Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Januar 2000: Wieder einmal Abriss eines Denkmals. In der Robert-Koch-Straße 11 stand ein etwa 200 Jahre altes klassizistisches Haus, das auf der Denkmalliste der LH München stand. Die Eigentümerin hatte den Abriss beantragt, der BA Altstadt-Lehel war strikt dagegen und warf der Eigentümerin eine „jahrelange Vernachlässigung“ vor. Das Haus stand seit 1995 leer. Die städtische Abteilung Zweckentfremdung-Wohnraumerhaltung schaltete einen Gutachter ein, der das Haus als unbewohnbar einstufte und die Sanierungskosten mit 80.000 DM bezifferte. Die Eigentümerin hat Kaufangebote abgelehnt und äußerte sich nicht, was auf dem Grundstück nach dem Abriss gebaut werden würde.1

Februar 2000: Parkraumkonzept der Messestadt Riem wird beerdigt. Rückblick: Beim Parkraumkonzept für die Messestadt Riem sah das Planungsreferat weniger Parkplätze als üblich und zunächst gar keine festen Stellplätze für die Wohnungen vor: Dies wurde nach Beschwerden der Bauwirtschaft für die 30 Prozent freifinanzierter Wohnungen rückgängig gemacht. Wegen der ungelösten Parkplatzfrage hat das Planungsreferat keine Baugenehmigungen mehr erteilt.2
Nun beendete der Planungsausschuss mit den Stimmen der SPD und der CSU das Experiment: Der Stellplatzschlüssel liegt wieder bei 1,0 (eine Wohnung, ein fester Stellplatz). Für die Sozialwohnungen wird er von 0,6 auf 0,8 erhöht.3

Februar 2000: Bauzentrum-Gebäude wird abgerissen. Die Fertighaus-Ausstellung ist nach Poing umgezogen; seitdem hatte die Stadt München in dem Gebäude ihre Energieberatung. Mitte 2001 wird das alte Messegelände weitgehend abgerissen, inklusive des ehemaligen Bauzentrum-Gebäudes. Das Terrain wäre sonst nicht verkäuflich gewesen: Damit wäre die Gesamtfinanzierung gefährdet gewesen, so lautete die Begründung.4

März 2000: Raab-Karcher-Hochhaus wird gesprengt. Die Sprengung steht für den Baubeginn der „Parkstadt Schwabing“. Zwölf Eigentümern gehören die 40,5 Hektar an der Domagkstraße im Norden, der A 9 im Osten, der Schenkendorfstraße im Süden und einer aufgelassenen Gütergleistrasse im Westen. 1500 Wohnungen (240 Sozialwohnungen) und etwa 12.500 Arbeitsplätze sollen hier entstehen. Der Chef der Argenta-Gruppe, Helmut Röschinger, hatte 1989 hier 85.000 Quadratmeter gekauft, aber erst im Juli 1999 beschloss der Stadtrat den Bebauungsplan mit Grünordnung. Im Norden sollen produzierendes Gewerbe und Handwerker angesiedelt werden, an der Neusser- und Hittorfstraße baut Argenta Büros und Läden, mittig eine öffentliche Parkanlage, im Westen Bürobauten. Im Innenbereich bauen Baywobau und Terra Danhuber Wohngebäude.5

April 2000: Alter Schäfflerblock, neuer Schäfflerblock. Zwischen der Maffei-, Theatiner-, Schäffler- und Windenmacherstraße lag der alte Schäfflerblock, der der Bayerischen Vereinsbank gehört hat und ihr zufolge nicht zu sanieren gewesen war. Die Vereinsbank investierte etwa 100 Millionen DM in den Schäfflerblock, der im April 2000 fertiggestellt wurde (Architekt: Ivano Gianola). Hier entstanden 12.000 Quadratmeter Nutzfläche, davon 2400 Quadratmeter für 22 Luxuswohnungen. Als „Monument der Wiederaufbauzeit“ blieb vom alten Schäfflerblock nur das Eckerle-Haus stehen.6
Im Norden des Schäfflerblocks lag ein Häuserblock der Hypobank, die 1994 einen Architekturwettbewerb ausschrieb: Ihn gewannen die Basler Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit dem Projekt „Fünf Höfe“. Sie wurden 2004 an die DIFA (heutiger Name: Union Investment Real Estate AG) verkauft.
1998 fusionierte die Vereinsbank mit der Hypobank zur HypoVereinsbank, die 2005 von Unicredit aus Italien übernommen wurde. Die beiden Projekte stellen damit auch eine Historie der Münchner Bankengeschichte dar: und landeten letztlich im Eigentum der italienischen Unicredit.

Mai 2000: Harlachinger kämpfen um den „Rosengarten“. Die BI „Rettet den Rosengarten“ wurde von Mitgliedern des BA Untergiesing-Harlaching gegründet und will die Traditionsgaststätte in der Langobardenstraße 8 erhalten. 1200 Unterschriften wurden dem früheren Eigentümer, der Schörghuber-Gruppe, übergeben. Diese hat das Gebäude an die Firma Pro Real verkauft, die den Abriss und einen Neubau plant. Der Neubau mit acht Wohnungen und zwei Büros ist jedoch nach Baugesetzbuch zu groß.7
Nachtrag vom März 2001: Abriss des Rosengartens. Die Traditionsgaststätte Rosengarten in der Langobardenstraße 8 in Harlaching wird trotz des Widerstands von Harlachinger Politikern und Bürgern abgerissen. Das teilte das Planungsreferat dem BA Untergiesing-Harlaching mit. Gebaut wird ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohneinheiten und einer Tiefgarage. Die Begründung des Planungsreferats ärgerte die BA-Mitglieder. Der Sprecher der SPD-Fraktion, Wilhelm Hanseder: „Das ist Baurecht pur. Ein Paragraph folgt dem anderen …“ Mit dem Baurecht sei der Bürgerwille ausgehebelt worden.8

Mietrechtsreform: Keine Anreize für Investoren. Seit Juli 1999 ist Rudolf Stürzer Geschäftsführer von Haus + Grund. Der Verein hat derzeit 18.800 Mitglieder, die mit rund 400.000 Wohnungen über 75 Prozent des privaten Münchner Wohnungsbestands verkörpern. Bei einem Pressetreffen monierte er fehlende Anreize für Investoren, die Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 75 Prozent, die Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre, die neue Mietrechtsreform mit mehr Mieterrechten. Als Folge gehe der Neubau von Mietwohnungen zurück. 1998 und 1999 seien in Deutschland die Baugenehmigungen um 30 Prozent zurückgegangen. Dies ginge zulasten der Mieter: „Das Angebot kann mit der Nachfrage nicht mehr Schritt halten.“ Für Stürzer hat der Münchner Mietspiegel 1999 genauso wenig Beweiskraft wie der von 1998, dem vor dem Landgericht München I die Beweiskraft bei Mieterhöhungen abgesprochen wurde.9
Vor der Hauptversammlung von Haus + Grund warnte Innenminister Günther Beckstein (CSU) vor der Reform des Mietrechts. Sie stelle eine Gefahr für den Wohnungsbau in Deutschland dar, dem die Bundesregierung dadurch eminent schade. Wenn Vermieter keine Rendite mehr zu erwarten hätten, entfiele auch das Interesse am Vermieten und Investieren. Beckstein trat auch für die bisherige Praxis ein, elf Prozent der Kosten für Modernisierungsmaßnahmen auf Dauer auf die Mieter umzulegen. Bisher können die Mieten in drei Jahren um 30 Prozent erhöht werden: Hier lehnte Beckstein auch eine Absenkung auf 20 Prozent ab.10

Juni 2000: Olympiastadion-Entscheider tagen. Die Architekturbüros Behnisch und Partner und Auer + Weber stellten drei mögliche Umbauvarianten im Alten Rathaus vor. Anwesend waren Ministerpräsident Edmund Stoiber, OB Christan Ude und die Präsidenten des FC Bayern, Franz Beckenbauer und des TSV 1860, Karl-Heinz Wildmoser. Für Ude war entscheidend, dass alle Architekten mit Urheberrechten an den Umbauplänen beteiligt waren und auch der Aufsichtsrat der Olympiapark GmbH für die neuen Pläne war. Damit sei klar, dass nun niemand mehr von einem Stadion an einem anderen Platz reden wird. Die Umbaukosten lägen bei 340 bis 400 Millionen DM, wovon München 140 Millionen DM zugesagt habe.11

September 2000: Bauboom am Wirtschaftsstandort München. Geringe Arbeitslosigkeit, hohe wirtschaftliche Wachstumsraten, günstiges Investitionsklima, das landschaftliche Umfeld und andere Aspekte sorgen für die Sogwirkung des Wirtschaftsraums München. Der Müller-City-Report zählt für das erste Halbjahr in München 145.000 Quadratmeter neu vermietete Büroflächen bei einem Leerstand von 1,1 Prozent. Hinzu kommt die wachsende Anzahl ausländischer Investoren. Die negativen Folgen: Es fehlt Bauland für den privaten Wohnungsbau. Die Wohnungsmieten und die Preise für Eigentumswohnungen liegen weit über dem Bundesdurchschnitt, ebenso wie die Löhne und Gehälter.12

Oktober 2000: Bauboom im Münchner Umland. Investoren waren erfolgreich auf der Suche nach Bauland. Im Umfeld der Messe Riem, im Medien- und High-Tech-Areal Grasbrunn, Unterföhring und Ismaning, sowie dem Flughafengebiet werden Flächen knapp. Die Region um den Münchner Autobahnring A 99 boomt. In Feldkirchen werden am Dornacher Feld 400 Wohnungen und 49 Reihen- und Doppelhäuser für 250 Millionen DM gebaut. In der Gemeinde Kirchheim wurde in Heimstetten-West ein 35 Hektar großes Neubaugebiet ausgewiesen: Das Investitionsvolumen für 3500 künftige Einwohner beträgt eine Milliarde DM. In Haar gibt es das 20 Hektar große Neubaugebiet Eglfing. Im Grasbrunner Ortsteil Neukeferloh werden die fünf Hektar der Winkler-Gründe bebaut: Infraplan und Eiwobau bauen 98 Reihenhäuser und 100 Eigentumswohnungen. In Aschheim werden laufend kleinere Baugebiete ausgewiesen. Garching plant beim Baugebiet „Untere Straßäcker“ sieben Wohnblocks mit rund 100 Wohnungen, 95 Reihenhäusern und 100 Studentenwohnungen. In Ismaning werden jedes Jahr 130 bis 150 Wohnungen gebaut. Unterföhring hat gerade ein Wohngebiet für 300 Einwohner geplant und will in den nächsten fünf Jahren für weitere 1800 Neubürger Wohnraum bauen. In Oberschleißheim will der Gemeinderat sein altes, gewachsenes Ortszentrum mit dem Gartenstadtcharakter erhalten. Hier gibt es viele Villen mit großen Gärten. Beim Tod der Eigentümer kauft ein Investor den Grund, reißt die Villa ab und stellt ein bis zwei Doppelhäuser darauf.13

Oktober 2000: Bauboom im Landkreis Ebersberg. Der Landkreis Ebersberg hat 271 Gemeinden, die immer wieder Bauland ausweisen. Auch hier wächst der Siedlungsdruck: durch die Nähe zum Erdinger Flughafen, zur Messe Riem sowie zur LH München insgesamt. Dazu kommt das nach Poing umgesiedelte Bauzentrum der Messe. Zum Teil vergeben Gemeinden Bauland nach dem Einheimischenmodell wie in Anzing und Jakobneuharting. „Das Einheimischenmodell dient der vorrangigen Deckung des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung. Solche Modelle wurden ursprünglich für Gemeinden mit hohem Zuzugsdruck entwickelt. Heute werden sie aber auch in Großstädten praktiziert. Gemeinden wollen durch eine Baulandpreisregelung sicherstellen, dass ortsansässige Bürger gegenüber finanzstarken Zuzüglern einen Vorsprung beim Kauf von Bauland erhalten.“ (Wikipedia)  In Baldham soll im Ortszentrum für 500 neue Einwohner Wohnraum gebaut werden. In Poing-Nord sind große Bauflächen geplant, sodass sich die Einwohnerzahl von Poing von 10.000 auf 19.000 fast verdoppeln wird. In Marktschwabens Projekt „Burgerfeld“ sind Reihenhäuser für 600 Bewohner im Bau. In Baldham und Vaterstetten sind die Mieten am teuersten durch die Nähe zur S-Bahn.14

Oktober 2000: Wiener Mieter, Münchner Mieter. Bei einer Veranstaltung der Architektur-Zeitschrift Baumeister und der Verlage Callwey und Bohmann sprach der Wiener OB Michael Häupl (SPÖ) über die dortige Wohnungspolitik und erinnerte an das „Rote Wien“: Damit ist auch die fortschrittliche Wohnungspolitik für die arbeitende Klasse gemeint. Aktuell gebe die Stadt jedes Jahr umgerechnet etwa 1,34 Milliarden DM aus; jede Stunde werde eine öffentlich geförderte Wohnung fertig. Die Gebäude stammten von „weltbesten Architekten“, so Häupl. Wien und München seien zwei Metropolen „im Aufbruch“, wo die klassische Industrie zurückgehe und High-Tech und Medienindustrie immer stärker würden. Außerdem würden in beiden Metropolen der Wohnungsbau und die innerstädtische Entwicklung immer wichtiger. OB Christian Ude brachte Zahlen zum sozialen Wohnungsbau in München: 1980 gab es etwa 570.000 Wohnungen in München: Davon waren 37 Prozent öffentlich gefördert oder preisgebunden. Heute sind es noch 22 Prozent bei 700.000 Wohnungen. 6000 Wohnungen werden jährlich neu gebaut, aber bei höheren Verdiensten werde immer mehr Wohnraum pro Person gewünscht. Junge Familien sind gezwungen, aus München wegzuziehen, weil die Stadt zu teuer geworden ist.15

Oktober 2000: Fußballstadion soll umgebaut werden. Am 25.10.2000 stimmte der Stadtrat für das Umbaumodell von Behnisch und Partner und Auer + Weber: ein Totalumbau des Stadions, wobei das Zeltdach von 1972 erhalten bleibt. Gegen den Antrag der Stadtbaurätin Christiane Thalgott stimmten 15 Stadträte: fast die ganze Grünen-Fraktion, die SPD, Norbert Kreitl (SPD, der von Mobbing-Versuchen in seiner Fraktion berichtete) und einige CSU-Stadträte. Grünen-Stadtrat Helmut Steyrer wies auf den immer wahrscheinlicheren Bürgerentscheid zum Stadion hin: Bei einem Abriss des alten Olympiastadions werde die Mehrheit vielleicht eine ganz andere Meinung haben.16

November 2000: Gottfried Knapp schrieb dazu in einem SZ-Artikel mit dem Titel: „Das Ude-Stoiber-Stadion“: Franz Beckenbauer, Karl-Heinz Wildmoser, Edmund Stoiber und Christian Ude haben sich gegenseitig 400 Millionen DM für einen Stadion-Neubau unter dem Olympia-Zelt versprochen, wobei schon 500 Millionen bis zu einer Milliarde DM im Gespräch waren. Der Abriss des alten Stadions plus Sicherung des Zeltdachs sei kompliziert; dazu müsste durch die Absenkung des Spielfeldes um sechs Meter eine riesige Grundwasserwanne betoniert werden. Der Steuerzahler sei sicher mit 100 Millionen DM beteiligt, dazu kämen vier Jahre Einnahmeausfälle durch den Neubau. Knapp wunderte sich über „das blinde Vertrauen in die Wunderkraft der Architekten“: nämlich „wie ein rundes Stadion um ein rechteckiges Spielfeld herumgewürgt werden kann“. Das Olympiastadion, „ein nationales Monument ersten Ranges“, würde durch den Neubau zerstört, der über ein hässliches Sonnenschutzdach verfügen würde und größte Probleme hätte, das Regenwasser des Fußballfeldes wieder abzuleiten. Für diese „systematisch geplante Missgeburt“ schlug Knapp den folgerichtigen Namen Ude-Stoiber-Stadion vor.
((Knapp, Gottfried, Das Ude-Stoiber-Stadion, in SZ 6.11.2000))

Dezember 2000: Olympiastadion oder Fußballstadion. Der Großumbau/Abriss des Olympiastadions wird immer abwegiger, da auch Architekt Günter Behnisch seine eigenen Entwürfe hinterfragt hat. Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte in einem Telefonat mit OB Christian Ude, alle Alternativen einschließlich eines Neubaus an anderen Standorten zu prüfen. Ein Stadion-Neubau bis zum Beginn der Fußball-WM 2006 wird äußerst unwahrscheinlich, auch aufgrund der mit Sicherheit erfolgenden Proteste von Anwohnern.17

Dezember 2000: Sendlinger Restaurant wird abgerissen. „Das Hundertjährige Haus“ an der Säulingstraße 16 am Westpark in Sendling ist real etwa 80 Jahre alt und war im Besitz der Schörghuber-Gruppe, die es 1999 an die Firma Planteam München verkaufte. Planteam hat das Grundstück teilen lassen. Für das Grundstück mit der Gaststätte wurde bei der LBK ein Bauantrag für ein Doppelhaus mit zwei Wohnungen eingereicht. Für das Grundstück mit dem Biergarten und seinen 13 über 100 Jahre alten Kastanien hat Planteam noch keinen Bauantrag gestellt. Gegen den geplanten Abriss hat sich die Bürgerinitiative „Rettet das Hundertjährige Haus“ gebildet.18
Eines von vielen Beispielen für den Verlust der Münchner Biergärtenkultur; vgl. im Kritischen Immobilien-Lexikon: Das Hundertjährige Haus

Dezember 2000: Pasinger Denkmal abgerissen. An der Bodenseestraße 6 stand ein Bauernhaus aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es war unter Denkmalschutz, bis ein Gutachten des früheren Heimatpflegers Enno Burmeister den Denkmalschutz wieder aufhob. Die umlegende Bebauung ist inzwischen vier- bis fünfstöckig, das Baurecht hochwertig. Das Planungsreferat informierte, dass es bereits 1994 die Abrissgenehmigung auf Weisung der Regierung von Oberbayern erteilt hatte; die Baugenehmigung für den Neubau gibt es seit 1997: Der Architekt war Burmeister selbst.
Nun sind die Bagger am Werk. Den Neubau errichtet die Süba Bauen und Wohnen München GmbH. Im Erdgeschoss sind vier Geschäfte geplant, im ersten und zweiten Stock sechs Büros, im dritten Stock und im Dach 16 Eigentumswohnungen.19

Dezember 2000: Versiegelung im Bannwald. In den kommenden Jahren sollen im Umfeld von München 400.000 Quadratmeter für Gewerbeansiedlungen überbaut werden. Der BN München und das Forstamt München listeten die Flächen in den Gemeinden Planegg, Neuried, Taufkirchen, Grünwald und Oberschleißheim auf: Seit den achtziger Jahren waren sie als Bannwald ausgewiesen. In der Gemeinde Planegg sollen für die Erweiterung für das Biotech-Zentrums Martinsried südlich des Max-Planck-Instituts 200.000 Quadratmeter Bannwald gefällt werden. In Neuried belegt ein Wertstoffhof 1000 bis 2000 Quadratmeter Bannwald. Der BN bezeichnete die Ansiedlung einer Ikea-Niederlassung in den Gemeinden Thalkirchen und Brunntal als „neuesten Paukenschlag“. Fazit des BN: „Die Versiegelung im Raum München schreitet fort.“20

Dezember 2000: Vor der Stadtratswahl Mürz 2002. Am 3.3.2002 werden OB und Stadtrat in München gewählt. Die Wirtschaft boomt mit einer Arbeitslosenquote von unter vier Prozent, die Gewerbesteuer sprudelt: Aber die Münchner können (schon damals) das Wohnen in ihrer Stadt nicht mehr bezahlen. Vom früheren OB Georg Kronawitter stammt da geflügelte Wort: „Der Dampfkessel München kocht über, und es dürfen keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden.“21 Im Vorfeld der nächsten Wahl 2002 knüpfte OB Christian Ude im Jahr 2000 an: „München braucht jetzt keine zusätzlichen Jobmaschinen, sondern muss schauen, dass Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt wieder ins Lot kommen.“ Ude will sich für einen wirksamen Mieterschutz im neuen Mietrecht einsetzen, das Ende November 2001 in erster Lesung den Bundestag passieren soll. Die Kappungsgrenze soll für drei Jahre von 30 auf 20 Prozent reduziert werden. Der Wohnungsbau soll belebt werden. Von der rot-grünen Bundesregierung seien die Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten durchgesetzt und Investitionen in den Wohnungsbau erschwert worden, dazu stellt der Bund zu wenig Geld für Sozialwohnungen zur Verfügung. In München würden Mietwohnungen fast nur noch von den städtischen Wohnbaugesellschaften gebaut. Den Abzug staatlicher Behörden aus München begrüßte Ude. Er will die Situation auf dem Wohnungsmarkt verbessern, ohne die Wirtschaft abzubremsen. Es wäre falsch, wenn München nicht mehr auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze setzen würde: „Einbrüche sind schneller da, als man sich das vorstellt.“22
Genau in diesem Zwiespalt bewegt sich Ude bis zum Ende seiner Amtszeit: Wohnungsbau plus Arbeitsplätze, Angst vor wirtschaftlichen Einbrüchen schüren und dann doch wieder Unternehmen in die Stadt holen. Wie heute von Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) praktiziert.

Dezember 2000: Grüne ziehen mit. Die Stadtratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wollen mit drei Anträgen eine aktive Wohnungspolitik ankurbeln: Die Stadt soll durch öffentliche Förderung von Neubauten für bezahlbare Mieten sorgen. Hier verspricht das Genossenschaftsmodell eine Lösung. Das Herausfallen von Sozialwohnungen aus der Bindung erfordert den Bau von jährlich mindestens 1200 günstigen Wohnungen. Und die Stadt soll familiengerecht bauen. Fraktionschef Siegfried Benker wandte sich dagegen, dass Firmen Arbeitskräfte in die Stadt holen und dazu ein Wohngeld zahlen, welches die Preisspirale immer weiter nach oben treibt. Die Unternehmen sollten selbst Wohnungen bauen oder Baurecht für den Wohnungsbau aktivieren. Benker begrüßte Udes Aussage, keine neuen Jobmaschinen in die Stadt zu holen: “München ist vielmehr in Gefahr, von den Folgen des eigenen Erfolgs erdrückt zu werden.“23

  1. Dötsch, Kerstin, Eigentümerin beantragt Abbruch, in SZ 10.1.2000 []
  2. Müller, Frank, Der neue Stadtteil – nur ein Phänomen, in SZ 3.4.1998 []
  3. Neff, Berthold, Begräbnis erster Klasse für das Parkraumkonzept, in SZ 2.2.2000 []
  4. Behr, Sabine, Das Bauzentrum muss weg, in SZ 10.2.2000 []
  5. Haas, Marianne E., Start für die Parkstadt Schwabing, in SZ 2.3.2000 []
  6. Knapp, Gottfried, Bauen, Wohnen, Banken, in SZ 8.4.2000; Grill, Michael, Exklusiv Wohnen im Herzen Münchens, in SZ 5.4.2000 []
  7. Fischer, Carolin, Anwohner kämpfen um den Rosengarten, in SZ 9.5.2000 []
  8. „Rosengarten wird ein Opfer des Baurechts“, in SZ 9.3.2001 []
  9. Haas, Marianne, Die Mietpreise steigen wieder, in SZ 17.5.2000 []
  10. Münster, Thomas, Kritik an Plänen für Reform des Mietrechts, in SZ 22.5.2000 []
  11. Grill, Michael, Alle fliegen auf den Doppeldecker, in SZ 8.6.2000 []
  12. Horn, Peter, Bonus für München in SZ 23.9.2000 []
  13. Sebald, Christian, Bauboom dank High-Tech und Medien-Betrieben, in SZ 6.10.2000 []
  14. Straßmair, Michaela, Für Familien ist Wohnen auch auf dem Lande nicht billig, in SZ 23.10.2000 []
  15. Thurau, Martin, Wiener Mieter, ihr habt es gut, in SZ 24.10.2000 []
  16. Grill, Michael, Die neue Fußball-Arena kommt, in SZ 26.10.2000 []
  17. Dürr, Alfred, „Ein Trauerspiel für München“, in SZ 8.12.2000 []
  18. Storz, Alexander, Alle jammern, aber zahlen will keiner, in SZ 7.12.2000 []
  19. Flessa, Andreas, Abschied vom Unikat, in SZ 11.12.2000 []
  20. Leuthner, Alexandra, Bund Naturschutz und Forstamt gegen Abholzung von Bannwald, in SZ 16.12.2000 []
  21. Hutter, Dominik, Über die Gewerbeflächen hoppeln Hasen, in SZ 19.5.1994 []
  22. Neff, Berthold, „München braucht keine neuen Jobmaschinen. In SZ 27.12.2000 []
  23. Neff, Berthold, Grüne tragen Udes neuen Kurs mit, in SZ 28.12.2000 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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