Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Herzogstraße 84

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Titelbild: © Wolfgang Zängl / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 3.6.2023

LBK genehmigt acht Studenten-Apartments. Der idyllische Hinterhof in Altschwabing dient der Herzogstraße 84 und der Apianstraße 8 zur gemeinsamen Nutzung von 29 Mietparteien. Im Hinterhof Herzogstraße 84 hat die LBK nun den Neubau eines fünfgeschossigen Rückgebäudes eines privaten Eigentümers mit acht Studentenappartements genehmigt, oder besser „durchgewunken“. Der Baukörper würde sich „in die rückwärtige Bebauungsstruktur“ einfügen, „ausreichende Belichtung und Belüftung“ seien gewährleistet, das Vorhaben sei „planungsrechtlich zulässig“.1

Baumfällungen. Bis zu neun Bäume müssten für den in den Hinterhof hinein gequetschten Neubau gefällt werden, darunter drei bis zu 15 Meter hohe Bergahorne. Bewohner berichteten von Buchfinken, Mauerseglern, Amseln, Meisen und Mönchsgrasmücken, der Hinterhof ist eine Oase für Fauna und Flora. Er wurde vor langer Zeit vom Verein Urbanes Wohnen ausgezeichnet. Die Bewohner wollen nun auch den BN einschalten und prüfen lassen, ob er unter Denkmalschutz gestellt werden könnte.2

BA lehnte ab. Der BA Schwabing-West hat das Bauvorhaben einstimmig abgelehnt. Der Vorsitzende des BA Schwabing West, Walter Klein (SPD), will deswegen dem Chef der LBK, Cornelius Mager, einen Protestbrief schreiben. Das Wohngebäude liegt zwischen drei Kommunwänden, neun große Bäume würden gefällt, die acht Parkplätze werden auf einem Grundstück in der Nähe ausgewiesen.1 – Die Lokalbaukommission (LBK) hat den Vorbescheid bereits genehmigt, laut LBK-Jurist Thomas Krämer blieb der Behörde nichts anderes übrig.3
Es ist merkwürdig, dass der LBK seit einiger Zeit „immer weniger übrig bleibt“, als auch noch die seltsamsten Bauvorhaben durchzuwinken.
Dazu aus dem Kommentar von Thomas Kronewiter in der SZ: „Nicht erst seit gestern haben Investoren diese Hinterhöfe als Nachverdichtungspotenzial entdeckt, nicht nur in Schwabing, sondern in vielen hippen Stadtbezirken wie in Haidhausen und im Glockenbachviertel. Dann werden marode Rückgebäude plattgemacht oder oberirdische Garagen abgebrochen und unter die Erde verbannt, darüber neue und teuer vermietbare Apartments errichtet. Der nun bekannt gewordene Fall an der Ecke Herzog- und Apianstraße fällt in diese Kategorie und setzt doch neue Maßstäbe. Da nutzt die Lokalbaukommission jedweden Ermessensspielraum aus, akzeptiert Überschreitungen von Abstandsflächen, um dem offenkundig übergeordneten Ziel – der Schaffung neuen Wohnraums – gerecht zu werden. Die Nachbarn sollen es schlucken, ihr gestörtes Rechtsempfinden wird zur Seite geschoben. (…) Die Behandlung des Bauantrags an der Herzog-/Apianstraße öffnet der Hinterhof-Zerstörung Tür und Tor – in Münchens ohnehin schon am dichtesten bewohnten Stadtbezirk. Wie schade! Gerade dort wird jedes Hinterhof-Plätzchen, wird jeder Baum gebraucht.“4

Der Tierrettung wird gekündigt. 15 Jahre war die Aktion Tierrettung München in der Herzogstraße 84: Im Januar 2020 bekam sie die Kündigung zum 31.7.2020. Präsidentin Evelyne Menges, auch stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU in München: „Unsere Tierrettung muss weichen, weil ein Durchbruch in den Hof gemacht werden soll, um die Baustelle zu ermöglichen.“5 Inzwischen hat die Bewohnergemeinschaft über 2000 Unterschriften gegen die Ruinierung des Hinterhofs gesammelt.5

Geordneter Widerstand. Die Bewohner haben zusammen mit dem BA Schwabing-West gegen einen Baumfällungsantrag für 17 Bäumen (vier mit über 80 cm Stammdurchmesser und damit in der Baumschutzverordnung) protestiert. Drei Bergahorne haben bis zu 15 Meter Höhe. Im Hinterhof soll ein viergeschossiger Neubau mit acht Studentenwohnungen entstehen. Der Vorsitzende des Unterausschusses Planen und Wohnen, Oskar Haider (CSU): „Der Bauherr, der die Baumfällungen beantragt hat, will nur schnell Tabula rasa machen, damit er auf freier Bahn agieren kann.“6
Es liegt noch kein rechtsgültiger Bauantrag vor: In diesem Fall darf die Untere Naturschutzbehörde Fällgenehmigungen aussprechen. „Das Grün ist Lebensraum für Insekten und Marder und für Vögel wie Buchfinken, Mauersegler, Amseln, Meisen und Mönchsgrasmücken. Sogar Fledermäuse gebe es dort dank der kühlen Luft, sagen die Mieter.“6

Nachverdichtung mit Studentenheim? Für die „Nachverdichtung“ des privaten Eigentümers sind Baumfällungen nötig. Vertreter von Die Linke im BA Schwabing-West stellten am 23.6.2020 einen Antrag auf Überprüfung des Bauantrags für den Neubau eines Studentenheims. Es werden Abstandsflächen zum Grundstück Apianstraße 8 nicht eingehalten. Die umliegende Nachbarbebauung ist maximal zweigeschossig, der geplante Neubau ist viergeschossig. Selbst Mitarbeiter der LBK bezweifeln die Nutzung durch Studenten. Es müssten 17 Bäume gefällt werden. „Im Übrigen ist der gewachsene Hinterhof mit altem Baumbestand, efeubewachsener Brandmauer ein Refugium für geschützte Tierarten: Mauersegler und Fledermäuse sind hier ansässig.“78

Vereinter Widerstand. Am 17.10.2020 gab es eine Kundgebung mit Musik von Samba Sole Luna an der Ecke Apian-/Herzogstraße. Dazu Ellen Draxel in der SZ: „So viel Einigkeit ist selten: Politiker aus Stadt, Land und Bund, von CSU und SPD, der Linken, der Grünen und der ÖDP, dazu Vertreter von Naturschutzverbänden und natürlich von vier Schwabinger Mietergemeinschaften als den eigentlichen Initiatoren – sie alle zeigten sich vereint im Protest gegen den ‚Nachverdichtungswahn‘, gegen die Vernichtung von Bäumen in Zeiten des Klimawandels, gegen Luxussanierung und Spekulantentum im urbanen Schwabing und darüber hinaus.“9
Stadträtin Evelyne Menges fragte sich bei der Zusammenkunft: „Muss es sein, dass hier noch dichter besiedelt wird? Kann die Politik hier nicht ein Augenmaß zustande bringen und festlegen, wo die Verträglichkeit endet?“9
Wenige Hundert Meter entfernt von der Apian-/Herzogstraße passiert die nächste verhängnisvolle „Nachverdichtung“: im Karree an der Karl-Theodor-, Ansprenger-, Unertl-, Degenfeldstraße: Hier soll der Innenhof bebaut werden. Die SPD-Stadträtin Julia Schmitt-Thiel berichtete am 17.10.2020 von Verhandlungen mit der Bayerischen Versicherungskammer und forderte die CSU auf, § 34 des Baugesetzbuches zu ändern, der die Nachverdichtung regelt. MdL Christian Hierneis (Grüne und Vorsitzender der BN-Kreisgruppe München) und Tobias Ruff, Stadtrat der ÖDP, verwiesen auf mehr als 20.000 gefällte Bäume in den letzten zehn Jahren in München und die Bedeutung des Stadtgrüns für das Klima.9

Die Fällung. 2000 Unterschriften und der Einsatz fast aller Parteien hat nichts genutzt: 15 große Bäume, davon drei Bergahorne, eine Zierkirsche, ein Walnussbaum, eine Aprikose wurden gefällt im Auftrag des privaten Eigentümers.10 – Anwohnersprecherin Bettina Schopis äußerte zu der brutalen Fällaktion: „Wir haben aus den Fenstern geschaut und geweint, das war entsetzlich, ein richtiger physischer Schmerz.“11

Von wegen Studentenapartments. Der Neubau im Hinterhof mit den acht Apartments hat die postalische Adresse Apianstraße 10 bekommen. Die Webseite des Bauträgers Wohnbau Würmtal GmbH wirbt ausgerechnet mit dem Erhalt des Efeus an der linken Mauer. Die Apartments wurden über ImmoScout24 angeboten: „Erstbezug/Neubau, traumhaft modernes Appartement, komplett möbliert, Balkon, in Bestlage Schwabing“. Die Anzeige wurde inzwischen deaktiviert. Die Apartments für 1400 Euro entsprechen bei ca. 35 qm Wohnfläche einer Kaltmiete von 40 Euro (!) pro qm.
8 mal 35 qm mal 40 Euro = 11.200 Euro pro Monat = 134.400 Euro pro Jahr …
Die Nachverdichtung wurde mit dem Argument „Studentenapartments“ bei der LBK durchgebracht: bei 40 Euro pro qm ein dreister Etikettenschwindel. Ein weiterer Vorteil für den Investor: Bei Studentenwohnungen muss für fünf Wohnungen nur ein Stellplatz (und nicht wie üblich der Stellplatzschüssel 1:1) nachgewiesen werden.12

Von der Herzogstraße 84 zur Herzogstraße 86. Der skandalöse Neubau eines Rückgebäudes in der Herzogstraße 84 hat wohl auf die Herzogstraße 86 ausgewirkt. Deren Eigentümerin ist 2020 gestorben: Nun gehört das Areal der Thurner Verwaltung GmbH, München, und der Herzog Hausverwaltung GmbH, Pöcking als Erbengemeinschaft. Als deren Vertreter fungieren Vincent Dowry (22 Jahre alt) und Christian Lealahabumrung, bekannt als Geschäftsführer der Rock Capital Group. Wegen letzterer bestehen Vermutungen, dass es sich um einen Share Deal handeln könnte; dem widerspricht die Erbengemeinschaft.
Das Vorderhaus von 1899 steht unter Denkmalschutz. Nun kommt auf die Bewohner der elf Wohnungen im Vorderhaus und der fünf Wohnungen im Hinterhaus eine Sanierungswelle zu. Auf der Sitzung des BA Schwabing – West wurden die Umbaupläne erörtert: Änderung von Grundrissen, Einreißen von Wänden, Neuaufteilung der Wohnungen. Die Mieter vermuten Umbauten in Richtung Luxussanierung. Der BA Schwabing – West lehnte die Pläne ab. Das BLfD will nun auch das Rückgebäude begutachten.13

Herzogstraße 84 vor Gericht. Das Bayerische Verwaltungsgericht hält den Neubau im Innenhof der Herzogstraße 84 für rechtens. Weder seien die Interessen der unmittelbaren Nachbarn durch das Gebäude beeinträchtigt noch sei das Abstandsflächengesetz verletzt worden. Eine grüne Hof-Oase musste dem viergeschossigen Neubau weichen; darin entstanden teure Apartments statt Wohnraum für Studenten. Der „Nachverdichtungswahn“ wurde von verschiedenen Seiten angeprangert. Zwei Kläger aus der Clemensstraße 79 berichteten, dass man vorher auf einen Hof mit viel Baumbestand geschaut habe, jetzt sei dort eine 15 Meter hohe Mauer. Die beiden Brüder hatten deshalb die Stadt München bzw. die LBK verklagt, die den Bau 2019 genehmigt hatte. Beim Lokaltermin am 22.5.2023 schloss sich die Kammer allerdings dem Ergebnis der Genehmigungsbehörde an. Der Bau füge sich in die Umgebung ein, urteilte der Vorsitzende Richter Josef Beil: Die Herzogstraße 84 sei „ein ganz gewöhnlicher Einzelfall“. Der Vertreter des Vereins Urbanes Wohnen, Architekt Erich Jenewein, befürchtet nach diesem Urteil weitere Auswirkungen: Dadurch könnten nun auch andere Investoren ihre Gebäude entsprechend höher bauen bzw. noch mehr nachverdichten.14

  1. Draxel, Ellen, Bedrohte Ruhezone, in SZ 24.6.2019 [] []
  2. Drexel, Ellen, Aufruhr in der grünen Oase, in SZ 2.8.2020 []
  3. Draxel. Ellen, Wachsender Druck, in SZ 12.10.2019 []
  4. Kronewiter, Thomas, Unverzichtbare Rückzugsorte, in SZ 2.8.2019 []
  5. Draxel, Ellen, Vermieter kündigt der Tierrettung, in SZ 18.1.2020 [] []
  6. Draxel, Ellen, Grüner Schulterschluss, in SZ 11.2.2020 [] []
  7. Die Linke, Antrag vom 23.6.2020 im BA 4 Schwabing-West []
  8. SZ 19.10.2020 []
  9. Draxel, Ellen, Fällung, Verdichtung, Vertreibung, in SZ 19.10.2020 [] [] []
  10. Kleber, Irene, Der Kahlschlag, in Abendzeitung 6.2.2021 []
  11. Kleber, Irene, Hauseigentümer will bauen: Kahlschlag in Schwabing! in abendzeitung-muenchen.de 7.2.2021 []
  12. Draxel, Ellen, Studentenapartments versprochen – Luxuswohnungen gebaut, in sueddeutsche.de 21.8.2022. Ich danke Frau Bettina Schopis für weitere Hinweise. []
  13. Draxel, Ellen, Goldhannes fürchtet den Rauswurf, in SZ 25.2.2023 []
  14. Draxel, Ellen, Weiße Mauer im grünen Innenhof in SZ 24.5.2023 []
Objekt-Nr. 14800

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