Moloch München Eine Stadt wird verkauft

November 2022

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 3.1.2023

November 2022: Galeria Karstadt Kaufhof erneut insolvent. Im April 2020 hatte René Benkos GKK ein Schutzschirmverfahren wählen müssen: Es dauerte bis September 2020.Anfang 2021 und Anfang 2022 ersuchte GKK um staatliche Unterstützung und erhielt zwei Tranchen mit insgesamt 680 Millionen Euro. GKK hat aktuell 131 Warenhäuser in 97 Städten mit rund 17.000 Beschäftigten. Nun hat das Unternehmen am 31.10.2022 mitgeteilt, dass es erneut Rettung in einem Schutzschirmverfahren sucht. Außerdem läuft erneut ein Ersuchen um staatliche Hilfe, wobei Insolvenzverwalter Arndt Geywitz durch einen Sprecher erklären ließ, Staatliche Kredite seien weder wirtschaftlich sinnvoll noch realistisch, da GKK diese nicht zurückzahlen könne. Kritiker halten das Geschäftsmodell Warenhaus für überholt und befürchten Wettbewerbsverzerrungen.1
Vgl.: Signa

November 2022: Städtische Grünfläche zu Wohnungen. An der S-Bahnstation Westkreuz und  der Friedrichshafener Straße liegt ein Wiesengrundstück mit 5100 qm, das der Stadt gehört. Für dieses hatte die Gewofag bereits 2016 eine Machbarkeitsstudie geordert. Der BA 22 hatte dieses Vorhaben ursprünglich angeregt. Gebaut werden könnten 50 bis 70 sozial geförderte Wohnungen, eine „Mini-Kita“, eine Außenstelle des Aubinger Alten- und Servicezentrums.  Da hier eine Frischluftschneide von Süden nach Norden besteht, muss überlegt werden, ob im Süden eine Bebauung nicht erfolgen soll oder eine Durchlüftung anders erfolgen kann.2
Klingt alles so logisch: Neue Arbeitsplätze werden in München laufend angesiedelt und damit neue Wohnungen gebraucht und damit neue Kitas benötigt und damit neue Alten- und Service-Zentren… Die Stadt will aktuell jährlich über 8000 Wohnungen neu bauen lassen. Das kostet Grünflächen und Naturräume. Zum wiederholten Mal: Der Boden im Stadtgebiet ist nicht vermehrbar. Von daher geht es zunehmend bislang unbebauten Areale an den Kragen: mit gravierenden Folgen für das Stadtklima. Ein Vorschlag: Vielleicht könnte das Planungsreferat mit großen Gebläsen (natürlich mit Öko-Strom betrieben) die zugebauten Frischluftschneisen wieder etwas beleben.

November 2022: „Bezahlbarer Wohnraum“ statt Kleingärten. An der Landshuter Allee 165 in Gern liegt das Wirtshaus „Wally“ mit opulentem Biergarten unter Kastanien und Ahornbäumen, nahe der Kleingartenanlage von 1924 mit 38 Parzellen. Der „Wally“-Pächterin Marion Zierer und den Kleingärtnern wurde nach 98 Jahren zum Jahresende 2022 gekündigt. Und das ging so: Der 1884 gegründete Männergesangsverein Concordia (MGV) hatte das Areal 1913 von der Wittelsbacher Krongutverwaltung gepachtet und 1924 sein Vereinsheim gebaut, das im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1953 wieder aufgebaut wurde. Nach einem Brand wurde es 1986 neu errichtet. Der MGV pachtete nach dem Krieg das Areal von der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung und vermietete es an die Kleingärtner weiter. Der MVG löste sich zum Juni 2022 auf. Dies war z. T. altersbedingt; andernteils wurde die Pacht vom Freistaat von umgerechnet 613,55 Euro im Jahr 1979 auf aktuell um die 20.000 Euro erhöht. Damit muss das Areal bis Jahresende geräumt werden. Am 16.10.2022 wurde eine Petition Rettet mit uns den Concordia Park – Kampf um die grüne Oase in Gern begonnen: Bis jetzt wurden 1700 Unterschriften gesammelt, davon 1300 aus München.
Das Bauministerium hat eine ganz andere Verwendung des Geländes, wie es selbst angibt: nämlich mit seinen staatlichen Wohnungsbaugesellschaften (vermutlich StadiBau und BayernHeim) auf Teilflächen „bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“.
Da wird die Staatsbürokratie vulgo das Bauministerium vermutlich wieder eine Verwendung für Söders glück- und planlose BayernHeim sehen.
Eine Zwischennutzung sei interimsweise möglich, so Vertreter des Bauministeriums. Der BA Neuhausen – Nymphenburg will den Concordia-Park erhalten und fordert eine Gesamtkonzept für die Erhaltung von Park und Kleingärten. Die grün-rote Koalition im Stadtrat will den Grünzug und die Kleingartenanlage dauerhaft erhalten und bat OB Dieter Reiter (SPD), beim Freistaat für neue Verträge mit den im Juli 2022 gegründeten Gartenfreunden Gern zu vereinbaren. Das Areal ist im Flächennutzungsplan als Grünfläche und Kleingartenanlage ohne Baurecht ausgewiesen. Die Stadt München hat die Planungshoheit: Falls der Freistaat das Areal bebauen will, braucht er zunächst eine Änderung des FNP, dann eine Genehmigung seiner Pläne durch die LBK.3
Ich kann das Totschlagargument „bezahlbarer Wohnraum“ schon seit langem
nicht mehr hören.
Nachtrag Dezember 2022:
Am 23.12.2022 meldete sich der Freistaat bei der Stadt: Man will verhandeln, um das Areal an der Landshuter Straße 165 an die Stadt zu übertragen, sei es über eine Anmietung oder über einen Kauf. Die Pläne des Freistaats, das Areal mit Wohnungen zu bebauen (siehe oben), scheiterten am fehlenden Baurecht.4

November 2022: München. Klimastark. Jetzt. Demo am Freitag, 18.11.2022 um 15 Uhr am Max-Joseph-Platz: für Erhalt der Frischluftschneisen, Bewahrung der Grünflächen, Schutz der Artenvielfalt – Für ein gesundes Stadtklima. Näheres über www.landschaftspark-west.de: hier
Vgl.: Baumschule
Bei schlechtem Wetter mit kaltem Dauerregen kamen etwa 200 Unterstützer. Teilnehmende Organisationen waren u. a. BI Fauststr. 90, Landschaftspark–West, Grünes Obermenzing, Verein zur Schaffung und Erhaltung von Grünflächen Obermenzing, Bürgerinitiative Pasinger Grün, Grünzug– Netzwerk Würmtal, Bürgerdialog Online, Bündnis Nord–Ost, Pro Fürstenried, BI Landschaftspark–West, BI Lebenswertes Berg am Laim, Aktionsgemeinschaft Rettet den Münchner Norden, BI Gemeinsam für den Eggarten, Initiative Dorfensemble Forstenried, Bündnis Heimat Giesing „Uhrmacherhäusl“, Bürgervereinigung Aubing–Neuaubing, die alle dem BMBI (Bund Münchner Bürgerinitiativen) angehören, sowie des Bund Naturschutz Bayern, des Münchner Forums, BI Frischluftzufuhr (Hachinger Bach) und Vertreter der Bürgerbegehren “grünflächen–erhalten.de” und “HochhausSTOP–München e.V.” sowie von Fridays for Future und Scientists for Future. Bericht hier

November 2022: Es geht vorwärts in Haidhausen. 1) Gallmayerstr. 9: Das alte zweistöckige Haus wird abgerissen: Der Neubau ist ein fünfstöckiges Wohngebäude mit etwa 70 Wohnungen und einer Tiefgarage. Die beiden unteren Stockwerke sind als Boardinghaus mit Vermietung auf Zeit, oben Mietwohnungen geplant. Es sollen acht Bäume gefällt werden. Der BA Au-Haidhausen sprach sich gegen die Nutzung als Boardinghaus aus. Nachtrag Dezember 2022: Die WU Wohnungsunternehmen GmbH & Co. KG aus Grünwald hatte 2014 das Grundstück über eine Zwangsversteigerung für 4,75 Millionen Euro gekauft. Der Stadtrat will hier einen Anteil von 40 Prozent geförderten Wohnraum erreichen über einen sektoralen Bebauungsplan im Karree Rosenheimer Straße, Franziskaner-, Gallmayer- und Schleibingerstraße.5 – 2) Preysingplatz 3 – 7: Hier sollen eine alte Werkstatthalle und ältere Baulichkeiten abgerissen werden, u. a. ein denkmalgeschützter Keller mit Weintanks. Im als Parkplatz genutzten Hinterhof sollen zwei Wohngebäude mit ebenfalls etwa 70 Wohnungen und Tiefgarage gebaut werden; 15 Bäume würden gefällt. Auch hier soll ein Gebäude als Boardinghaus genutzt werden. Der BA bemängelte die zusätzliche Verkehrserschließung im Verhältnis zu den Bestandsgebäuden, Werkswohnungen des früheren Lebensmittelhändlers Kathreiner).6
3) Ein Zufallsfund: Preysingstraße 18, älteres, sanierungsfähiges Wohnhaus in desolatem Zustand, schreit förmlich nach Abriss und Neubau durch einen Investor, wahrscheinlich schon längst in den entsprechenden Händen.

November 2022: Bausektor frisst immer mehr Energie. Der 2022 Global Status Report for Buildings and Construction der UNEP stellte für 2021 einen neuen Höchststand für CO2-Emissionen mit 10 Gigatonnen fest (plus 2 Prozent über 2019, plus 5 Prozent über 2020). In Europa verbraucht der Gebäudesektor 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs, der zu 80 Prozent mit fossilen Energien erzeugt wird. Hauptverbraucher sind auf Seiten der Baustoffe Stahl, Beton und Zement, verbrauchsseitig Heizung, Kühlung, Beleuchtung und Geräte. Weltweit betrug die Gebäudefläche 242.000 Quadratkilometer, etwa die Fläche Großbritanniens. Der Gebäudesektor soll bis 2050 dekarbonisiert sein. Die Investitionen in energieeffiziente Gebäudetechnologien stiegen 2021 auf 237 Milliarden US-Dollar; allerdings stieg die bebaute Gesamtfläche deutlich und verursachte dadurch insgesamt höhere CO2-Emissionen.7

November 2022: Neues Hochhaus der HVB. Nach dem um 2016 sanierten HVB-Tower im Arabellapark plant die HVB am Leuchtenbergring das Hochhaus „HQ2“ mit 60 Meter Höhe für 1400 Mitarbeiter. Hier hat die HVB ein vier Hektar großes Grundstück, das zum Teil auch von der Deutschen Bahn für Arbeiten an der zweiten Stammstrecke genutzt wird. Es wird für HQ2 zwei Entwicklungsbereiche geben: HQ2 wird mit 34.500 qm und 27.500 qm Geschossfläche geplant. Zwischen dem Haidenauplatz und dem Ostbahnhof liegt an den Gleisen ein Grundstück der Orleanshöfe GmbH & Co. KG: Hier sollen bis 2031 die Orleanshöfe gebaut werden: einen Gebäudekomplex mit maximal 45 Metern Höhe, Wohn- und Gewerbeflächen und 450 Wohnungen.8

November 2022: Krumbacherstraße 9a. Das Wohngebäude gehört mit seinem Pendant Hiltenspergerstraße 29 zum Erhaltungssatzungsgebiet Agnesstraße. 2020 wurden beide Gebäude verkauft: Der Eigentümer der Krumbacherstraße 9a ist bis heute unbekannt; für die Hiltenspergerstraße hat sich eine Eigentümergemeinschaft gemeldet. Die Krumbacherstraße 9a wurde in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Der Investor hat sich verpflichtet, die zusammen 24 Wohnungen sieben Jahre lang den Bewohnern zum Kauf anzubieten: ein folgenloses und rein formales Angebot, da die meisten Mieter die Kaufmöglichkeit mangels Masse nicht ausüben können. Da das Baulandmobilisierungsgesetz dank der Verzögerungstaktik der bayerischen Staatsregierung noch nicht in Kraft getreten ist, konnte die Stadt nicht gegen die Aufteilung in Eigentumswohnungen einschreiten. Und selbst kaufen konnte die Stadt nicht, da das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts vom November 2021 dies untersagte.9

November 2022: Bürgerversammlung im Bezirk 24 Feldmoching – Hasenbergl. Am 9.11.2022 plädierte der BA-Vorsitzende Rainer Großmann (CSU) für eine zukünftige Stadtentwicklung „im Einklang mit der Natur“. Der Stadtbezirk 24 hat aktuell um die 62.400 Einwohner: Bis 2040 sollen es 93.000 werden. Bebaut werden sollen 900 Hektar in Feldmoching (im Rahmen der SEM Nord), das Lerchenauer Feld, die Siedlung Ludwigsfeld (bis zu 2000 Wohnungen, Vorstellung der Pläne im März 2023). Eine große Mehrheit war für einen Baustopp in der Eggarten-Siedlung. Ein ebenfalls angenommener Antrag forderte die Öffnung vom Virginia Depot, um der anwohnenden Bevölkerung mehr Zugang zu Grünflächen zu ermöglichen.10
Besonders tragisch, aber auch typisch: Durch die Bebauung der letzten Grünflächen erhöht sich der Druck auf streng geschützte Flächen des Naturschutzes. Dabei sollte die Ursache bekämpft werden: das grenzenlose Wachstum von Arbeitsplätzen und dem damit verbundenen Wohnungsbau.

November 2022: Steuererhöhung zwingt zum Verkauf (1). Im September stand im Jahressteuergesetz 2022 der Passus Anpassung der Vorschriften der Grundbesitzbewertung.  Darin wurde eine erhebliche Erhöhung der Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer ab 1.1,.2023 geregelt. Danach steigen Immobilienwerte von 30 bis 50 Prozent. Iring Christopeit von der Münchner Kanzlei Peters, Schönberger & Partner errechnete am Beispiel eines Einfamilienhauses mit 220 qm Wohnfläche und 700 qm Grund eine Steigerung von 487.505 Euro auf 785.704 Euro (plus 61 Prozent). Das Finanzamt geht dazu von 80 statt von 70 Jahren Nutzungsdauer aus. Der Sachwertfaktor lag bisher je nach Gebiet und Immobilie zwischen 0,9 bis 1,1 und liegt ab 1.1.2023 bei 1,3 bis 1,5. Der Münchner Rechtsanwalt Wolfram Theiss äußerte dazu: „Dass der Staat die Bewertung zwischen Tür und Angel so drastisch erhöht, fast heimlich, deutet eher darauf hin, dass er damit seine Kasse füllen will.“ Ein weiteres Problem stellen die Freibeträge dar: Sie lagen bei 400.000 Euro (bei einem Kind), unverändert auch nach dem 1.1.2023. Als Konsequenz der Steuererhöhung werden viele Erben die Steuer nicht entrichten können und sind gezwungen, ihre Immobilie zu verkaufen – was wiederum Investoren zugutekommen wird.11
Damit leistet der Staat einen aktiven Vorschub für Zwangsverkäufe auf dem Immobilienmarkt.

November 2022: Steuererhöhung zwingt zum Verkauf (2). In der Münchner Aurbachstraße 1 steht das Wohnhaus mit 113 Wohnungen und drei Läden von Wolfgang Donhärl, das er 2017 geerbt hat. Damals lag der Bodenrichtwert schon bei einigen Millionen Euro: Donhärl musste 2017 Schulden aufnehmen, um die Million Erbschaftssteuer bezahlen zu können: Der Kredit läuft über 30 Jahre. Außerdem musste er die (moderaten) Mieten zweimal erhöhen. Heute, so Dönhärl, könnte er die Erbschaftssteuer nicht mehr bezahlen Haus + Grund setzen sich deshalb für eine Reform des Erbschaftsgesetzes ein: Besteuert werden soll nicht mehr der Wert der Immobilie, sondern nach dem Ertragswert. Die Erbschaftssteuer würde sich dann an den Mieteinnahmen ausrichten – solange das Haus nicht verkauft wird. Rudolf Stürzer von Haus + Grund München fordert auch eine Erhöhung des Freibetrags von derzeit 400.000 Euro pro Kind und warnte vor der „tickenden Zeitbombe“: wenn nämlich die Vererbung von hunderter Mietshäuser in München aufgrund der hohen Steuern nicht mehr an Nachkommen möglich sein werde. Dadurch stünden die Mieter vor den Folgeproblemen: Wenn nämlich die Investoren einsteigen.12 – Laut Donhärl stieg der Bodenrichtwert für die Aurbachstraße 1 von 2,5 Millionen Euro im Jahr 2010 auf über 8,8 Millionen Euro im Jahr 2017 und liegt derzeit bei 12,7 Millionen Euro.13
Und so partizipiert der Staat am Immobilienkarussell mit höheren Einnahmen und befördert dadurch das Geschäft der Investoren, denen nur die Rendite am Herzen liegt – so sie überhaupt eines haben.
In der SZ hat Harald Freiberger auch das Zustandekommen des Gesetzes kritisiert, das auf Intervention des Verfassungsgerichts aus Gründen der Gleichbehandlung von Vermögen erfolgte. Ab 1.1,20223 wird Verschenken und Vererben von Immobilien um 20 bis 30 Prozent höher eingestuft. Dieses Gesetz schert Immobilieneigentümer über einen Kamm, egal ob sie fünf oder hundert Wohneinheiten besitzen. Wenn der Erbe oder Beschenkte das Miethaus mit vielleicht fünf Wohnungen verkaufen muss, um die Steuer aufzubringen, freuen sich die Investoren. „Es ist ein schlechtes Gesetz. Noch schlechter aber ist die Art, wie  es gemacht wurde: Erst im September brachte es die Bunderegierung ein, heimlich, still und leise.“ Damit haben die Betroffenen kaum noch Zeit, ihren Eigentumsübergang zu regeln. „Der einzige wirkliche Vorteil des Gesetzes für den Staat wird sein, dass seine Steuereinnahmen steigen.“14

November 2022: Unbezahlbares WohnenSchlaglichter aus dem Spiegel. – Der Leerstand deutscher Wohnungen sank 2020 auf 2,8 Prozent. – In München stiegen die Mietpreise pro qm von etwa 12 Euro in 2012 auf 18,13 Euro in 2022 (plus 50 Prozent). – Laut Statistischen Bundesamt waren schon vor der Ukrainekrieg-bedingten Energiekrise mehr als jeder achte Miete von seinen Wohnkosten überfordert. Und die Neubaukosten stiegen in einem Jahr um 16,5 Prozent. – Ein Viertel der Deutschen ist von der „Energiearmut“ bedroht. – Die von der Ampel-Regierung propagieren 400.000 Wohnungen pro Jahr wurden nicht erreicht: 2022 werden noch weniger als 2021 gebaut, und statt 100.000 Sozialwohnungen waren es 25.000. – Immer mehr Mietverträge enthalten eine an der Inflationsrate orientierte Indexierung. – Bis Dezember 2022 könnten die Baukreditzinsen auf fünf Prozent steigen. – Bis 2045 soll der deutsche Häuserbestand klimaneutral sein. Die KfW rechnet hierfür mit Kosten von 636 Milliarden Euro. – Die Stromkosten stiegen von Anfang 2020 bis November 2022 um etwa 86 Prozent; bei Heizöl waren es rund 98 Prozent, bei Erdgas um die 86 Prozent.15
NICHT NEBENBEI: Wie sich die 400.000 Wohnungen zum nicht mehr hinterfragbaren Dogma entwickelt haben, gilt dies auch für das nächste Dogma mit der Zahl 400.000. Die Chefin der Bundesanstalt für Arbeit, Andrea Nahles, äußerte im SZ-Interview: „Wir brauchen im Saldo 400.000 zusätzliche Arbeits- und Fachkräfte im Jahr. Deutschland ist ein Einwanderungsland.“16
Seit Jahrzehnten gibt es nicht nur in Deutschland ein striktes Denkverbot: nämlich eine rückläufige Wirtschaftsentwicklung (nicht nur aus ökologischen Gründen) als reale Entwicklung zu sehen, der man konstruktiv begegnen sollte und muss, statt nach jährlich 400.000 zusätzlichen Arbeitskräften zu rufen. Mal davon abgesehen, Frau Nahles: Brauchen wir dann jährlich 800.000 neue Wohnungen?
Nachtrag Dezember 2022: Der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA) rechnet mit deutlich weniger als 300.000 neuen Wohnungen im Jahr 2022 – und für 2023 mit höchstens 200.000 Wohnungen. Ein Zusammenschluss von 17 Immobilien-Verbänden forderte angesichts des Ukraine-Kriegs, höherer Zinsen für Baukredite und steigender Preise für Baumaterialien eine staatliche Neubauförderung von zehn Milliarden Euro zu Beginn 2023, dazu Steuererleichterungen, einfachere Grundstücksvergabe und einen Bürokratie-Abbau. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) forderte mehr serielles respektive industrielles Bauen.17

November 2022: SPD-Wohnungsrausch. Auf dem Münchner SPD-Parteitag wurden einige richtige Parolen skizziert. „München darf kein Lebensraum nur für Erben werden“, äußerte der Vorsitzende der Münchner SPD, Christian Köning und erklärte die SPD-Stadtpolitik: „Gerne arbeiten wir dabei auch mit privaten Investoren und Bauträgern zusammen, wenn dauerhaft sozial gerechter Wohnungsbau entsteht.“ Die SPD gerierte sich als „Partei für Wohnen und Mieterschutz“. Hierfür müsse die Politik, so Bürgermeisterin Verena Dietl, in den Stadtvierteln auch „unangenehme Gespräche zum Thema Nachverdichtung“ führen. Der Vorsitzende der bayerischen SPD, Florian von Brunn, erinnerte an den Verkauf der 33.000 Wohnungen der vormals staatlichen GBW AG unter dem damaligen Finanzminister Markus Söder (CSU) an die Patrizia AG im Jahr 2013.18
Und wann hört die SPD auf, die seit ihrem OB Christian Ude praktizierte Form der unbegrenzten Arbeitsplatzanlockung – und damit dem Hauptfaktor für Wohnungsnot -, zu beenden?

November 2022: Stadtklima wird NOCH besser. Mit fast drei Millionen Euro zusätzlich für 46 neue Stellen wird die grün-rote Koalition das Referat für Stadtplanung und Bauordnung aufstocken, um Klimaschutz und sozialen Wohnungsbau zu fördern. SPD-Fraktionschef Christian Müller äußerte zu den knapp sieben neuen Stellen in der LBK, damit könnten „Bauanträge möglichst  rasch bearbeitet werden. Das gehört zu einer prosperierenden Stadt dazu.“ Die wohnungspolitische Sprecherin von SPD/Volt, Simone Burger, verwies auf 18,5 Stellen und zusätzlichen 300.000 Euro Sachmitteln für den Klimaschutz: „Wir wollen eine lebenswerte Stadt, die sich gegen Hitze oder Starkregen wappnet, die grüner wird und CO2-neutral.“19
Wie die Klimapolitik von grün-rot und der Stadtplanung in Wirklichkeit aussieht: geplanter Zubau von 900 Hektar in Feldmoching (SEM Nord), 600 Hektar im Münchner Osten (SEM Nordost), weiterer Zubau in Freiham, Zerstörung des Eggartens, gerade noch gestoppte Überbauung des Laimer Baumschulgeländes etc. etc.
Die Stadt könnte einen guten Klimaschutz ganz einfach billiger, besser und effizienter haben: z. B. mit einem Verzicht auf Versiegelung von Grünflächen (Beendigung SEM Nord, SEM Nordost etc.) und keinen weiteren Zubau von Frischluftschneisen. Und einer Beendigung des Wachstumskurses mit immer mehr Arbeitsplätzen, der die Wohnungsnot mit sich bringt. Das will man aber im Rathaus seit Jahrzehnten nicht.

  1. Galeria beantragt erneut Schutzschirm für Sanierung, in spiegel.de 1.11.2022 []
  2. Draxel, Ellen, Neues Wohnviertel am Westkreuz, in SZ 2.11.2022 []
  3. Löschau, Ursula, Gesangverein aufgelöst – Verträge für Gärten und Gaststätte gekündigt – Wohnungsbau im Gespräch in tz.de 5.10.2022; Löchau, Ursula, Concordia-Park: BA will „grüne Fuge“ mit Gärten erhalten – Treffen mit Staat und Stadt geplant, in tz.de 18.10.2022; Draxel, Ellen, Gartenfreunde fühlen sich „im Stich gelassen, in SZ 7.11.2022 []
  4. Draxel, Ellen, Concordia-Park darf bleiben, in SZ 24.12.2022 []
  5. Bezahlbare Wohnungen für Haidhausen, in SZ 15.12.2022 []
  6. Stäbler, Patrick, Lokalpolitiker gegen Wohnungen, in SZ 5.11.2022 []
  7. Bernard, Elena, CO2-Emissionen von Gebäuden auf neuem Höchststand, in wissenschaft.de 9.11.2022 []
  8. Steinbacher, Ulrike, Ein Turm ist nicht genug, in SZ 9.11.2022 []
  9. Kramer, Lea, Zum Auszug gezwungen, in SZ 11.11.2022 []
  10. Wagner, Jonas, Bedrohtes Grün, in SZ 11.11.2022 []
  11. Freiberger, Harald, Hilfe, ich erbe ein Haus, in SZ 14.11.2022 []
  12. Hertel, Christina, Arme reiche Erben, in Abendzeitung 15.11.2022 []
  13. Krass, Sebastian, Oft bleibt nur der Verkauf, in SZ 15.11.2022 []
  14. Freiberger, Harald, Schont Omas Häuschen! in SZ 15.11.2022 []
  15. Book, Simon, Großekathöfer, Maik, Haig, Kristin, Jauernig, Hennig, Kistler, Florian, Müller-Arnold, Benedikt, Thimm, Katja, Trautes Heim, Elend allein, in Der Spiegel 47/19.11.2022 []
  16. Hagelüken, Alexander, Wittwer, Judith, „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, in SZ 29.11.2022 []
  17. Slavik, Angelika, Zwei Zimmer, Küche, keine Chance, in SZ 5.12.2022 []
  18. Effern, Heiner, Geld ausgeben für günstige Mieten, in SZ 21.11.2022 []
  19. Krass, Sebastian, Mehr Stellen fürs Klima, in SZ 24.11.2022 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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