nicht mehr Teil des Ensembles. Die Anwälte der Stadt verwiesen darauf, dass das Grundstück nur leer sei, weil ein rechtswidriger Abriss durchgeführt worden war. Für Kaltenegger stand die neue Kopie selbst nicht mehr unter Denkmalschutz. Körner belegte die Notwendigkeit des originalen Wiederaufbaus aus dem Jahr 1840 im Ensemble Feldmüllersiedlung mit dem zuerst einstöckigen Bau, der dann auf einer Seite zweistöckig ausgebaut wurde: Deshalb sei die Wiederherstellung der äußeren Kubatur wichtig. Die zweite Frage des Richters betraf die Suche nach dem Verantwortlichen für den Abriss: den Hauseigentümer oder den griechischen Bauunternehmer, der eidesstattlich versichert hat, dass sein Unternehmen insolvent und er selbst psychische Probleme gehabt habe. Das Urteil wird am 30.7.2021 verkündet.19

Wiederaufbau. Der Bayerische VGH hat am 30.7.2021 ein Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben, das den Bescheid der Stadt an den Eigentümer für rechtswidrig erklärt hatte. Der Eigentümer wird verpflichtet, das Uhrmacherhäusl in der originalen äußeren Gestalt wieder aufzubauen – allerdings nicht mit den noch vorhandenen Baumaterialien. Der VGH hat eine Revision nicht zugelassen: Der Eigentümer müsste nun eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einreichen. OB Dieter Reiter freute sich, dass er sein Versprechen des Wiederaufbaus halten konnte. Das Landesamt für Denkmalpflege nannte das Urteil einen „Sieg für den Denkmalschutz“. Sein Generalkonservator Mathias Pfeil sah in dem Urteil eine Stärkung für den Denkmalschutz: „Das Gericht hat nun eindeutig klargestellt: Denkmäler zu zerstören lohnt sich nicht.“20

Prozess vor dem Amtsgericht. Am 28.4.2021 hatte die Staatsanwaltschaft München I einen Strafbefehl gegen Andreas S. beantragt, der am 25.5.2021 vom Amtsgericht bewilligt und erlassen wurde. Die Klagepunkte bezogen sich auf „Nötigung“ der vormaligen Bewohner, auf „kaltes Entmieten“ und „gemeinschädliche Sachbeschädigung“. Andreas S. hat am 18.6.2021 gegen diesen Strafbefehl Einspruch erhoben.21

Zwei Zeugen. Die SZ hat zwei Zeugen erwähnt, welche den Abriss genau beobachtet hatten. Am 31.87.2017 wurde der Baggerfahrer gerade noch von Nachbarn an der Zerstörung des Uhrmacherhäusls gehindert. Am 1.9.2017 wurde der Abbruch dann wiederum mit einem Bagger vollzogen. Der griechische Bauunternehmer hatte behauptet, den Abbruch-Ort mit einem Abriss-Auftrag in Baden-Württemberg verwechselt zu haben. Er habe eine familiäre Krise gehabt und in einer Kurzschlusshandlung „die Kontrolle verloren, sich in den Bagger gesetzt und das Haus eigenmächtig abgerissen“. Die beiden Zeugen berichteten aber, dass der Baustellenleiter ihnen nach dem Abriss erzählt hat, dass das verantwortliche Bauunternehmen nur das ausführende Organ war. Der Abbruch wurde exakt geplant und von Mitarbeitern von Andreas S. vorbereitet: Ziegelwände wurden geflext, Dachbalken angesägt und teures Werkzeug im Haus deponiert, um den Verdacht eines bewussten Abbruchs zu vertuschen. Die Vertreter der LBK und der Unteren Denkmalschutzbehörde hatten diese Vorarbeiten des Zerstörungswerkes zur Gaudi des Baustellenleiters und seiner Mitarbeiter nicht bemerkt.21

Mahnwache seit vier Jahren. Seit dem Abriss 2017 hält die Initiative Heimat Giesing eine monatliche Mahnwache. Die mittlerweile 50. fand am 10.9.2021 statt. Es wurden das „Denkmal für den Denkmalschutz“ enthüllt und Plakate mit Fotos und 14 ausgewählte Objekten gezeigt.22

„Aktionsgruppe Untergiesing“ kreiert Schutzpatronin. Am 8.10.2021 versammelten sich zu der vom Bündnis HeimatGiesing organisierten monatlichen Mahnwache etwa 200 Teilnehmer am Uhrmacherhäusl: Die Aktionsgruppe Untergiesing stellte die Schutzpatronin der Münchner Mieter, „Resi Stenzia“ zusammen mit den Initiativen #ausspekuliert, der HeimatGiesing und der Kampagne Mietenstopp vor.23 Zwei Stunden war der Zug im Viertel unterwegs, der im Atelier an der Eduard-Schmid-Straße 2 endete. Hier wird demnächst eine Kunstausstellung zu Mieten, Verdrängung, Protest und Stadtentwicklung gezeigt.2425

Wiederaufbau. Bei der LBK liegt Bauantrag für die Obere Grasstraße 1 vor: Der Nachbau des Uhrmacherhäusls sieht zwei Wohnungen mit 65 und 93 qm vor, dazu einen Keller. 54 Mahnwachen der BI Heimat Giesing hat es seit dem illegalen Abriss gegeben. Der für den Abriss verantwortliche Andreas S. beantwortete eine Anfrage der SZ dazu nicht. Heimat Giesing bereitet derweilen die 55. Mahnwache vor.26

Prozessbeginn. Ab 2.5.2022 soll der Prozess wegen des Abrisses des Uhrmacherhäusls vor dem Amtsgericht München beginnen. Es liegen inzwischen einige neue Erkenntnisse vor. Das Uhrmacherhäusl gehörte zur „Feldmüllersiedlung: Therese Feldmüller hatte Grund und Boden von einem Erbe gekauft, das Areal parzellieren lassen und an Tagelöhner und Feldarbeiter weiterverkauft.  Eine Erbengemeinschaft verkaufte das bewohnte Anwesen im Sommer 2016 an Andreas S. Zwei Mieter zogen nach einer Geldzuwendung aus. Familie R., die im bitterkalten Januar 2017 trotz ausgehängter Haustüre ohne Wasser und Strom in ihrer Wohnung verblieb, zog im Februar 2017 aus. Dann beantragte Andreas S. eine Sanierungserlaubnis, die er von der Stadt im Sommer 2017 erhielt. Die Balken wurden angesägt, die Wände angeflext, berichtete die BI Heimat Giesing. Am 30.8.2017 startete der erste Abrissversuch mit einem Bagger, der von aufmerksamen Nachbarn verhindert werden konnte. Am 1.9.2017 war das Uhrmacherhäusl Geschichte. Kurz nach dem Abriss wurden gemäß dem Denkmalschutzgesetz Bußgelder im Fall der Zerstörung von Baudenkmälern in Höhe bis zu 250.000 Euro genannt. Andreas S. bekam einen Strafbefehl über 90.000 Euro wegen Nötigung und gemeinschädlicher Sachbeschädigung. Sein Einspruch wird nun verhandelt. Angeklagt sind S. und der Besitzer der Baggerfirma, Cüneyt C., der ebenfalls einen Strafbefehl wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung über 3600 Euro erhalten hatte. S. behauptete, nichts von Abrissplänen zu wissen: Er habe C. mit der Sanierungsarbeiten beauftragt. Dieser behauptet angeblich, seine Frau habe zwei Baustellen verwechselt. Sein erster Baggerfahrer sei am 31.8.2017 mit einem Abrissauftrag zum Uhrmacherhäusl gefahren. C. habe am 1.9.2017 aus Wut und wegen Eheproblemen das Uhrmacherhäusl zerstört. Nach zehn Minuten war das Zerstörungswerk vollendet: Vorhanden waren nur noch der Keller, ein paar Balken und etwa 200 originale Ziegel.
Die Untere Denkmalschutzbehörde hatte inzwischen angeordnet, dass das Grundstück nicht mehrstöckig bebaut werden darf, sondern das originale Gebäude in der früheren Kubatur in zwei Jahren wiederaufzubauen sei. S. klagte dagegen und bekam wegen eines Formfehlers der Stadt zunächst Recht, bis der Bayerische VerwG dieses Urteil im Juli 2021 aufhob. S. reichte im Dezember 2021 einen neuen Bauplan ein: Nun sollten zwei Wohnungen mit 65 und 93 qm entstehen.27

Neuer Zeuge. Sebastian O. ist ein früherer Angestellter von Andreas S und hat nach dem Abriss des Uhrmacherhäusls gekündigt. Angelika Luible von der BI HeimatGiesing hatte O. gesucht und gefunden und überzeugt, vor dem Amtsgericht auszusagen. Er tat dies am 9.5.2022 und berichtete, das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl wurde von Andreas S. für 650.000 Euro gekauft. Der Abriss wurde schon beim Hauskauf geplant, da S. dort mehrstöckig bauen wollte. Er hatte sich bei einem Rechtsanwalt erkundigt: Ein Abriss zöge nur eine Geldstrafe nach sich. In einem anderen Fall waren dies 150.000 Euro. Zwei Mieter wurden rausgekauft, der dritte Mieter wollte mit seinen Eltern wohnen bleiben. Dann wurde die Haustüre ausgehängt, damit die Kaltwasserleitung im Treppenhaus einfriert. Dort bildeten sich Eiszapfen. Danach habe man den Strom abgeschaltet mit der Begründung, einen Kurzschluss zu vermeiden. Hauseigentümer S. äußerte, es solle kalt im Haus werden und durchziehen. Dazu wurden Leitungen mit Fäkalien verstopft. Dann zog auch der letzte Mieter gegen eine Geldzahlung aus. S. berichtete, dass der Sanierungsantrag bei der Stadt nur gestellt wurde, „damit man an dem Haus arbeiten konnte, ohne dass jemand Verdacht schöpft“. Im Haus wurde Werkzeug deponiert, das dort nach dem Abriss vorgefunden werde sollte. Wände und Dachstuhl wurden eingeschnitten, um ein rasches Zusammenfallen zu erreichen.28

Dritter Verhandlungstag: Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. So ließen sich die Aussagen der Bauarbeiter am dritten Verhandlungstag werten, wobei der Amtsrichter einige Male auf die drohenden Freiheitsstrafen im Fall von Falschaussagen hinwies. Rohrleitungsbauer Norbert R. erklärte dem Gericht, wenig Zeit zu haben. R. hatte im Polizeiprotokoll angegeben, dass ein Türe den Auftrag zum Abriss von S. bekommen habe. Dies bestritt er zunächst, und die Unterschrift unter dem Polizeiprotokoll sei nicht von ihm. Schließlich gab er die damalige Aussage zu. Bei einer Entmietungsaktion von Andreas S. in der Fraunhoferstraße hatte R. ausgesagt, dass er einen angebliche defekten Wasserfilter ausbauen sollte, um die Wasserversorgung zu unterbrechen: Auch dies bestritt R., der der Polizei mitgeteilt hatte, der Filter sei neu gewesen. Das Resumée von R. zu Andreas S.: „Wenn’s um Geld geht, kennt der S. nix.“ Abwassertechniker Thomas K. ist seit 2008 bei Andreas S. beschäftigt und litt vor Gericht ebenfalls unter Gedächtnisschwund. K. hatte Schulden bei seinem Chef. Der Bauunternehmer Cüneyt C,, der am 1.9.2017 das Uhrmacherhäusl mit seinem Bagger zerstört hatte, berief sich auf einen psychischen Ausnahmezustand sowie eine Verwechslung von zwei Baustellen: in Neuenstadt und in der Oberen Grasstraße 1 in Giesing. Zeuge Samy H. berichtete, dass C. in den Bagger gestiegen sei und das Haus zerstört habe. Dann sei C. ausgestiegen und weggegangen. Die Anwälte von Andreas S. unterstellten, dass ein Verfahren gegen den Belastungszeugen Sebastian O. wegen Beihilfe eingestellt worden sei, damit O. als Zeuge zur Verfügung stehe.29

Vierter Verhandlungstag: Frühere Partnerin von Cüneyt C. sagte aus. Aida B. schloss eine Verwechslung der beiden Baustellen aus, da die Baustelle in Neuenburg längst verlassen war. Sie hatte 150.000 Euro für dortige vereinbarte Arbeiten für einen Hausabriss mit Neubau eingebracht: Das Geld verschwand. Die beiden Baustellen passten zeitlich überhaupt nicht zusammen. C. hatte ihr gegenüber schon einmal ein Vergehen gegen den Denkmalschutz eingeräumt: In ein denkmalgeschätztes Gebäude wurde ein Fenster durch eine Terrassentür ersetzt, dies dann von C. als Versehen deklariert.
Eine Architektin der Unteren Denkmalschutzbehörde hatte sich bei einem Ortstermin am Uhrmacherhäusl gewundert, dass der Bauunternehmer C. kaum geredet habe und keine Baumaterialien dort gelagert wurden; die Baustelle war auch nicht gegen Regen gesichert. Das Gericht verlas dann die Aussage eines verstorbenen Angestellten von Andreas S.: Dieser sei froh gewesen, nicht in der Fraunhoferstraße mit den Entmietungen zu tun gehabt zu haben und auch beim Uhrmacherhäusl keine Auftrage gehabt zu haben. Andreas S. habe den Profit über alles gestellt: „Das Wichtigste für Andreas S. war das Geld.“30

Eigentümer und Abreisser. Der Rechtsanwalt von Andreas S., Maximilian Müller, verlas am 27.7.2022 dessen Erklärung. S. bestritt alle Vorwürfe. Er hätte das Uhrmacherhäusl als Einfamilienhaus umbauen wollen, um selbst dort zu wohnen. Es habe keinen Plan für einen Abriss gegeben, der ihn dann selbst „geschockt“ habe. Nun wolle er das Haus in der originalen Kubatur wieder aufbauen lassen. Die drei Mieter habe er nicht hinausgeekelt, sondern den Eindruck gehabt, sie wollten ausziehen. Zwei hätten eine Abfindung angenommen, der dritte, Thomas R. (Name geändert), hätte diese verweigert. Strom und Wasser habe ihm Andreas S. aus „Sicherheitsgründen“ abgedreht. Andreas S. leide sehr unter dem öffentlichen Umgang mit ihm und hoffe auf „Aufklärung“ durch das Gericht. Fragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft ließ S. nicht zu.
Auch Thomas R. sagte am 27.7.2022 aus. Mit Geld habe Andreas S. ihn zum Auszug bestechen wollen. Als er dieses Geld nicht angenommen habe, wurde von S. Druck aufgebaut. Die Raumtemperaturen begannen Ende 2016 zu sinken, eine Türe in der Rückwand wurde ausgehängt, wodurch es im Haus noch kälter wurde. Wasser im Stromverteiler habe zu Stromstörungen bis zum Stromausfall geführt. Durch das defekte Dach habe es geschneit. Durch die „Demontagearbeiten“ von Andreas S. sei er schließlich mit seiner Familie am 6.2.2017 ausgezogen und zunächst mit einem Zuschuss vom Wohnungsamt in einem Hotel gewohnt, bis er nach 18 Monaten eine Wohnung fand.31

Der Verkäufer. Am 18.7.2022 wiederholten die Verteidiger von Andreas S., dass ihr Mandant freigesprochen gehöre. Die Staatsanwaltschaft hält dagegen, dass S. die letzten drei Mieter kalt entmietet und den Bauunternehmer Cüneyt C. mit dem Abriss beauftragt habe. Ihre Anklage lautet auf Nötigung in Tatmehrheit mit gemeinschaftlicher Sachbeschädigung. Der Vorbesitzer berichtete, dass er die feuchte und marode „Bruchbude“ rasch verkaufen wollte. Er konnte sich an einen Verkaufspreis von 460.000 Euro erinnern: Tatsächlich waren es 650.000 Euro.32

Das Urteil. Am 29.7.2022 wurde das Urteil verkündet. Die Beklagten Andreas S. und Bauunternehmer Cüneyt C. wurden schuldig gesprochen, gemeinsam den illegalen Abriss des Uhrmacherhäusls geplant zu haben. Andrea S. wurde zu einer Geldstrafe von 132.500 Euro und Cüneyt C. zu 4400 Euro verurteilt. Richter Martin Schellhase ging von einer „Kaltentmietung“ im Vorfeld aus: Fotos lassen erkennen, dass das Haus im Winter eine „Eistruhe“ geworden war und die Mieter dadurch gefährdet wurden. Der Richter schloss in seinem Urteil auch ein Versehen durch verwechselte Baustellen aus, wie von den Angeklagten behauptet wurde. Die Stadt München hat den Wiederaufbau des Uhrmacherhäusls angeordnet: Das wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Sommer 2021 bestätigt. Der Bayerische Landtag hat durch den Fall Uhrmacherhäusl die Strafen für Verstöße gegen das Denkmalschutzgesetz drastisch erhöht: Bisher waren 250.000 Euro die Höchstgrenze, jetzt liegt diese bei fünf Millionen Euro. Die Rechtsanwälte von Andreas S. sehen ihren Mandanten durch die „öffentliche Hetze“ vorverurteilt und kündigten Rechtsmittel gegen das Urteil an.33

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkm%C3%A4ler_in_Obergiesing#D-1-62-000-4866 []
  2. https://stadtsanierung-giesing.de/giesinger-01-2020/tatort-giesing.html []
  3. Grundner, Hubert, Baufirma zerstört ein Stück vom alten Giesing, in sueddeutsche.de 3.9.2017 []
  4. Dürr, Alfred, Grundner, Hubert, Killing Giesing, in SZ 5.9.2017 []
  5. Grundner, Hubert, Empörung alleine reicht nicht in SZ 5.9.2017 []
  6. Grundner, Hubert, Das Uhrmacherhäusl soll wiederauferstehen, in SZ 12.10.2017 []
  7. Dürr, Alfred, Ein neues Haus ohne die alten Steine, in SZ 2.3.2018 []
  8. Handel, Stefan, Stadt unterliegt im Prozess um das Uhrmacherhäusl, in SZ 17.7.2019 []
  9. Grundner, Hubert, Ein Geschäft, das nicht nur den OB erzürnt, in SZ 28.1.2020 []
  10. Grundner, Hubert, Nichts gehört und nichts gesehen, in SZ 16.4.2020 [] [] []
  11. Häusl kaputt, Vertrauen zerstört, in SZ 29.1.2020 []
  12. Scharfe Kritik an Plänen fürs Uhrmacherhäusl, in SZ 13.8.2020 []
  13. Grundner, Hubert, Die Erinnerung lebt, in SZ 31.8.2020 []
  14. Uhrmacherhäusl: Reiter verspricht Wiederaufbau, in SZ 1.9.2020 []
  15. Krass, Sebastian, Stadt bremst Neubaupläne für das Uhrmacherhäusl aus, in SZ 29.10.2020 []
  16. https://www.unser-ensemble.de/2021/03/12/vorstellung-unseres-anliegens-bei-heimat-giesing/ []
  17. Erinnerung an das Uhrmacherhäusl, in SZ 12.3.2021 []
  18. Neuer Prozess ums Uhrmacherhäusl, in SZ 29.5.2021 []
  19. Handel, Stefan, Eine Lücke und viele offene Fragen, in SZ 23.7.2021 []
  20. Handel, Stefan, Sieg über die Abrissbirne, in SZ 31.7.2021 []
  21. Grundner, Hubert, Strafbefehl gegen Häusl-Eigentümer, in SZ 27.8.2021 [] []
  22. Eine Enthüllung zum Jubiläum, in SZ 8.9.2021 []
  23. PM, Mahnwache HeimatGiesing, München 2.10.2021 []
  24. https://www.kalinka-m.org/events/aktionsgruppe-untergiesing-praesentiert-resi-stenzia-schutzpatronin-der-muenchener-mietbevoelkerung/ []
  25. Gerdom, Ilona, „Resi, steh uns bei“, in SZ 11.10.2021 []
  26. Gerdom, Ilona, In alter Schönheit, in SZ 7.3.2022 []
  27. Wimmer, Susi, Eiskalt entmietet und zerstört, in SZ 19.4.2022 []
  28. Wimmer, Susi, „Er wollte das Maximale rausholen“, in SZ 10.5.2022 []
  29. Wimmer, Susi, Nichts gesehen, nichts gehört, in SZ 18.5.2022 []
  30. Wimmer, Susi, Ein zweifelhaftes Versehen, in SZ 31.5.2022 []
  31. Salch, Andreas, Abrisspläne abgestritten, in SZ 28.6.2022 []
  32. Salch, Andreas, „Bruchbude“ für 650.000 Euro, in SZ 19.7.2022 []
  33. Kramer, Lea, Ein Urteil mit Wucht, in SZ 30.7.2022 []
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