Aktualisiert: 1.7.2023
Verunsicherung in Moosach – Untermenzing. Die Baugenossenschaft Hartmannshofen wurde 1919 als „Kleinhausbau- und Siedlungs-Genossenschaft der Unteroffiziere des Beurlaubtenstandes“ gegründet und errichtete erste Einfamilienhäuser in Hartmannshofen. 2021 plante sie den Abriss der vier dreigeschossigen Wohngebäude Bautzener Straße 6a, 12a, 18a und 26 mit 36 Wohnungen und Neubauten mit sieben Geschossen und etwa 76 Wohnungen. Die Bewohner der abzureißenden Gebäude erfuhren nur durch Zufall von den Plänen ihrer Baugenossenschaft, als dies auf der Tagesordnung des BA 10 Moosach stand. Sie möchten, dass die Bauten erhalten und saniert werden und verglichen das Verhalten der Baugenossenschaft mit „gierigen Investoren“, die auch jahrelang nicht mehr investiert hätten. Der Geschäftsführende Vorstand der Baugenossenschaft Hartmannshofen, Klaus Berghofer, beschrieb seine Motivation zu Abriss und Neubau, dass München mehr Wohnraum brauche – „auch gegen die Interessen einzelner Betroffener“.1
April 2021: Leerstand in Freistaat-Immobilien. MdL Florian von Brunn, der Fraktionschef der SPD, hatte eine Anfrage an das Bauministerium bezüglich des Leerstandes in Häusern des Freistaates gerichtet. In München stehen etwa zwei Dutzend Anwesen zum Teil schon seit einigen Jahren leer, vorwiegend in der Siedlung Hartmannshofen. Der Landtag hatte 2016 beschlossen, diese angeblich sanierungsbedürftigen Anwesen im Bieterverfahren zu verkaufen: Der Verkauf an private Investoren bedeutet aber höchstwahrscheinlich Abriss und Bau von Luxuswohnungen.2
Mai 2022: Staatlicher Leerstand ist stattlich. Der Fraktionschef der SPD im Bayerischen Landtag, Florian von Brunn, hatte bereits 2021 eine Leerstandsliste im bayerischen Bauministerium erstellen lassen: Sie war lang. Die auf seine erneute Initiative erstellte Liste 2022 zeigte kaum Verbesserungen, sodass von Brunn die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern kritisierte, die in der Wohnungspolitik nichts hinbekomme. 42 Grundstücke oder Immobilien im Eigentum des Freistaats in München stehen leer, davon sind 32 meist langzeitlich ungenutzt. 29 Häuser stehen in Hartmannshofen, wo der Staat vor Jahrzehnten Grundstücke in Erbpacht vergeben hat, die nun wieder an ihn zurückgefallen sind. Hartmannshofen liegt nordwestlich des Nymphenburger Schlossparks. Die leerstehenden Grundstücke haben einen alten Baumbestand und große Flächen: Viele haben zwischen 1000 und 2000 qm Grund, einige mehr als 3000 qm. Dort ist kein Geschosswohnbau möglich. Das Bauministerium hat viele der Häuser als „Abbruchgebäude“ deklariert und will die Grundstücke verwerten. Sie sollen zunächst staatlichen Wohnbaugesellschaften angeboten werden: Falls diese ablehnen, sollen die Areale an Dritte verkauft werden. 17 solcher Anwesen sollen aktuell schon verkauft werden. Bei 13 prüfe man derzeit eine Nutzung für ukrainische Flüchtlinge. Von Brunn befürchtete aktuell, dass durch ein Verkauf der Grundstücke an Private der Staat diese Flächen für immer verliere. Man könne solche Areale auch für soziale Flächen wie die Jugendhilfe nutzen.3
Aus einem Kommentar von Bernd Kastner in der SZ: „Hartmannshofen ist ein weiteres Beispiel für die missratene Wohnungspolitik der CSU-geführten Staatsregierung, die der Not vieler Menschen Hohn spricht. Vor Jahren hatte der damalige Finanzminister Markus Söder die staatliche Wohnbaugesellschaft GBW an Privatinvestoren verkauft, seither steigen die Mieten dort enorm. Und in der Studentenstadt Freimann schaut der Freistaat zu, wie mehr als 1000 günstige Apartments des Studentenwerks über leer stehen. Sie müssten dringend saniert werden.“4
Zweckentfremdungs-Verfahren der Stadt gegen Freistaat. Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) hat ein Zweckentfremdungs-Verfahren gegen den Freistaat wegen 29 leerstehender Wohnhäuser in Hartmannshofen eingeleitet und warf der Staatsregierung Verschleppung vor, da München dies bereits mehrfach gerügt habe. Das Bauministerium hat allerdings schon Pläne für eine Nachverdichtung vorgestellt, die vom Planungsreferat abgelehnt worden waren, da sie den Baumbestand und das Stadtklima schädigen würden: Der Geschosswohnungsbau mit seinen Tiefgaragen wäre „brachial“ gewesen und hätte die Siedlung völlig verändert. Eine Sprecherin von Bauminister Christian Bernreiter (CSU) erklärte, man könne sich nicht zu dem laufenden Verfahren äußern; die Frage nach der Anzahl der geplanten Wohnungen beantwortete sie auch nicht. Falls die Stadt den dortigen Charakter der Gartenstadt erhalten wolle, würde dies den weiteren Wohnungsbau erschweren.5
Könnte es nicht sein, dass das bayerische Bauministerium für die verunglückte Söder-Gründung BayernHeim in Hartmannshofen Ausbaupläne realisieren möchte?
Erlebnisbericht aus der Siedlung. Zwei SZ-Journalisten besuchten die idyllische Siedlung, in der der Freistaat Bayern Häuser verfallen lässt. 350 Grundstücke gehören ihm hier. Die Bewohnerin Eva Koschade-Brönner lebt in ihrem schönen Elternhaus mit großem Garten. Ihr Pachtvertrag läuft bis 2056. Für sie könnte das Veralten des Freistaats auch Spekulation sein, da der Wert der Grundstücke von Jahr zu Jahr steigt. Dagegen vermutet Stephan Kippes vom IVD eher eine Unfähigkeit der staatlichen Immobilienverwaltung. Der Vorsitzende vom Münchner Haus + Grund, Rudolf Stürzer, äußerte: „Was sich der Staat herausnimmt, ist den Bürgern nicht erlaubt. Da wird leider mit zweierlei Maß gemessen.“
Der Fraktionsvorsitzende der Landtags-SPD, Florian von Brunn, hat beim bayeriscchen Bauministerium nachgefragt: Dieses dokumentiert genau den Leerstand, lehnte aber eine Besichtigung durch die SZ-Journalisten ab. Man werde wie gehabt staatliche Grundstücke in Hartmannshofen ausschreiben und verkaufen oder in Erbpacht vergeben. Über Verkäufe und Preise läge aber keine Statistik vor. Laut Ministerium gäbe es den Entwurf für ein Gesamtkonzept des Erbbaurechtsgebiets Hartmannshofen, in dem der Verkauf einzelner Grundstücke oder eine „Entwicklung“ vorgesehen sei (vulgo: Abriss und Neubau mit Geschosswohnungsbau). Dies ist wiederum mit dem Bebauungsplan der Stadt München nicht im Einklang, der die „grüne Lunge“ Hartmannshofen erhalten möchte. Stürzer nennt den amtlichen Bodenrichtwert: Ende 2020 lag dieser bei 2100 Euro, inzwischen eher bei 2500 Euro. Kippes nennt die Summe von etwa 3000 Euro.6
Angebote aus Staatsbesitz: SZ, 16./17.7.2022, S. 43: Hartmannshofen, 80997 München. Der Freistaat bietet per Annonce drei „Grundstück mit Bestandsgebäude“ und „Verkauf gegen Gebot“ an: Lechelstraße 46 (912 qm), Lechelstraße 61 (1.492 qm), Hormayrstraße 12 (1.068 qm). Näheres unter: https://www.immobilien.bayern.de/
August 2022: Hartmannshofen – Freistaat zögert. Drei Objekte hat die staatliche bayerische Immobilienagentur IMBY in Hartmannshofen in den Stadtbezirken Moosach und Untermenzing im Juli 2022 gegen Höchstgebot aktuell ausgeschrieben. Für die Haldenbergstraße 12 (1100 qm Grund, 275 qm Wohnfläche möglich) bot eine Familie 1,2 Millionen Euro. Das reichte nicht. (Derzeit ist der Verkauf gestoppt.) Insgesamt gibt es in Hartmannshofen 350 staatliche Grundstücke und einen Leerstand von derzeit 29 Objekten. 17 Objekte sollen laut Bauminister Christian Bernreiter (CSU) verkauft werden. Der dortige MdL Benjamin Adjei (Grüne) beurteilte den Verkauf zu Höchstpreisen durch die Inby als „die schlechteste aller denkbarer Alternativen“. SPD-Fraktionsvorsitzender MdL Florian von Brunn forderte den Freistaat auf, gar keine Grundstücke mehr zu verkaufen, sondern z. B. diese Flächen der Stadt München für soziale Flächen zur Verfügung zu stellen. Zur Frage, warum der Freistaat die Grundstücke nicht weiter im Erbbaurecht vergibt, äußerte der Sprecher von Bernreiter, mit den Mitteln aus dem Verkauf sollen andere Grundstücke angekauft werden.7
Stadt will selbst bauen. Die Stadtratsfraktion von Grünen/Rosa Liste will frei werdende Flächen vom Freistaat übernehmen, um sozialen Wohnraum zu errichten. Dieser solle die Flächen in Erbpacht übergeben oder zu „sozial verträglichen Konditionen“ an die Stadt verkaufen. Der Grünen-Stadtrat Bernd Schreyer sieht in dem vom Staat geplanten Verkauf gegen Höchstgebot einen Verstoß gegen Artikel 106 der Bayerischen Verfassung, der die Förderung billiger Volkswohnungen vorsieht. SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Müller erwähnte Wohnprojekte für psychisch kranke Menschen, konnte aber keine Bereitschaft des Freistaats erkennen, von dessen Maximalforderungen bzw. Verkauf gegen Höchstgebot abzugehen. MdL Josef Schmid (CSU) und Vize-Vorsitzender des Münchner CSU-Bezirksverbands trat für den Erhalt dieses Gartenstadt-ähnlichen Areals ein und befürwortete, dass die Stadt München größere Nachverdichtungen untersagt habe.8
Die Gartenstadt Hartmannshofen: ein schwieriges Kapitel. Man merkt schon, wie die Stadt München das riesige grüne Areal umgehend verplant, natürlich streng für soziale Zwecke. Dass damit die dortige ökologisch wertvollste Begrünung verlorengeht (siehe die traurige Geschichte des Eggartens!), ist ein inzwischen gewohnter Fakt. Die Bodenrichtpreise erwecken Gelüste zu einer höheren Nachverdichtung: und die kann das Referat für Stadtplanung und Bauordnung genehmigen. Gleichzeitig sind viele der dort errichteten historischen Gebäude sicher auch ein Fall für das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege.
Und vielleicht passiert ja auch Folgendes: Der Freistaat überlässt der LH München Areale. Die Stadt verwirklicht ein soziales Musterprojekt – oder auch zwei. Um dies zu finanzieren muss sie leider große Teile des Hartmannshofener Grundes an die üblichen Verdächtigen Patrizia AG, Büschl Unternehmensgruppe und/oder andere abtreten. Die Folge: Abholzung und Nachverdichtung ohne Ende.
Bernreiter gegen Wohnungsleerstand. Im Dezember 2021 brachte das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr die 28-seitige Broschüre Zweckentfremdung von Wohnraum heraus. Bauminister Christian Bernreiter (CSU) erklärte im Vorwort des im Mai 2022 veröffentlichten Flyers Zweckentfremdung vermeiden: „Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum steigt in den Städten und im ländlichen Raum. (…) Wir müssen neuen Wohnraum schaffen und bestehenden Wohnraum erhalten. Wertvoller Wohnraum darf nicht unbegründet leer stehen oder für touristische oder gewerbliche Zwecke genutzt werden.“ – „ Der Wohnraum steht seit mindestens drei Monaten leer. Das Mietshaus soll abgerissen werden.“
In der SZ wies daraufhin Bernd Kastner erneut auf die 29 leerstehenden Häuser in Hartmannshofen hin, die im Eigentum des bayerischen Staates sind. Das Auslaufen der Erbpachtverträge im Ministerium ist im Voraus längst bekannt, dennoch lässt der Staat dort Häuser leer stehen und verkommen.9
Neue Lösungen für Hartmannshofen gesucht. Freistaat und Stadt München wollen gemeinsam gegen den Leerstand von öffentlichem Wohnraum in der Siedlung Hartmannshofen vorgehen. Eine Möglichkeit sei, in einzelnen Häusern Geflüchtete unterzubringen – als Zwischennutzung, bis neue Baupläne realisiert sind. Es gehe darum, „preiswerten Wohnraum zu errichten und den Erhalt des einzigartigen Siedlungscharakters mit dem prägenden Baumbestand zu gewährleisten“, hieß es im Planungsreferat. Bei der Siedlung handelt es sich um 347 Grundstücke, die größtenteils dem Freistaat gehören und in Erbpacht vergeben sind. 30 sind inzwischen an den Freistaat zurückgefallen. Neubaupläne des Freistaates lehnte die Stadt aufgrund ihrer Planungshoheit ab. Der bayerische Bauminister Christian Bernreiter (CSU) kündigte an, man werde die Grundstücke, für die die Stadt keine Neubebauung ermögliche, auf dem freien Markt verkaufen. Da man im Freistaat Tausende neuer Wohnungen bauen wolle, sei der Neubau kleiner Wohnhäuser ineffizient. Von 17 für den Verkauf vorgesehenen Objekten wurde nur eines an der Hormayrstraße 12 im Januar 2023 verkauft. Zum aktuellen Stand berichtete eine Sprecherin von Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD), die Verfahren ruhten derzeit, weil Freistaat und Planungsreferat „in größeren Zusammenhängen eine größere Neubebauung“ planen. Für eine größere Nachverdichtung bräuchte es aber einen neuen Bebauungsplan.10
Wie man die Planungsbehörde der Stadt München kennt, wird man nach der Ausarbeitung des neuen Bebauungsplans die Siedlung Hartmannhofen nicht mehr wiedererkennen. Die kleinen Häuser und der Baumbestand werden dem Totschlagargument Wohnungsbau geopfert werden – siehe das Beispiel Eggarten, wo eine ökologisch wertvollste Fläche den Investoren zuliebe zu einem neuen Freiham wird.
Neu-Hartmannshofen. Die LH München und der Freistaat haben sich auf ein gemeinsames Konzept für die vorläufige Bebauung geeinigt, wie Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und OB Dieter Reiter (SPD) am 15.6.2023 verkündeten. In Hartmannshofen liegen 346 Grundstücke, die größtenteils dem Freistaat gehören und in Erbpacht vergeben werden. Die staatliche Stadibau plant auf den zehn der derzeit 31 ungenutzten und an den Freistaat zurückgegebenen Grundstücke 60 Wohnungen. Auf weiteren Grundstücken sind noch einmal 60 bis 70 Wohnungen geplant. Bernreiter bezeichnete dies als moderate Nachverdichtung, Reiter sprach von einem Kompromiss. Ursprünglich plante der bayerische Staat bis zu 1200 Wohnungen; hierfür hätte die Stadt aber den Bebauungsplan ändern müssen. Letzterer hätte Doppelhaushälften erlaubt, was Bernreiter als unwirtschaftlich ablehnte. Jetzt erlaubt die Stadt sechs Wohneinheiten auf den bis zu 3000 qm großen Grundstücken. Die maximale Miete der neuen Wohnungen soll bei 13 Euro qm liegen. Erbpachtverträge, die 2030 auslaufen, sollen nur noch bis 2056 verlängert werden, um dann eine Überplanung in größerem Maßstab zu ermöglichen, wie Bernreiter ankündigte. Anfang 2023 hat der Staat ein Grundstück in der Hormayrstraße 12 für 2,2 Millionen Euro verkauft; weitere sieben Grundstücke sollen ebenfalls verkauft werden.11
- Naujokat, Anita, „Wie gierige Investoren“, in SZ 6.10.2021 [↩]
- Kastner, Bernd, Gegen Leerstand und Luxus, in SZ 16.4.2021 [↩]
- Kastner, Bernd, Freistaat lässt Dutzende Häuser in München leer stehen, in SZ 30.5.2022 [↩]
- Kastner, Bernd, Als ob die Not ein Fremdwort wäre, in SZ 30.5.2022 [↩]
- Krass, Sebastian, Stadt wirft Freistaat Zweckentfremdung vor, in SZ 14.6.2022 [↩]
- Kastner, Bernd, Krass, Sebastian, Stadtteil der Absurditäten, in SZ 4.7.2022 [↩]
- Krass, Sebastian, Der Freistaat will Kasse machen, in SZ 2.8.2022. Zu IMBY: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayIMBYG/true [↩]
- Krass, Sebastian, Sozialer Wohnraum statt teurer Villen, in SZ 12.8.2022 [↩]
- Kastner, Bernd, Faltblatt mit Schwachpunkten, in SZ 24.8.2022 [↩]
- Krass, Sebastian, Gemeinsam gegen den Leerstand in SZ 25.5.2023; Hervorhebung WZ [↩]
- Krass, Sebastian, Günstige Wohnungen im Gartenidyll, in SZ 16.6.20023 [↩]